„Überhaupt gibt es heute eine Menge Vernissagen und Finissagen mit Häppchen und einem Glas Wein. Man wird Mitglied in diversen Fördervereinen, wie dem Museumsverein, Theaterverein, Bibliotheksverein, Glockenverein und sonstigen Vereinen. Hier trifft man sich regelmäßig und das verschafft ein gutes Gefühl.“ Golos Stimme klingt etwas ironisch.
„Man will Alter und Einsamkeit verdrängen“, entgegnet Max.
„Warum auch nicht?“, verteidigt Kiri ein solches Verhalten. „Die Älteren nehmen die Kulturangebote wahr und freuen sich daran. Sollen sie zu Hause versauern? Ich bin ebenfalls in zwei Vereinen und finde es gut, wie viele Leute sich für eine sinnvolle Sache einsetzen.“
„Du hast recht. Nur manchmal glaube ich, eine gewisse Zwanghaftigkeit in diesem Tun zu entdecken“, gibt Golo zu.
„Jedenfalls möchten viele etwas tun, womit sie der Gesellschaft irgendwie nützlich sind. Daher sind eine Reihe von Menschen auch ehrenamtlich tätig“, betont Max.
„Man kann es aber übertreiben“, meint Lisa. „Eine meiner betagten Nachbarinnen ist geradezu besessen aktiv. Jeden Tag ist sie von morgens bis abends beschäftigt. Sie sitzt in verschiedenen Gremien der Kirche, kümmert sich um den Friedhof, besucht Kranke, singt im Chor und organisiert Gemeindefeste.“
„Ob sie sich wirklich dabei wohlfühlt?“
„Ich weiß es nicht, vielleicht kompensiert sie ihr Singledasein. Innere Ruhe und Ausgeglichenheit strahlt sie nicht gerade aus.“
Kiri führt das folgende Beispiel an: „Eine Nachbarin, die bereits 69 ist, erfüllt es, jedes Jahr für zwei Monate als Ärztin in die Slums von Kalkutta zu gehen. ‚Hast du denn keine Angst, dich mit einer schlimmen Krankheit anzustecken?‘, habe ich sie gefragt. Sie zuckte die Achseln: ‚Es ist mir wichtig, das zu tun.‘“ Kiri ist die Bewunderung für ihre Nachbarin anzumerken.
„Ein Freund von mir“, sagt Golo, „spricht von der schönsten Zeit seines Lebens. Er studiert jetzt Geschichte, muss keine Prüfungen ablegen und kann die Lehrveranstaltungen besuchen, die er mag.“
„Ist das Alter wirklich die schönste Zeit seines Lebens?“ Lisa hat da ihre Zweifel. „Macht er sich etwas vor oder hatte er wirklich ein so armseliges Leben? Alt zu sein als ideal empfinden! Ich glaube, dahinter verbirgt sich eher die Flucht nach vorn.“
„Sein Freund ist immerhin besser dran als andere“, mischt Max sich ein. „Die Aufgabe im Beruf ist weg, darauf folgen bei manchen Antriebsschwäche, Lahmheit, Trägheit. Eine Bekannte trennte sich von ihrem Partner, weil er nur noch im Sessel saß und nichts tat. Zuvor war er ein sehr umtriebiger Banker gewesen.“
„Andere lieben es, ständig unterwegs zu sein.“ Kiri wirkt belustigt. „Mein Schulfreund zum Beispiel reist und reist. Und das nicht nur in der wärmeren Jahreszeit, auch der Winter muss überstanden werden. Kürzlich war er im Januar auf Sardinien. Es war eisig kalt und es hat fast nur geregnet. Im März wird der Wohnwagen auf Vordermann gebracht und ein Campingplatz frequentiert. Er erweckt in mir den Eindruck eines Getriebenen, der es schwer lange zu Hause aushält.“
„Sich Dinge zu erlauben, die man einfach tun möchte, ohne darauf zu schauen, was andere Leute letztlich denken – das ist das Privileg des Alters“, meint Lisa schmunzelnd. „Sah ich doch morgens einmal eine etwa 80-jährige Frau, die sich zunächst auf dem Spielplatz umschaute, ob sie auch niemand sieht. Dann stieg sie auf die Rutsche und rutschte hinunter. Das tat sie mehrmals.“
„Manche Menschen neigen wiederum dazu, im Alter Dinge zu tun, bei denen sie ihr Alter ignorieren“, stellt Alma fest. „Eine Freundin von mir macht mit 78 noch Reitturniere mit, riskiert es, vom Pferd zu fallen, wie sie selbst sagt. Aber sie möchte sich vom Alter nicht geschlagen geben. Ohne Risiko empfinde sie Ebbe, das Risiko gehöre nun mal zum Leben.“
Golo wehrt ab: „Ich bewundere deine Freundin, aber ich würde es nicht tun. Bereits ein Knochenbruch kann im Alter der Beginn des Siechtums sein.“
Positive Perspektiven für das Leben im Alter
„Heute stehen alten Menschen viel mehr Möglichkeiten offen als früher.“ Man sieht Lisa ihre Befriedigung darüber an. „Ich kenne inzwischen mehrere Leute, die in eine Seniorenresidenz gezogen sind. Sie sind des Lobes voll. Stets fallen die Worte: ‚Warum habe ich so lange damit gewartet und mich an meine Wohnung, an mein Haus geklammert. Hier habe ich Gesellschaft, soweit ich das möchte. Es wird saubergemacht, mittags wird mir ein warmes Essen serviert. Es ist für alles rundum gesorgt.‘ Mich erstaunt es schon, wie oft ich das höre. Ich kenne niemanden, der diesen Schritt bereut hat.“
„Hier existiert doch wirklich eine Perspektive für ein Leben im Alter, wenn vieles nicht mehr geht“, bestätigt Max. „Ich bewundere meine Mutter. Sie hat immer in großen schönen Wohnungen gelebt. Als sie mit 90 ins ‚Betreute Wohnen‘ zog, nur noch anderthalb Zimmer hatte, sagte sie: ‚Ist das eine schöne Wohnung, in der ich nun leben darf.‘“
„Wenn mir solch eine lebensoffene Haltung bis ins hohe Alter gelänge, wäre ich sehr dankbar“, sagt Golo beeindruckt.
„Entscheidend ist doch immer: Wie fühle ich mich? Ist das so in Ordnung für mich?“, fügt Alma hinzu. „Man kann auf verschiedene Art das Alter leben. Innere Ausgeglichenheit und Zufriedenheit kann ich jedoch erst erreichen, wenn ich mein Altsein anzunehmen vermag.“
„Das Altsein annehmen!“, wiederholt Golo nachdenklich.
„Ich habe kürzlich meine alte Tante besucht“, fährt Alma fort. „Sie freut sich jedes Mal, wenn ich komme, und verfügt mit ihren 94 Jahren noch immer über eine uneingeschränkte geistige Lebendigkeit. Sie sagt: ‚Die Einsamkeit ertrage ich im Alter besser als früher. Ich spüre einen starken inneren Halt. Ich weiß, was mir wirklich wichtig ist, was weniger. Und ich bin nicht darauf angewiesen, was andere denken. Mir einen Hund oder eine Katze anzuschaffen, seitdem mein Mann tot ist, habe ich nie in Erwägung gezogen. Ich mag Menschen, ich brauche kein Tier, das mich besser versteht.‘“
„Eine bemerkenswerte alte Dame!“
„An allem, was um sie herum geschieht, ob es sich um die kleinen oder die großen Probleme dieser Welt handelt, nimmt sie regen Anteil. An manchen Tagen geht es ihr gesundheitlich schlecht. Dann höre ich: ‚Vergleichen macht unzufrieden. An schlechten Tagen hänge ich mehr am Leben als an guten.‘
Ich frage sie: ‚Was ist am Alter positiv?‘ und erhalte die Antwort: ‚Ach, so vieles. Ich bin zwar alt, aber innerlich spüre ich, ich könnte mich noch verlieben.‘“
„Sie scheint in innerem Frieden mit sich selbst zu leben“, sagt Golo nachdenklich.
„Das bezeichnet man wohl als Altersweisheit“, bemerkt Lisa.
Alle schweigen bewegt.
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