Berthold Auerbach - Die Frau Professorin. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte

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Eine Geschichte über ein grundverschiedenes Paar: Reinhard ist Professor an der Kunstakademie und verliebt sich in die vom Dorf stammende Lorle. Das Ehepaar zieht in eine Residenzstadt, doch schon bald zeigt sich, dass Lorle sich in der Stadt nicht wohlfühlt und Reinhard zunehmend davon genervt ist, seine Frau in die städtischen Kreise einführen zu müssen. Als auch ein Versuch der Vereinbarkeit misslingt, zieht Lorle zurück in ihr Dorf…Die «Schwarzwälder Dorfgeschichten» bestehen aus 27 Erzählungen, die Berthold Auerbach zwischen 1843 und 1880 verfasste und mit denen er die literarische Gattung der Dorfgeschichte maßgeblich prägte. Sie spielen alle im ländlichen Raum des Schwarzwalds und charakterisieren das Dorfleben und seine Bewohner.

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Berthold Auerbach

Die Frau Professorin. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte

Saga

Die Frau Professorin. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1846, 2020 Berthold Auerbach und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726614527

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Es kamen zwei fremde Gesellen.

Da sitzt der Wadeleswirth am Gartenfenster im Stüble, er hat den Ellbogen auf den Sims gestemmt und den Kopf in die Hand gestützt; nach seiner Gewohnheit hat er die Füsse hinter die vordern Stuhlbeine geschlagen, als wollte er da festwurzeln; denn wo er einmal sitzt, da braucht’s fast eine Wagenwinde, um ihn wieder in die Höhe zu schroten.

Freilich sitzt er nicht mehr da, es thut ihm schon lang kein Finger mehr weh, seiner Zeit aber haben seine Finger Manchem weh gethan; die Rede ging, wo der Wadeleswirth Einen an den Kopf trifft, da wächst kein Haar mehr nach, darum versetzte er auch aus Barmherzigkeit seine Schläge ins Genick, da gibt’s auch kein Blut und thut doch wacker weh. — War der Wadeleswirth so ein Raufbold? Ihr werdet ihn schon kennen lernen, dass er ein Mensch war, so lammfromm und gutmüthig wie nur Einer; das hindert aber nicht, dass man zu guter Stunde Einem, der’s begehrt, gesalzene Faustknöpfle austheilt: kurzum, der Wadeleswirth war, wie man’s nimmt, ein absonderlicher Mensch oder auch nicht. Eigentlich hiess er nicht Wadeleswirth, sondern Lindenwirth, wozu er durch die Linde vor dem Hause und auf dem Schilde das klarste Recht hatte. Jener Name aber — ja das ist eine schlimme Sache, man redet nicht gern davon, es schickt sich nicht, und doch ist das, worauf es sich stützt, nichts Geheimes, man macht dort wo der Mann her ist, gar kein Hehl daraus, also: vom innern Kniegelenke bis gegen die Knöchel — rund heraus, die Wade war beim Lindenwirth tapfer bestellt und darum wurde er so genannt.

Jetzt können wir uns schon ruhiger beim Wadeleswirth niederlassen, wir müssen aber damit eilen, denn es gibt bald grosses Halloh im Hause und im ganzen Dorfe und Alles durch einen einzigen Menschen oder zwei.

Der Wadeleswirth sitzt also still da und lässt seine Gedanken um sich her schwirren wie die Fliegen, die summend die Stube durchschwärmen. Freilich hat man nicht viel Gedanken, wenn man so müde ist und wie der Wadeleswirth eben vom Feld heimkommt, wo man einen Wagen Heu aufgeladen; da thut’s wohl, geruhig zu verschnaufen und die Gedanken, wenn man deren hat, machen zu lassen was sie wollen. Der Katze, die auf dem äussern Fenstersims hockte und gar viel mit sich zu thun hatte, nickte er einmal zu, dann kehrte er sich um und rief:

„Lorle!“ Aus der Kammer antwortete eine Stimme: „Was?“

„Ich mein’, du machst’s auch wie die Katz; die putzt sich, wie wenn wir Fremde bekämen.“

„Mir ist’s auch so,“ antwortete es von innen.

„Mach’ dich nur fertig, und wenn du verkühlt bist, hol’ mir einen Trunk (Most) aus dem Keller; ich verdurst’ schier.“

„Gleich, gleich,“ antwortete es wieder aus der Kammer. Man hörte eine Kiste zuschlagen, dann Jemand die Treppe hinablaufen und bald wieder heraufkommen, die Thüre öffnete sich, da . . . da fiel hart am Fenster ein Schuss, ein gellender Schrei entfuhr dem Mund des Mädchens, das Glas mit dem Most lag auf dem Boden und die Katze sprang in die Stube ganz nahe vorbei an dem Gesichte des Wadeleswirths. Dieser stand auf und fluchte und das Mädchen war in der halbgeöffneten Thür verschwunden.

Wir aber müssen dem seltsamen Ereigniss nachgehen . . .

Zwei junge Männer schreiten durch den Bergwald; der eine in grauer Tyrolerjuppe mit grünen Schnüren, gross und breitbrustig, mit braunrothem unverschorenem Bart, einen grauen Spitzhut, breitkrämpig und vielfach zerdrückt auf dem Kopfe; der andere mit bescheidener Mütze, unter der ein feingeschnittenes Gesicht mit wohlgezogenem Backenbart sichtbar wird, seine kleine Gestalt etwas nach vorn gebeugt mit einem zertragenen schwarzen Ueberrock bekleidet. Die Beiden wandern wortlos dahin. Ein alter Bauer trägt ihnen zwei Ränzchen, eine Zither, einen Malerstuhl und eine Flinte nach. Jetzt treten sie aus dem Walde und im Thale vor ihnen zieht sich ein langes Dorf hin, wie man sagt, nur auf einer Seite gebacken, denn die Häuser stehen längs des Baches, der murrend und wildrauschend über und zwischen Felsen wegrollt; ein Steg führt über den Bach, wo jenseits auf einsamem Hügel die Kirche steht.

,,Da hast du’s, das ist Weissenbach,“ sagte der Grosse mit klangvoller Bruststimme.

„Ille terrarum mihi praeter omnes angulus ridet,“ sagte der Kleine, in dessen schwarzem Gewande wir mit Recht einen abgetragenen Schulrock vermuthet haben.

„Lass deinen Horaz,“ erwiderte der Grosse, dem wir ohne Scheu den Malerstuhl zuerkennen dürfen.

„Gern,“ versetzte der Kleine und sich umschauend fuhr er lächelnd fort: „Ite, missa est, ihr Bücher sollt mir nicht zwischen die Beine laufen in der freien Natur, still! Bruder, das solltest du malen, oder ich will ein Märchen schreiben, wie das Steckenpferd des Autors, das in jedem Buche aufgezäumt an die Krippe gebunden ist, lebendig wird und mit dem Buch davonjagt; es müsste herrlich sein, wenn so ein Rudel Bücher, eine ganze Bibliothek da den Berg hinunterritte, hussa! hussa! Ich will das Märchen schreiben.“ —

„Du thust’s doch nicht, du speist dir immer in die Hände und greifst nie zu.“

„Leider hast du Recht, aber hier will ich frisches Leben holen. Sieh, wie das Dorf hier so friedlich im Mittagsschlummer daliegt als wär’s ein grosses Wasserungeheuer, das sich am Ufer sonnt; die Strohdächer sind wie grosse Schuppen. Sieh dort die Kirche! Ich liebe die Kirchen auf den Bergen, sie gehören nicht mitten in den Häusertrödel. Auf diesen Felsen will ich meine Kirche erbauen — das ist schön! Auch leiblich sollen die Menschen aufsteigen, sich erheben zur geistigen Erhebung. Wie diese Kirche hier jenseits des Steges auf dem Berge steht, ist sie die wahrhaft transcendente, supranaturalistische.“

Nach einer Pause, fuhr er fort: „Hörst du die Hunde bellen und die capitolinischen Wächter schnattern? Hörst du die Kinder dort jauchzen? Die guten Kinder! Sie ahnen nicht, dass du kommst, ihre Jugend im Bilde zụ verewigen. Schon Virgil sagt sehr schön: O fortunatos nimium, sua si bona norint, agricolas. Das Volk ist doch wie die stille Natur, es weiss nichts von der Schönheit seines Lebens, es ist vegetabilisches Dasein und wir kommen, die Geistesfürsten, und verwenden ihre gebundene Welt zu freien Gedanken und Bildern.“

„Und wer weiss,“ erwiderte der Grosse endlich, „wie der Weltgeist uns verwendet, zu welchen Gedanken und Bildern wir ihm dienen.“

„Du bist frommer, als du glaubst, das ist ein grosser Gedanke,“ entgegnete der Gelehrte und der Maler fuhr auf:

„Numero A 1. Gib doch nicht gleich Allem was man sagt, ein Schulzeugniss.“

Die Beiden schwiegen. Der Maler, der seinen Kameraden doch zu hart angelassen zu haben glaubte, fasste seine Hand und sagte: ,,Hier bleiben wir nun, schüttle allen Schulstaub von dir, wie du dir’s vorgenommen, denk’ nichts und will nichts und du wirst Alles haben.“

Der Kleine erwiderte den Händedruck mit einem unendlich sanften Blicke und der Maler fuhr fort: „Ich muss dir den Mann schildern, bei dem wir bleiben.“

„Nein, thu’s nicht, lass mich ihn selber finden,“ unterbrach ihn der Kleine.

„Auch gut.“

Als sie sich jetzt dem Dorfe näherten, schlug der Maler den Fussweg ein, der hinter den Häusern herläuft; der Kleine bemerkte: „Es liegt ein tiefes Gesetz darin, dass die Naturstrassen nirgends geradlinig sind; der Bach hat einen undulirenden, einen wellenförmigen Weg, und die Strassen von Dorf zu Dorf ziehen sich selbst durch die Ebene in Schwingungen dahin. Die Philosophie der Geschichte kann davon lernen, dass Natur und Menschheit sich nicht nach der logischen Linie bewegen.“

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