„Was ist Spaß? Und macht Spaß zufrieden?“ Lisa wirkt etwas ungehalten. „Susanne ist sich sicher nicht darüber bewusst, was sie aufgeben würde. Heimat, sie lebt doch seit 50 Jahren in unserer Stadt. Vertrautheit mit der Stadt, den Menschen, der Landschaft.“
„Ganz zu schweigen von den Freunden und Bekannten“, betont Kiri und schüttelt den Kopf. „Ich empfinde die Zugehörigkeit zu meiner Stadt als gewisse Geborgenheit. Hier fühle ich mich wohl und ich möchte im Alter nicht in eine fremde Stadt ziehen. Übrigens ist Susanne nie weggezogen.“
Nun meldet sich Golo zu Wort: „Manche Leute haben wirklich falsche Vorstellungen von der Realität des Alters. Dazu gehört meine ehemalige Kollegin, die erklärte: ‚Also, wenn ich im Ruhestand bin, dann reise ich in andere Länder und werde dort vor allem wandern.‘
Und was war? Sie buchte eine Wanderreise nach Kreta. Dort merkte sie, dass sie die Hitze nicht vertrug. Am nächsten Tag brach man zur Wanderung auf. Die Knie taten ihr bald schrecklich weh. Sie weiß noch heute nicht, wie sie überhaupt wieder zurück in ihr Quartier gekommen ist. Danach saß sie nur noch im Café, während die anderen wanderten. Sie war total niedergeschmettert.“
„Das kann ich mir gut vorstellen“, wirft Max ein.
„Sie war ganz verzweifelt und meinte: ‚Mein Leben lang habe ich mich im Beruf engagiert, kaum Freizeit gehabt. Ich habe auf den Ruhestand gewartet, um endlich Zeit für Bergtouren zu haben. Das ist immer mein Traum gewesen. Ich bin zu alt, ich schaffe es nicht mehr.‘ Dann brach sie in Tränen aus.“
„Ihre Vorstellung vom Leben nach dem Ende der beruflichen Tätigkeit war also zerbrochen.“
„Ja, so ist es, wenn man sein Leben aufschiebt.“ Golos Stimme klingt gelassen.
„Nicht selten sprechen Menschen über 50 vom Ruhestand als einer schönen Zeit, die ihnen bevorsteht“, sagt Alma. „Ich antworte dann jedes Mal: ‚Ist ja alles gut und schön, aber du bist dann auch alt.‘ Sie machen dann ein irritiertes Gesicht.“
„In der Jugend liegt die Zukunft wie eine Verheißung vor uns. Was wird sie mir an Überraschungen, an hinreißenden Erlebnissen, an großen Gefühlen bringen? Wir stürzen uns ins ersehnte Vergnügen. Die Jagd nach Glück. Den Tod gibt es nur für andere, er ist so weit von mir weg.“ Bei diesen Worten wirkt Golo etwas entrückt.
„Schöne Jugendzeit!“ Ein Schimmern tritt in die Augen von Max.
„Vor ein paar Tagen unterhielt ich mich mit einer Nachbarin, einer sehr alten Frau.“ Kiri spricht auf ihre lebhafte Art. „Plötzlich stutzte ich. Die sehr alte Frau ist doch jünger als ich! Mir wurde bewusst, wie alt ich geworden bin. Selbst wenn ich mich innerlich noch jung fühle, ich weiß von meinem Alter. Ich verberge es auch nicht, aber ich fühle es nicht.“
Alma bestellt noch einen Kaffee: „Eine Freundin, inzwischen 65, eine kluge Frau, Finanzexpertin, hält den Prozess des Alterns für einen verbreiteten Irrtum, dem die Leute eben anhängen. ‚Der Mensch ist nicht wie eine Maschine, die verschleißt. Abnutzung gibt es nicht. Das sind alles nur Stoffwechselstörungen, die im Prinzip zu beheben sind. Altern ist nur eine verbreitete Vorstellung.‘ Meinen Einwand, dass alle Lebewesen altern, weil irgendwelche Stoffwechselvorgänge gestört seien, wies sie zurück. Das habe nichts mit dem Alter zu tun, das könne auch Junge treffen.“
„So kann man sich selbst betrügen“, meint Lisa.
„Leider ist ihr Knie seit einem halben Jahr in Mitleidenschaft gezogen, sie kann nur noch mühsam gehen. Die vielen Therapien, denen sie sich unterzogen hat, scheinen nicht so recht anzuschlagen.“
Körperliche Beschwerden werden deutlich spürbar
„Hat doch auch positive Seiten, wenn man fähig ist, sein Alter mit seinen Beschwerden zu verdrängen“, meint Max. „Meinem Freund gelingt das prächtig und er macht einen zufriedenen Eindruck. Ich verstehe nicht, warum Verdrängen so verteufelt wird.“
„Irgendwann tritt das Problem mit umso größerer Wucht zutage. Die betreffende Person ist unvorbereitet und kann dann noch schwerer damit fertig werden“, antwortet Kiri darauf.
„Und das trifft ebenso zu, wenn man die Krankheit des Partners ignoriert“, ergänzt Lisa. „Manch einer fällt dann aus allen Wolken. Eine Frau erzählte mir, ihr Vater sei mit 79 gestorben. Er war bereits zuvor ziemlich krank, doch ihre Mutter wollte seinen Verfall nicht wahrhaben. Schwer krank kam er nach einer Behandlung aus dem Krankenhaus und blieb daher morgens länger im Bett liegen. Ihre Mutter befahl: ‚Los, aufstehen, Holz hacken, das hast du doch immer gemacht.‘
Als er dann nach ein paar Wochen tot war, jammerte sie: ‚Das kann doch nicht wahr sein, wir wollten doch nächsten Monat den 80. Geburtstag feiern.‘“
„Früher oder später macht jeder die schmerzliche Erfahrung von deutlichen körperlichen Beschwerden.“ Max wirkt in sich gekehrt. „Die Möglichkeiten der aktiven Lebensgestaltung schränken sich sukzessive ein. Als man noch beruflich arbeitete, war ein bestimmtes Leiden vielleicht auch schon da, wurde aber durch die täglichen Herausforderungen überspielt.“
„Bei einem auftretenden Leiden sagt man sich zunächst: ‚Das ist vorübergehend, vergeht aber auch wieder‘, denn diese Erfahrung hat man schließlich in jüngeren Jahren gemacht.“ Kiri seufzt.
„Es wird aber nicht gut. Das Leiden lässt sich oft lindern, verschwindet jedoch nicht. Die Beschwerden bleiben und nehmen allmählich zu.“
„Ich bemerke an mir, wenn ich irgendein Zipperlein habe, es vielleicht an einer bestimmten Stelle juckt oder beim Auftreten wehtut – was sich als Hühnerauge herausstellte –, dass ich dann sofort die Befürchtung habe, ob es auch nichts Bleibendes ist. Diese Gedanken habe ich erst neuerdings“, sagt Lisa kummervoll.
Kiri hat sich noch einen Kaffee bestellt. „Eine verbreitete Methode ist, es zu leugnen. Daher gehen viele nicht zum Arzt, obwohl sie spüren, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Viele Menschen wollen einfach nicht akzeptieren, dass sie alt geworden sind.“ Bei diesen Worten wippt Kiri mit der Fußspitze. „Zumindest sollen es die anderen nicht merken. Die Alten zeigen heute durch ihre Kleidung, ihre Mobilität und Aktivität: Ich gehöre nicht zum alten Eisen.“
„Frauen versuchten schon immer durch kosmetische Präparate und bisweilen Schönheitsoperationen, ihr Altern zu kaschieren“, stellt Lisa fest. „Hinzu kommt, Frau muss heute gut aussehen, wenn sie richtig anerkannt sein will. Es fördert ihren Erfolg im Beruf. Ich wundere mich darüber, welchen Aufwand die Frauen treiben, nur um stets perfekt frisiert zu ihrer Arbeit zu kommen. Dabei tragen fast alle Frauen, ob jung oder alt, pflegeintensive lange Haare – egal wie es ihnen steht.“
„Immer mehr Männern ist ebenfalls ihr Aussehen wichtig“, mischt Golo sich ein. „Sie legen Wert darauf, modisch gekleidet zu sein. Manche lassen sogar ebenfalls Schönheitsoperationen an sich vornehmen.“
Lisa nickt. „Männer tragen Ketten, Kettchen und Ohrschmuck. Ganz gewöhnt habe ich mich noch nicht an den bejahrten Pastor in meinem Haus, der Pferdeschwanz und einen Ohrring trägt.“
„Wer ewig jung bleiben will, verweigert sich der Reife“, fügt Alma lakonisch hinzu.
„Das Altern der Frauen ist jedoch mit deutlich mehr Nachteilen verbunden als das der Männer. Wenn Frauen altern, sind sie sich bewusst, dass sie für die Männerwelt uninteressant werden.“ Almas Stimme klingt leicht aggressiv.
Kiri stimmt ihr zu: „Eine sehr attraktive Freundin sagte mal: ‚Ich habe genau beobachtet, die Männer haben immer einen Blick für mich gehabt, sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich. Ab 50 begann sich das zu ändern. Sprach ich beruflich dann mit Männern über meine Projekte, interessierten sie sich nur noch für die Sache, als Frau war ich abgeschrieben. Ich investierte zwar viel Zeit, um stets sehr gepflegt aufzutreten, doch es nutzte alles nichts. Das ist eine große Ungerechtigkeit, die der Frau im Vergleich zum Mann widerfährt.“
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