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Demenz – der Verlust des Ichs
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Krankheit als Chance
Mit schwerer Krankheit konfrontiert sein
Am Ende einer langen Reise
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Leben und Sterben gehören untrennbar zusammen
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Das Lebensende nicht annehmen können
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Ist der Tod ein Schlusspunkt?
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Wo gehen wir hin, wenn wir sterben?
Die Erfahrung von Unbegrenztheit
Es schließt sich nicht ein Tor – es öffnet sich ein Tor
Quellenangaben
Über die Autorin
Es werden Episoden geschildert, die Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, vielleicht merkwürdig, skurril oder unglaubwürdig vorkommen. Es sind jedoch Begebenheiten, die alle aus dem Leben gegriffen sind.
Das Alter rückt mir zu Leibe
Alma, Kiri, Lisa, Golo und Max haben sich bei einem Yoga-Kurs kennengelernt. Sie sind Freunde geworden und treffen sich regelmäßig. Für heute haben sie sich in einem Café im Zentrum der Stadt verabredet. Das Café bietet ein opulentes und sehr verführerisches Kuchenbuffet an.
Alma ist hochgewachsen und mit ihren 72 Jahren die Älteste in der Runde. Sie war Psychologin am Klinikum. Von Natur aus bescheiden, nimmt sie nur ein Stück Bienenstich.
Kiri, von Beruf Lehrerin, ist 68 Jahre alt, eine kleine rundliche und agile Frau. Sie isst gern und bestellt sich ein Stück Sahnetorte, ein Stück Mohnkuchen sowie ein Ochsenauge.
Lisa, mit 63 Jahren die Jüngste in dieser Runde, ist leitende Mitarbeiterin in der Stadtbibliothek. Sie hat auffallend schwarze Haare, ist von mittlerer Statur, ernst und zurückhaltend. Sie bestellt ein Schweinsohr.
Golo, groß und schlank, ist 64 Jahre und arbeitet als Biologe in dem bekannten Naturkundemuseum der Stadt. Er hat ein etwas lärmendes Naturell. Bald wird er in den Ruhestand gehen. Offensichtlich hat er ein besonderes Faible für Süßes und bestellt sich zwei Stück Torte und eine Nussecke.
Schließlich ist da noch Max, etwas dicklich. Mit seinen 69 Jahren arbeitet er noch stundenweise in einem Ingenieurbüro. Er hält sich zurück und nimmt lediglich ein Stück Käsekuchen.
Alle fünf verbindet der Wunsch, sich über das Altwerden auszutauschen. Hier im Café ist es gemütlich und der Kaffee ist ausgezeichnet.
Die Angst vor dem Ruhestand
„Warum gehst du nicht in den Vorruhestand? fragen mich viele Freunde“, beginnt Lisa. „Du hast doch so viel Stress und gesund bist du auch nicht mehr.“
„Ich muss schon sagen, du siehst wirklich ziemlich angegriffen aus.“ Kiri kann es nicht lassen, etwas gegen Lisa zu sticheln.
„Mit dem Stress, das stimmt schon“, gibt Lisa zu. „Ich habe das Gefühl, für alles in unserer Bibliothek zuständig zu sein. Meine Chefin ist froh, dass ich die gesamte Finanzplanung übernommen habe. Alle Mitarbeiter kommen zu mir, wenn irgendetwas nicht klappt. Ich bin so eine Art Drehkreuz. Das wird mir schon mal zu viel.“
„Du scheinst eine zentrale Rolle in deiner Bibliothek zu spielen. Ist das nicht ein tolles Gefühl? Ohne dich läuft doch nichts.“ Golos Tonfall ist fast etwas neidisch.
„Richtig, man hört auf mich.“
„Plötzlich zu Hause sitzen, das stelle ich mir nicht einfach vor“, sagt Max.
„Das ist ja das Schwierige. Ich erfahre Anerkennung, viel Lob, man mag mich. Und im Prinzip fühle ich mich auch wohl. Ein bisschen graust mir davor, zu Hause zu sein: saubermachen, Essen kochen, Gartenarbeit – und auch die fehlenden Gespräche …“
„Die Entscheidung ist schon schwer. Da kannst du nur in dich hineinhorchen, was du tief in deinem Inneren fühlst. Dem würde ich nachgehen“, fügt Alma hinzu.
Nach einer Weile sagt Golo: „Auch ich habe ein sehr ambivalentes Gefühl im Hinblick auf das bevorstehende Ende meines Arbeitslebens. An Stress fehlt es mir ebenfalls nicht. Die Mitarbeiter jammern schon jetzt, dass sie allein unmöglich alles schaffen können. Hinzu kommt, dass sich in regelmäßigen Abständen alle in neue Computerprogramme einarbeiten müssen. Kurzum, ich sehne den Tag herbei, wenn ich in den Ruhestand gehen kann, und ich bin mir sicher: Die Arbeit werde ich nicht vermissen.“
„Das kann ich gut verstehen“, meint Kiri.
„Doch andererseits, wie wird es mir ergehen, wenn ich morgens nicht mehr früh aufstehen muss? Ich kenne meinen Hang, am Wochenende erst spät hochzukommen. Wie wird es sein, wenn ich nicht mehr täglich zur Arbeit gehe? Im Ruhestand wird dann der Tag vor mir liegen – ohne Aufgaben.“
„Du wirst dich schon zu beschäftigen wissen, da habe ich keine Sorge.“
„Wahrscheinlich schon, doch werde ich Dinge tun, die ich ebenso lassen könnte.“ Golo hält inne. „Außerdem, was kommt auf mich zu? Krankheit, Gebrechlichkeit – ein erschreckender Gedanke. Überhaupt: das Verschwinden von dieser Erde. Das ist für mich nach wie vor unbegreiflich.“
„Und dieses Gefühl“, ergänzt Lisa, „in die letzte Phase des Lebens einzutreten. Das bereitet ein tiefes Unbehagen.“
Max isst genüsslich seinen Käsekuchen und meint: „Schwer haben es Menschen, die eine besondere Rolle im Berufsleben gespielt haben. Ich habe oft beobachtet, wie ‚Freunde‘ sich um solche Personen mit Einfluss scharten. Wer ‚wichtig‘ ist, der wird zum Essen, zum Segeln, zu Partys eingeladen.“
„Sind solche Personen jedoch weg von ihrem Posten, dann sind auch die Freunde weg“, bestätigt Kiri und rührt nachdenklich in ihrem Kaffee.
„Viele ahnen das und sehen ihrem Ruhestand daher sehr beunruhigt entgegen. Neulich ging ich bei einem Empfang auf den alten Chef zu, der einsam dastand. Früher hätte er mich kaum registriert. Ich merkte, wie dankbar er war, dass er mit jemandem reden konnte.“
„Eine junge Mitarbeiterin meiner Bibliothek fragte mich kürzlich, ob ich Angst vor dem Ruhestand hätte“, ergänzt Lisa. „Ich war überrascht. Ihre Großmutter sage immer: ‚Jeder Tag ist gleich, das Leben ist so eintönig. Ich weiß noch nicht mal, ob Sonntag, ein Feiertag oder ein Wochentag ist.‘ Die junge Frau war entsetzt darüber und wollte wissen, ob ich mit Schrecken an mein Rentnerdasein denke.“
Vorstellungen vom Ruhestand – und wie die Realität aussieht
„Der Ruhestand wird unweigerlich kommen. Viele Menschen haben Vorstellungen von dem, was sie dann tun wollen“, sagt Alma. „Und ich meine jetzt nicht, was ich von Frauen bisweilen höre: ‚Endlich habe ich dann Zeit, alle Schränke mal so richtig aufzuräumen.‘“
„Schränke aufräumen!“, wiederholt Kiri, „und dann? Meine Freundin Susanne redete seit Jahren davon, mit ihrem Mann – wenn sie erst mal in Rente sind – in den Süden Deutschlands zu ziehen. Dort sei es wärmer, die Kleinstädte so schnuckelig mit schönen Boutiquen und gemütlichen Cafés. Dort mache das Leben so richtig Spaß.“
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