Ich spürte, wie er zuckte und protestieren wollte. Dann brach er plötzlich die Konfrontation ab und schubste die beiden anderen zu ihren Porsches. »Los, wir gehen.« Bei seinem Jaguar drehte er sich noch einmal zu mir um und zeigte drohend auf mich. »Morgen bist du dran.«
Die beiden anderen honorierten seinen Mumm, stiegen in ihre Protzkarren und ließen die Motoren röhren. Ich seufzte. Ohne blödes Macho-Männer-Machtgehabe wäre vieles einfacher.
»Ey, du Pfeife«, rief ich dem Kerl hinterher, bevor er die Tür seines F-Type schließen konnte, »wenn du Mumm hast, sehe ich dich morgen. Und vergiss den Fahrzeugbrief nicht.« Die Macho-Nummer beherrschte ich schon lange.
Der Motor des Jaguars heulte auf, und der Kies vom Parkplatz spritzte unter den Reifen hervor, bis der Wagen schlingernd und mit quietschenden Reifen auf die Straße driftete. Die beiden Porsches folgten ihm kaum langsamer. Ich hoffte, dass die Kerle durch den Streit genug Adrenalin im Blut hatten, um den Alkohol zu kompensieren.
Nach nur vier Stunden Schlaf wusste ich Lydias Kaffee sehr zu schätzen, genehmigte mir gleich zwei Tassen davon, lieh mir ihren Wagen und fuhr ins Präsidium. Nadija war auch gerade erst gekommen. Als sie Lydias alten Granada erkannte, wartete sie, bis ich ausgestiegen war.
»Boah, du siehst ja fertig aus«, sagte sie spontan.
»Danke«, antwortete ich und klemmte mir die Hängeregistratur unter den Arm.
»Haben die Mädchen dir diese Nacht keine Ruhe gelassen?«, fragte sie.
Ich fand den schnippischen Unterton unangebracht, aber süß. »Irgendwie nicht, war ziemlich aufregend.« Ich ließ sie im Ungewissen und genoss ihre unsichere Verlegenheit. Sie hatte mich doch gern, beschloss ich.
Ich bekam meinen alten Arbeitsplatz, mit Blick zur Wand, ein bisschen abseits. Den Schreibtisch in meinem Rücken hatte Nadija belegt. Wenn ich mich umdrehte, konnte ich unter dem Pferdeschwanz, den sie bei der Arbeit meistens trug, ihren reizenden Nacken sehen. Ihr gegenüber saß Robert Schuler, der auf seine alten Tage aus Karlsruhe nach Friederichsburg versetzt worden war, weil sein Herz nicht mehr so mitmachte.
»Bisschen mehr Ruhe und gute Luft«, erklärte er, als wir uns bekannt machten. Er hatte genug Erfahrung, um zu wissen, was wichtig beziehungsweise eilig war – »was nicht immer das Gleiche ist«, meinte er – und was man getrost erst mal zur Seite legen konnte.
Nadijas alten Platz hatte der Praktikant Mehmet Sivrikozoglu bekommen. Als er kurz nach uns hereinkam, strahlte er über beide Backen wie ein Staubsaugervertreter, stürzte auf mich zu, schüttelte mir kräftig die Hand und trompetete mit einer kräftigen, markanten Stimme: »Hey, Sie sind Moderski, habe ich recht? Ich hab schon sooo viel von Ihnen gehört. Toll. Toll, dass wir zusammenarbeiten.«
Ich hob die Augenbrauen.
»Äh, ich meine, dass ich mit Ihnen zusammenarbeiten kann.«
»Ich freu mich auch«, sagte ich und klopfte ihm mit der Linken auf die Schulter, ohne seine Rechte loszulassen. »Junges Blut tut immer gut. Du hast bestimmt ’ne Menge bei deiner Ausbildung gelernt, wovon man bei uns noch keine Ahnung hatte.«
Er war sichtlich stolz, spielte es aber etwas herunter.
»Sivrikozoglu«, sagte ich, »ist das griechisch oder türkisch?«
»Türkisch, aber ich bin Deutscher.«
Er war etwas kleiner als ich, dunkler Typ, kurze Haare, sehr drahtig, und in Jeans, T-Shirt und Motorradjacke sah er mit seinen circa fünfundzwanzig Jahren ziemlich smart aus.
Als ich mich auf meinen Platz setzte, neigte ich mich etwas zu Nadija rüber. »Was für dich?«
Sie drehte sich mit ihrem ganzen Stuhl zu mir um, biss sich etwas versonnen auf die Unterlippe und meinte: »Wer weiß, vielleicht.«
Damit waren wir quitt.
Nadija gab mir einen Stapel alter Fälle von Gerl und Oppermann, um sie auf Unregelmäßigkeiten überprüfen zu lassen. Unsere ehemaligen Kollegen waren ja nach unserem letzten Fall vom Dienst suspendiert worden.
»Hat das Zeit?«, fragte ich. »Ich muss mich noch in die Akten von VIM einarbeiten. Außerdem habe ich gleich um elf einen Termin.«
»Was ist das für ein Termin, musst du zum Arzt?«
Und da sie weiß, wann man lügt, erzählte ich ihr lieber gleich, wie es zu dieser Verabredung gekommen war.
»Ich geh mit«, entschied sie und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Als wir um kurz vor elf bei dem Boxclub ankamen, sah ich Stinas tiefergelegten Golf und ein paar andere Autos der Frauen aus der Kranichstraße. Ich parkte den Granada ein Stückchen entfernt, neben zwei Porsches. Robert Schuler und Mehmet sahen sich die Wagen noch an, bevor sie uns in den Club folgten. In diesem Club gab Nadija auch Selbstverteidigungskurse für Schülerinnen. Sie grüßte mehrere Leute vom Personal und unterhielt sich dann mit dem Betreiber. Ich ging mich umziehen.
Als ich wieder rauskam, nahm Nadija mich zur Seite. »Ivo kennt den Typen.«
»Wer ist Ivo?«, fragte ich.
»Ihm gehört der Club. Dein Gegner heißt Michael Schneller. War schon ein paarmal da zu privaten Kämpfen. Er trainiert in Stuttgart. Ivo sagt, du sollst ihn nicht unterschätzen, er ist schnell und aggressiv, ein Heißsporn. Er hat hier noch nie verloren.« Nadija klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. »Ich geh mal rüber und seh, ob ich was machen kann.«
Sie wollte den Kampf verhindern. Ich wusste nicht, ob aus Sorge um mich oder weil sie solche Kämpfe generell nicht billigte. Ich hatte Lydia und alle anderen schon begrüßt, doch während ich mich aufwärmte, kam Stina zu mir. Sie sah sehr bedrückt aus und druckste erst nur rum. »Was ist los?«, fragte ich, während ich auf der Stelle trabte.
»Weißt du, wer das ist? Das ist Mike Schneller.«
»Habe ich gehört, Hobbyboxer.«
Stina sah mich mit großen, jetzt traurigen Augen an. »Ja, und Rennstallbesitzer. Er baut Jaguare auf, fährt Rennen in Europa, Arabien und den USA. Ich hab gelesen, dass er nächstes Jahr in der GT3 groß einsteigen will.«
Also daher weht der Wind.
Ich hatte aufgehört zu traben. »Und du denkst, wenn ich ihn jetzt vermöbele, kannst du bei ihm keinen Job mehr kriegen.«
Aus Stinas großen Augen kullerte eine Träne, sie zitterte am ganzen Körper. Dann ließ sie den Kopf hängen und sagte: »Bei keinem mehr«, und ging fort.
»He«, rief ich ihr hinterher, »willst du denn bei so einem Mistkerl arbeiten?«
»Er ist in Ordnung, cooler Typ. Die anderen sind die Arschlöcher. Sagt auch Pauline.«
Ich machte mich weiter warm. Dabei drosch ich meine Schläge mit der ganzen Wut auf diese verzwickte Situation in den Sandsack. Kämpfte ich nicht oder verlor ich, fielen diese chemisch verstärkten Möchtegern-Potenzprotze über die Mädchen her. Gewann ich, platzte Stinas Traum.
Und dann stand Schneller plötzlich in der Ringecke, einer von Ivos Leuten machte den Ringrichter. Bei mir lief die Routine ab. Ich kletterte in den Ring, ging in meine Ecke, konzentrierte mich.
Nadija trat zu mir. »Er will unbedingt kämpfen, war nichts zu machen. Aber du kannst schmeißen, und wir fangen sie bei Lydia mit der Sitte ab.«
Ich schüttelte den Kopf und nuschelte durch den Mundschutz: »Nee, die kennen bestimmt jemanden bei der Staatsanwaltschaft oder im Innenministerium, am Ende sind dann die Mädchen die Dummen. Überprüf mal die beiden Sekundanten. Stina sagt, das sind die Verursacher aller Probleme.«
Es gongte, Nadija verschwand. Ich ging in die Ringmitte zur Begrüßung. Dann sah ich nur noch Mikes Gesicht. Es bewegte sich vor mir, verschwand hinter der Deckung seiner Fäuste, tauchte ab, wich zurück, zuckte nach links oder rechts. Ich sah seine Schläge in seinen Augen, einen Bruchteil bevor er sie ausführte, wich ihnen aus, pendelte nach hinten weg, duckte mich und tanzte um ihn herum. Seine Nase schwoll an, das Jochbein wurde rot, wo es morgen blau sein würde. Meine linken Jabs taten ihre Wirkung. Ich wusste, das würde ihn aus der Fassung bringen, er sah gut aus, seine Nase war noch nie gebrochen worden. Er war wirklich ein Heißsporn, meine Gesichtstreffer machten ihn rasend. Er schlug auf meinen Körper, weil er meinen Kopf nicht treffen konnte. Zum Glück hatte ich in der Kur so hart gearbeitet.
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