Er musterte sie einen Moment lang schweigend, ließ seinen Blick über sie gleiten. Schließlich schüttelte er den Kopf und lehnte sich in seinem Sessel zurück.
»Sie wissen ja, wo es hinausgeht …«, murmelte er, während er einen Schluck Wasser aus einem Glas trank, das neben dem nun geschlossenen Laptop stand.
»Die Stelle habe ich für einen Mandanten ausgeschrieben, der anonym bleiben möchte. Zum einen geht es tatsächlich um die ausgeschriebene Tätigkeit als Assistentin, wenn auch weit eingeschränkter, als dies üblicherweise der Fall ist. Mein Mandant nimmt keine persönlichen Treffen wahr, keine Geschäftsreisen. Er arbeitet ausschließlich von zu Hause aus. Es fällt also tatsächlich nur die Arbeit am PC und am Telefon an.«
Er hielt inne und warf Emma einen geradezu flehenden Blick zu. Doch sie wollte mehr hören. Sie wollte wissen, wovon er glaubte, dass sie nicht bereit war, es zu tun.
Er richtete seine Krawatte und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Mein Mandant verlangt außerdem, dass Sie ihm jederzeit zur Verfügung stehen«, er zögerte kurz, ehe er hinzufügte: »zu seiner sexuellen Verfügung.« Er sah Emma eindringlich an, wartete scheinbar auf ihre Reaktion.
Emma brauchte einen Augenblick, bis sie seine Worte wirklich verstand. Blut schoss ihr in die Wangen. Ein Teil von ihr wollte augenblicklich aufstehen und gehen. Doch sie blieb, wo sie war. Ihr Vater würde sterben, wenn er seine Behandlung nicht bekam. Wie konnte sie da über so etwas Lächerliches wie Sex seine Chance zum Überleben aufs Spiel setzen?
»Miss Sullivan?«
»Ich bin noch hier«, flüsterte sie und versuchte, ihre Unsicherheit nicht in ihrem Gesicht zu zeigen.
Mr. Emerson schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er sie fragend an.
»Wieso? Wieso wollen Sie so einen Job annehmen? Ich meine, Sie haben mir wirklich zugehört, ja? Sie müssen jederzeit dazu bereit sein, Sex mit einem Ihnen vollkommen fremden Mann zu haben. Wann, wo und wie er es von Ihnen verlangt.«
Emma nickte wie in Trance. Ja, sie hatte ihn verstanden, aber es änderte nichts. Sie brauchte trotzdem das Geld, brauchte den Job. Bei seinen letzten Worten jedoch zog sich ihr Magen angstvoll zusammen.
»Ist er … ein Sadist oder so etwas?«
»Nein … nein … nur«, Mr. Emerson seufzte. Emma hatte aufgehört zu zählen, wie oft er das während ihrer Unterhaltung bereits getan hatte. »Er verlangt absoluten Gehorsam, wenn Sie verstehen, was ich meine?«
Emma nickte. Ihr Kopf musste glühen, so heiß war ihr. Sie glaubte zumindest zu verstehen, was er meinte.
»Sie wollen die Stelle immer noch? Wieso?«
Emma ließ den Blick auf ihre Hände sinken. Sie zitterte. Sie hatte es nicht gemerkt, doch sie sah es an ihren Fingern.
»Mein Vater liegt im Sterben«, erklärte sie mit leiser Stimme. »Es gibt eine Behandlung, die ihm helfen kann, doch die ist sehr kostspielig. Arbeitslos kann ich sie mir auf keinen Fall leisten und selbst mit einem Gehalt als Buchhändlerin …« Sie schüttelte den Kopf.
»Wenn ich die Stelle haben kann, dann nehme ich sie an.«
»Mein Mandant würde Sie augenblicklich nehmen. Aber ich bitte Sie, sich das noch einmal ganz genau zu überlegen, Miss Sullivan. Sie müssen für ein Jahr in seinem Haus leben, ihr Kontakt zur Außenwelt wird größtenteils eingeschränkt sein. Und Sie werden mit ihm allein sein. Momentan gibt es noch einen Butler, doch dieser wird nach Ihrer Anstellung in Rente gehen. Danach sind Sie mit meinem Mandanten allein. Und es gibt da noch einige Regeln, auf die er größten Wert legt: Sie dürfen ihn nie sehen, ihn nie selbst berühren und nie seinen Namen erfahren. Ich kann mir nicht vorstellen, wie schwer es für Sie sein muss, in der Situation mit Ihrem Vater zu sein … aber bedenken Sie auch bitte, was das für Sie selbst bedeuten wird.«
»Es bedeutet, dass mein Vater überleben kann«, gab Emma ruhig zurück und suchte erneut Mr. Emersons Blick. »Sie sagen, Ihr Mandant ist kein Sadist, ich habe also nicht zu befürchten, dass mir innerhalb dieses Jahres etwas zustößt.«
»Nein.« Er gab auf, sie hörte es an seiner Stimme. Sie sollte jubilieren, stattdessen fühlte sie sich selbst entsetzlich erschöpft.
»Also, kann ich die Stelle haben?«
Mr. Emerson nickte langsam, schob den Laptop zur Seite und zeigte ihr den Vertrag, den sie unterschreiben sollte. Er ging noch einmal alle Punkte mit ihr durch, ihre Arbeit, die Bezahlung, die weit größer war, als Emma sich je hatte träumen lassen. Sie unterschrieb, ohne ein weiteres Mal darüber nachzudenken. Mr. Emerson versprach ihr, einen Vorschuss auf ihren Lohn am kommenden Montag an das Krankenhaus zu überweisen. An dem Tag, an dem sie ihre Stellung antreten würde. Weniger als eine Woche hatte sie Zeit, ihre Angelegenheiten zu regeln. Als sie das Büro verließ, zitterte sie am ganzen Körper.
»Denk ja nicht darüber nach, ob das ein Fehler ist«, warnte sie sich selbst und schloss für einen Moment die Augen, ehe sie sich auf den Weg zu ihrem Vater ins Krankenhaus machte. Sie hoffte, Dr. Miles anzutreffen, und mit ihm über die Behandlung reden zu können. Ihr Vater würde seine Behandlung erhalten und den Krebs besiegen. Das war alles, was zählte.
»Was zum Teufel sollte das?«, zischte Nathan ins Telefon, als Matthew ihn nach einer gefühlten Ewigkeit anrief. »Matthew, bei aller Freundschaft, wie konntest du sie gehen lassen? Ich weiß, dass du nichts von der Idee gehalten hast, aber dass du so weit gehen würdest …«
»Sie kommt am Montagmorgen um zehn Uhr«, teilte Matthew ihm ohne jegliche Emotion in der Stimme mit.
Nathan hielt inne.
»Ich dachte, du würdest sie wegschicken«, meinte er schließlich merklich ruhiger.
»Das wollte ich auch«, gestand Matthew. »Aber sie wollte nicht gehen. Selbst dann nicht, als ich ihr sagte, was genau du von ihr erwartest.«
Ein Lächeln zog an Nathans Mundwinkel, ließ seine Narbe schmerzen. Er hatte es gewusst. Sie besaß eine Stärke, die er ihr beim ersten Anblick angesehen hatte.
»Matt … Danke.«
Matthew murmelte nur etwas Unverständliches, ehe er auflegte.
»Ich werde dich leider nicht mehr so oft besuchen können, aber ich ruf dich ganz oft an und so oft ich es schaffe, komme ich vorbei und wenn die Behandlung vorbei ist und du entlassen wirst und das Jahr rum ist …«
Ihr Vater griff nach ihrer Hand und brachte sie damit zum Schweigen. Emma sah ihn fragend an, als er sie besorgt anschaute.
»Und das ist wirklich ein guter Job, ja? Es ist nichts Illegales oder …«
»Papa, natürlich nicht. Es ist ein guter Job und ich werde gut bezahlt.«
»Dafür musst du nur ans andere Ende des Landes ziehen«, wiederholte ihr Vater die Lüge, die sie ihm aufgetischt hatte. Emma wusste nicht, ob er ihr wirklich glaubte. Er behauptete stets, sie könne nicht lügen und ihr Leben lang hatte er auch stets jede Schwindelei erkannt. Vielleicht war dies aber auch eine Lüge, die er glauben wollte: Emma hatte behauptet, eine gute Stelle in einer staatlichen Bibliothek in Schottland erhalten zu haben. Zwar nur auf ein Jahr befristet, aber mit hervorragender Vergütung.
Vielleicht hatte er wirklich nicht gesehen, wie ihre Mundwinkel bei diesen Worten leicht gezuckt hatten, vielleicht hatte er es auch einfach nicht sehen wollen. Sie tat es für ihn, das musste sie sich nur immer wieder sagen, wenn die Zweifel sie erneut packten. Sie tat es für ihn und sie würde noch viel mehr tun, wenn sie ihrem Vater damit die nötige Behandlung bezahlen konnte.
Was war schon ein Jahr? Ein Jahr ging schnell vorbei und danach hätten sie genug Geld, um in ihr altes Leben zurückzukehren. Alles würde wieder so werden, wie es vor der Erkrankung ihres Vaters gewesen war.
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