»Na, und dich Teilzeit-Ordnungshüter habe ich ja auch noch«, sagte sie und fand, dass das für ein Kommissariat für Gewaltverbrechen natürlich lächerlich sei, aber für Friederichsburg vollkommen ausreichend. Seit ich weg war, hatte sie zwei ungeklärte Todesfälle, die sich aber als Unfälle entpuppt hatten, und zwei schwere Körperverletzungen, beides häusliche Gewalt, aufgeklärt. Und noch den üblichen Kleinkram: Morddrohungen, Schlägereien und so weiter.
Ich erzählte von der Kur und meinem ersten Tag bei VIM.
»Und deine Frau?«, fragte sie.
»Scheidung läuft. Die Kinder haben mich noch zweimal besucht. Ich sehe sie am Wochenende in Stuttgart.«
Nadija sah mir tief in die Augen, dann nahm sie mich in den Arm, und es tat gut. Ich fühlte ihren trainierten Körper, der so leidenschaftlich sein konnte, und dachte an meine Frau, eine andere Umarmung, als wir jung gewesen waren und die Kinder klein, ihr Lachen, das vergangen war und das ich noch immer vermisste.
Dann schob Nadija behutsam, aber bestimmt einen Arm zwischen uns beide. »Ich denke, es ist besser, wenn du dann mal nach Hause gehst.«
Auch wenn wir uns sehr mochten, war das ihre Bedingung gewesen: Partner im Beruf oder im Bett, beides ging nicht. Außerdem war sie jetzt die Chefin vom K11, meine Chefin.
Ich hatte mir ein Taxi nehmen wollen, aber um die Zeit gab es keines mehr in Friederichsburg, also musste ich zur Kranichstraße laufen. Es hatte leicht zu nieseln begonnen, und ich war gezwungen, die Hängeregistratur von Wandenberg zu schleppen, die auf die Dauer ganz schön schwer wurde. Deshalb war ich ziemlich schlecht gelaunt, als ich zu Hause ankam.
Bei Lydia war noch reichlich Betrieb. Auf dem Parkplatz fünf Autos, davon zwei Porsches und ein Jaguar F-Type. Meine Stimmung sackte noch tiefer in den Keller. Erst war ich von Nadija weggeschickt worden und hatte laufen müssen. Und jetzt waren da ein paar reiche Schnösel, die sich die Mädchen einfach so kauften. Mich ekelte es vor den arroganten, schmierigen, selbstgefälligen Freiern, als ich sie mir vorstellte.
Ich sah noch schnell bei Lydia rein. »Hi, ich bin wieder da.«
Lydia merkte sofort, dass ich angekäst war. »Was ist dir denn über die Leber gelaufen?«
»Es regnet«, offenbarte ich nur die halbe Wahrheit.
»Willst du ein Bad? Der Whirlpool ist frei.«
»Nee, ich geh schlafen.«
Aber an Schlaf war so schnell nicht zu denken. Über mir war richtig was los. Das Zimmer über meinem Schlafzimmer hatte eine junge Polin, die noch nicht so lange bei Lydia war. Sie hieß Pauline, hatte die Haare schwarz gefärbt, war tätowiert und hatte Piercings an den unmöglichsten Stellen. Sie sprach noch nicht so viel Deutsch, obwohl sie zweimal in der Woche zum Sprachkurs ging.
Ich hatte die Fenster zum Garten offen, die Stimmen von oben waren deutlich zu hören. Pauline konnte unmöglich mit einem Freier alleine so viel Lärm machen. Ich glaubte, mehrere Männerstimmen unterscheiden zu können. Eine Weile lag ich im Dunkeln und lauschte dem Treiben, dann schloss ich die Fenster. Jetzt hörte ich die Balken und Dielen der Decke rhythmisch knarzen, und Putzkrümel rieselten aus dem Riss in der Zimmerdecke auf den Boden vor meinem Bett. Wird ja irgendwann mal Schluss sein, dachte ich. Aber dann hörte ich Pauline jammern und schluchzen und die Männer lachen. Da stand ich auf.
Ich streifte meine Jeans drüber und ging zu Lydia. »Was ist denn bei Pauline los?«, fragte ich und winkte Lydia in den Flur, wo man ganz leise die Geräusche von oben hörte.
»Die hat einen Dreierpack mit aufs Zimmer genommen. Ich hab sie gewarnt, sie soll’s nicht tun, aber die haben ihr ganz schön was geboten.« Lydia machte ein bekümmertes Gesicht.
»Okay, ich glaube, das läuft aus dem Ruder«, sagte ich und war schon auf dem Weg nach oben. »Welche Mädchen haben gerade nichts zu tun? Kannst du sie holen?«
Während Lydia Selma, Yvette und Melissa einsammelte, klopfte ich an die Tür von Paulines Zimmer. Von drinnen kam nur ein geknurrtes »Nicht stören!« und Paulines ersticktes Jammern.
Lydia stand hinter mir. »Die haben bestimmt gesoffen und Viagra genommen, und jetzt wollen sie’s wissen.«
Die Tür war abgeschlossen. Ich rüttelte daran und rief: »Aufmachen, es brennt. Feuer! Kommen Sie raus, alle raus!«
»Hat mal eine von euch Feuer?«, fragte ich die Mädchen.
Lydia gab mir ein Feuerzeug. In dem Zimmer rumorte es. Ich zupfte eine Blume aus einem verstaubten Strohblumenstrauß im Flur und zündete sie an. In dem Moment, wo ich den Schlüssel im Schloss hörte, schlug ich sie aus, dass die Funken stoben. Die Tür wurde gerade in den Funkenregen hinein geöffnet. Ich schrie: »Es brennt, alle raus, raus hier«, und trieb Lydia und die Mädchen vor mir her.
Es funktionierte. Die drei Freier drängelten sich aus dem Zimmer und rannten hinter uns her. Im unteren Flur ließen wir ihnen den Vortritt, und sie stürzten auf den Parkplatz hinaus. Die Mädchen blieben in der Tür stehen und lachten sich schlapp über die drei halb bekleideten Idioten mit ihren Habseligkeiten in der Hand.
»So, Jungs«, sagte ich zu den Männern. »Pauline hat Feierabend für heute.«
Die Kerle waren angetrunken und aufgeheizt. »Hey, wer bist du denn? Verpiss dich«, sagte einer.
Ein anderer, eigentlich gut aussehender Mann Anfang dreißig kam auf mich zu. »Wir haben gezahlt, dreitausend. Für so lange, wie wir wollen, egal was. Das war der Deal.«
»Ja«, sagte ich, »aber da kam ja leider das Feuer dazwischen.«
Die Mädchen konnten sich nicht halten vor Lachen. Das war zu viel für die Kerle, sie stürzten durcheinanderschimpfend auf mich los. Ich war zu müde für eine Rauferei und zog meinen Dienstausweis.
»Lasst den Scheiß, Jungs. Sonst findet der Rest der Nacht in einer Zelle statt. Geht nach Hause, morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.«
Die zwei im Hintergrund waren etwas älter und nicht so gut in Form wie der Wortführer, aber offensichtlich musste er ihnen was beweisen. Sie stachelten ihn auf: »Lässt du dir das gefallen von einem, der sich hinter einem Pappkärtchen versteckt?«
Da wurde er angriffslustig, ging in Kampfhaltung und sagte: »Na los, Bulle, steck deinen Ausweis weg und sei ein Mann.«
Ich dachte schon, jetzt komme ich nicht mehr drum herum, aber da trat Lydia vor. »Na, na, meine Herren, das ist jetzt wirklich nicht die Zeit und der Ort für einen ordentlichen Kampf. Wenn Sie wirklich kämpfen wollen, können Sie das immer noch morgen machen.«
Lydia konnte sehr bestimmend sein, aber die Kerle gaben nicht einfach klein bei. »Okay«, sagte einer der beiden Sekundanten, »aber wenn der Herr Beschützer verliert, kommen wir wieder und kriegen einen Freifahrtschein für den Laden hier.«
Lydia wollte schon antworten, aber Melissa baute sich vor ihr auf. »Ey, du Arschloch, Carl wird nicht verlieren. Aber wenn ihr wiederkommt, machen wir euch auf unsere Art fertig. Und jetzt zieht Leine.«
Für einen Moment schwiegen alle Beteiligten mit unterschiedlich grimmigem Blick. Die Mädchen im Eingang, zu denen sich noch ein paar andere gesellt hatten, gruppierten sich hinter Melissa.
Eine hielt die verheulte Pauline im Arm und streichelte ihr über den Kopf. »Die sollen nur kommen, denen werden wir den Spaß gründlich verderben.«
Bevor noch was anderes passieren konnte, stieg ich die Eingangstreppe hinunter und drängte den Wortführer auf den Parkplatz zurück. Wir kamen uns dabei so nahe, dass unsere Nasen fast aneinanderstießen. Ich fühlte, er war ein Kämpfer, ein Alphamännchen, das es nicht gewohnt war zu unterliegen. Ich fragte mich, warum er sich von den beiden anderen so aufstacheln ließ. Noch immer Stirn an Stirn presste ich in einem Ton heraus, der keinen Widerspruch duldete: »Pass auf, das ist der Deal: morgen, elf Uhr, Boxclub Mühlenweg, du und ich. Wenn du gewinnst, kriegt ihr den Freifahrtschein, wenn ich gewinne, kriege ich deinen Wagen.«
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