Sie läuft in ihr Zimmer. Bevor die Mutter ihr folgt, überlegt diese noch einmal. Doch sie kann sich das Fehlen der Weihnachtsfee nicht erklären. Nur eines ist sicher: Ohne Fee wird es für Marie das traurigste Weihnachtsfest, dass sie je erlebt hat.
Spät am Abend kommt ihr Papa heim. Bei dem Wiedersehen fließen bei Marie abermals Tränen. Sie freut sich zwar ungemein, dass er da ist – doch der Verlust der Weihnachtsfee überschattet im Moment alles.
„Marie, mein Schatz, vielleicht finden wir sie ja noch. Ich suche nachher noch einmal. Versprochen. Wir wissen doch, was sie dir bedeutet. Lass uns Abendbrot essen und dann gehst du ins Bett. Schlaf dich aus. Schließlich ist morgen Heiligabend.“
„Aber ich kann bestimmt nicht schlafen. Ich bin sooo furchtbar traurig, Papa.“
„Ich weiß. Bisher haben sich doch all deine Wünsche erfüllt. Glaube fest dran – und es wird ganz sicher auch in diesem Jahr so sein!“
Als das Mädchen am Morgen erwacht und in die Stube läuft, ist die Spitze des Baumes noch immer leer. Enttäuscht geht Marie ins Schlafzimmer ihrer Eltern.
„Du hast sie nicht gefunden, Papa?“
„Leider nein“, antwortet er ihr traurig. „Aber noch ist ja nicht Abend.“
Der Tag schleppt sich für Marie nur so dahin. Um sich abzulenken, baut sie draußen einen Schneemann und rodelt mit dem Schlitten die Hügel hinab. Doch richtig bei der Sache ist sie nicht.
„Marie, ich muss noch mal kurz ins Dorf. Papa ist im Haus. Bis später!“
„Ja, tschüss, bis dann, Mama.“
Am frühen Nachmittag gehen sie gemeinsam zum Krippenspiel in die Kirche. Zumindest für diesen Moment scheint Marie die weihnachtliche Stimmung zu genießen. Auf dem Heimweg ist sie dann jedoch wieder in sich gekehrt. Schließlich erwartet sie zu Hause ja nicht die Weihnachtsfee und damit ganz sicher auch nicht das Geschenk, dass sie sich gewünscht hat. Ganz in Gedanken versunken, betritt sie daheim die Stube und traut ihren Augen nicht. Zwei Weihnachtsfeen thronen an der Spitze des Baumes. „Schaut, nur! Schaut! Das gibt es doch nicht! Mama, Papa!“
Die beiden stehen erleichtert neben ihrer überglücklichen Tochter. Über Maries Kopf hinweg zwinkern sie sich heimlich zu. Was das Mädchen nicht ahnte: Jeder der beiden hatte sich am Vormittag auf die Suche gemacht. Mama kaufte die letzte Fee im Geschenkestübchen im Dorf und Papa fand die verloren gegangene im Haus.
So ist dieses Fest für alle einmalig geworden: Ein strahlendes Kind, glitzernde Weihnachtsfeen am Baum und glückliche Eltern.
Ihre Geschenke, ein großes Feen-Bastelbuch und eine Fee als Puppe, entdeckt Marie vor lauter Aufregung erst später. „Das sind ja genau die Sachen, die ich mir gewünscht habe. Zum Glück habe ich ganz fest an die Weihnachtsfee geglaubt – und es hat wie immer funktioniert.“
Sylvia Michaelis, Jahrgang 1970, verheiratet, zwei Kinder, ist selbständige Floristin. Schon immer hat sie gern gelesen und geschrieben. Durch den Alltag, Arbeit und Familie blieb der Wunsch vom ideenreichen Schreiben bisher ein Traum in weiter Ferne.
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Flunkerlands Weihnachten
Hast du so etwas vorher schon mal gekannt,
ist Weihnachten in Flunkerland.
Man steht dort erst am hellen Abend auf.
Seht!
Holt der Vater vom Schrank die Weihnachtseier,
die Katze spielt auf einer Leier!
Die Gäste kommen mit dem U-Boot-Wagen,
sie sind aber nicht geladen.
Es soll alles glänzend schmutzig sein.
Schnell!
Das Haus werden wir gründlich dreckig kriegen,
am Weihnachtsabend spät um sieben!
Die Tante ist von den Blumen sehr entzückt,
die sie hier im November pflückt.
Zum Festmahl sitzen wir im Badezimmer.
Lacht!
Leise singen wir brüllend Verse im Dauerlauf,
und sagen Hasenohrenlieder auf!
Geschenke werfen wir hoch zum Schornstein raus,
seit Ostern liegen sie im Haus.
Auch der Tannenbaum wird weggeschmissen.
Schaut!
Langsam fließt das Wachs hinauf von ganz allein,
an Kerzen im eisigen Sonnenschein!
Es gibt Tee und einen halben Becher Brot,
ein Löwenzahn geht auch zur Not.
Ich schenk mir selbst ein buntes Gar-nichts-Nix.
Hört!
Wer hat das wohl vorher schon so gekannt,
ist Weihnachten in Flunkerland!
Sabine Zimmermann ist examinierte Krankenschwester, absolviert zurzeit ein Fernstudium als Kinder - und Jugendbuchautorin und lebt mit ihrer Familie in Harsefeld. Sie schreibt Geschichten für große und kleine Leute und Texte für Kinderlieder und musikalische Theaterstücke.
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Lisa und der Nikolaus
Sie wippte ungeduldig auf dem Sessel. „Wann kommt er denn?“
Opa schaute auf seine goldene Taschenuhr und zuckte mit den Schultern. Die Eltern und Großeltern saßen auf dem Sofa im adventlich geschmückten Wohnzimmer. Lisa hatte ihr blaues Kleid angezogen und eine weiße Schleife in ihr langes, braunes Haar gesteckt.
Opa stand auf. „Ich schaue mal nach, wo der Nikolaus bleibt.“
„Er hat uns doch nicht vergessen?“, fragte Lisa unsicher. Für einen Moment war es ganz still im Wohnzimmer. Auf dem Tisch brannten Kerzen.
Dann schellte es an der Tür. Lisa hielt den Atem an, als Oma in den Flur ging und öffnete. Lisa hörte schwere Schritte durch den Flur hallen.
Der Nikolaus betrat das Wohnzimmer. Er war groß und kräftig gebaut und stapfte mit seinen schwarzen Lederstiefeln auf das Mädchen zu. „Guten Abend liebe Familie, hallo Lisa!“ Er gab ihr die Hand.
„Jetzt ist Opa nicht da“, sagte sie aufgeregt, als er sich im großen Lehnsessel niederließ. Vorsichtig begann Lisa auf ihrer Flöte das Lied „Nikolaus komm in unser Haus“ zu spielen, doch nach den ersten Takten wurde sie sicherer. Die Eltern wippten im Takt und auch der Nikolaus schmunzelte vergnügt. Lisa war stolz, dass sie ihr Flötenstück fehlerfrei vorgeführt hatte. Der Nikolaus fuhr fort mit Erzählungen von seinen abenteuerlichen Reisen zur Erde und stellte mit einem Blick in sein goldenes Buch fest, dass Lisa das ganze Jahr über brav gewesen ist. „Vielleicht war ich auch nicht aufmerksam genug.“
„Doch, ich war immer lieb“, sagte sie und guckte wieder zur Tür, ob ihr Opa nicht endlich käme.
Der Nikolaus kramte geheimnisvoll in seinem braunen Jutesack. Lisas Mund weitete sich vor Staunen, als er ein großes, grünes Paket mit gelber Schleife herausholte und es ihr gab. Stolz ging Lisa zur Mutter, setzte sich auf ihren Schoß und zog vorsichtig an der Schleife. Im Karton lag ein fein bemaltes Kaffeeservice für ihre Puppenküche.
„Danke!“, rief sie voll Freude. Wie der Nikolaus nur immer wusste, dass sie sich genau das wünschte? Auch die anderen bekamen Geschenke: eine silberne Halskette für die Mutter, ein edles Briefset für den Vater und ein Paket feinster Trüffelpralinen für Oma.
„So, ich muss nun weiter.“ Der Nikolaus erhob sich.
„Aber Opa ist noch gar nicht da!“, stellte Lisa fest.
Der Nikolaus gab sich unbeeindruckt. „Und denk immer daran: Bleib genauso brav wie du bist.“
„Na klar“, sagte Lisa. „Nächstes Jahr bin ich schon sieben.“
Oma stand auf. „Ich bringe Sie dann zur Tür.“
„Aber gern. Bis nächstes Jahr!“
„Wiedersehen“, sagte Lisa und bemerkte erst jetzt, dass auch die Erwachsenen beschenkt wurden. „Bekommt Opa kein Geschenk? Er ist vorhin rausgegangen und noch nicht wieder da!“
Sie lief in den Flur, um den Nikolaus aufzuhalten. Lisa erschrak. Ihre Oma umarmte und küsste den Nikolaus! „Was machst du da?“
Oma fuhr erschrocken zusammen. „Also, bis nächstes Jahr. Auf Wiedersehen, Herr Nikolaus.“ Dieser zog hastig die Haustür hinter sich zu.
„Ich wollte den Nikolaus nach einem Geschenk für Opa fragen“, sagte Lisa.
„Wenn Opa nicht da ist, bekommt er auch kein Geschenk.“
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