„Schöne Frauen kennen es nicht anders“, sagt Alma, „sie ziehen die Blicke auf sich und erfahren ständig Aufmerksamkeit von Männern. Werden sie älter, lässt das alles nach, bis sie in ihrer Weiblichkeit gar nicht mehr wahrgenommen werden.“
„Viele verkraften das nur schwer“, fügt Lisa hinzu. „Umgekehrt hörte ich mal von einer Frau: ‚Ich kann gut älter werden, weil ich nicht schön war in meiner Jugend.‘“
„Neulich ging ich durch die Münchner Innenstadt“, setzt Golo das Gespräch fort. „Elegant angezogene Menschen in großer Zahl. Ich schaute die perfekt frisierten Frauen an. Die Starre der fast faltenfreien Gesichter ließ mich erschauern, denn man sah trotz der Botox-Spritzen: Es waren ältere oder alte Frauen. Diese Angst, bloß nicht so alt auszusehen, wie man ist!“
„Und diese Angst breitet sich immer weiter aus.“ Kiri macht eine abwertende Handbewegung. „Man hungert, um die Figur eines Teenagers zu bekommen.
Bei dem Geburtstag einer Freundin sah ich von hinten eine sehr schlanke, gut gekleidete Frau, die ich nicht kannte. Ich schätzte sie so um die 50. Als sie sich umdrehte, war ich platt. Ein total faltiges Gesicht, die Frau war wohl 70. Später fragte ich meine Freundin nach dem Alter dieses Gastes. Sie war 60. Dumm für diese ausgehungert aussehende Frau, dass man nicht mit dem Rücken zueinander kommuniziert.“
„Derartige Fälle kenne ich auch“, sagt Lisa verdrossen. „Immer häufiger sehe ich erlesen angezogene ältere Frauen, jedoch mit einem nahezu ausgemergelten Körper.“
„Nicht umsonst ist von Jugendwahn die Rede“, fügt Alma gereizt hinzu.
Der Eintritt ins Rentenalter
Lisa beißt in ihr Schweinsohr. „So kann man es machen: Meine Mutter legte sich in den Liegestuhl und schaute in die Wolken. Mein Vater erledigte den Haushalt, einkaufen, kochen, waschen, sich um die Handwerker kümmern. Er musste einfach alles machen und war förmlich am Ausflippen. Nach drei Tagen stand meine Mutter auf, wusste nun, was sie wollte, und klinkte sich wieder ins Leben ein.“
„Ist doch eine starke Frau!“ Aus Kiris Stimme ist Bewunderung zu hören.
„Der Eintritt ins Rentenalter ist nun mal die größte Veränderung im Leben eines Menschen“, sagt Alma. „Ich trete in eine neue Lebensphase ein, die sich gravierend von der vorhergehenden unterscheidet. Man schaut nicht mehr neugierig und erwartungsfroh in die Zukunft. Eher beschleicht einen das Gefühl, nun sei das perlende Leben vorbei. Ich trete meine letzte Reise an.“
Alma setzt das Gespräch fort: „Während viele total zufrieden sind, dass der Ruhestand da ist, haben andere damit Schwierigkeiten. Meine Freundin spricht davon, sich nun neu definieren zu müssen.
Sie meint: ‚Ich fühle mich nicht alt, das Alter wird mir aufgedrängt. Da hat mir neulich eine Fünfzigjährige ihren Platz im Bus angeboten. Ich habe innerlich gekocht und dankend abgelehnt‘.“
„Ich verstehe, was sie meint“, sagt Kiri. „Stellt euch vor, im Café bestelle ich mir drei Stück Kuchen. Sagt doch die Bedienung zu mir: ‚Drei Stück, das ist zu viel für Sie!‘“
„Bei meiner Nachbarin im Chor habe ich seit ihrem Berufsausstieg sogar eine gewisse Verzweiflung bemerkt“, sagt Lisa und macht dabei ein trauriges Gesicht. „Sie erzählte mir voller Stolz, eine Maus im Haus zu haben: ‚Jeden Tag stelle ich ihr Milch und Süßigkeiten hin. Gesehen habe ich die Maus noch nicht, aber in der Wand höre ich es knabbern und raspeln.‘
Auf meinen Hinweis, sie würde bald ganze Mäusekolonien beherbergen, die ihr Haus zerstörten, reagierte sie achselzuckend: ‚Mein Haus kann ruhig zerfressen werden, es muss nur noch fünf Jahre halten. Kinder habe ich schließlich nicht.‘“
„Manch einer hat das Gefühl, wenn das Berufsleben vorbei ist, dann gibt es nur noch ein Dahinvegetieren.“ Max sieht verständnislos seine Freunde an
„Die Gefahr, im Ruhestand in Passivität zu versinken, ist groß“, meint Kiri bedauernd. „Freud und Leid des Berufsalltags entfallen. Man ist raus aus der Mühle, niemand sagt einem, was man tun muss. So schön das einerseits ist, es fehlt ein Stück Lebenselixier.“
„Du hast recht, doch das gibt kaum jemand zu“, bestätigt Max.
„Frage ich Leute, die noch nicht lange aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, kommt meistens: ‚Alles ist prima.‘ Oft höre ich auch: ‚Ach, meine Frau / mein Mann kriegt den Tag schon rum.‘“
„Den Tag rumkriegen – ist es das?“, hakt Lisa nach.
„Manch einem scheint es so zu gehen. Ich kenne jemanden, der meint, wenn er später aufstehe, dann sei der Tag nicht so lang“, sagt Golo. „Ist das Leben zu lang?“
„Wie schnell man in Passivität verfallen kann, habe ich an mir selbst erlebt“, sagt Alma etwas verlegen. „Ich musste durch einen Unfall bedingt längere Zeit zu Hause bleiben. Meinen Fuß hatte es schlimm erwischt. Merkwürdig, eigentlich fühlte ich mich ganz wohl. Lesen, essen kochen, ein Plausch mit der Nachbarin.“
„War dir nicht manchmal langweilig zumute?“, erkundigt sich Max interessiert.
„Nein, ich wundere mich selbst. Meine Einschränkung durch den Unfall war nur körperlich, nicht geistig. Also hätte ich durchaus Gutachten oder einen Vortrag schreiben können. Ich tat es nicht, es mangelte mir an Lust und Energie. Ich war lahm, wurde immer lahmer und richtete mich in meiner Lahmheit ein.“
„Sieht so das Genießen des wohlverdienten Ruhestandes aus!“, unterbricht Golo sie.
„Ich konnte damals die Ängste meines Mannes verstehen, im Ruhestand wie ein Hund herumzuliegen, hin und wieder blinzelnd, mal schlafend, mal wach sein. So aktiv er gewöhnlich ist, er kennt sich auch anders. Es beunruhigt ihn, mal so zu werden.“
Nach einer Pause setzt Alma ihren Bericht fort.
„Doch dann hatte ich Gutachten für die Abschlussarbeiten einiger Studenten zu schreiben. Die wollte ich nicht hängen lassen. Also musste ich mich aufraffen aus meiner seligen Ruhe. Und was geschah dann? Ich spürte auf einmal, wie belebend die geistige Auseinandersetzung ist, wie es prickelte und Energie mich durchzog. Innere Kräfte erwachten. Ich spürte, das ist doch intensiveres Leben als die mußevolle Passivität.“
Wenn man nicht aufhören kann
„Manche können nicht aufhören“, bei diesen Worten klingt Lisas Stimme amüsiert. „Juliane aus meiner Aquafitness-Gruppe eröffnete uns, sie könne vorläufig nicht mehr kommen. Sie müsse sich um ihren Mann kümmern, der jetzt in den Ruhestand getreten sei. Er habe 20 Jahre lang die Zoologische Abteilung des Museums geleitet und sei völlig in der Erforschung von Nachtfaltern aufgegangen. Sein Leben lang habe er Nachtfalter gesammelt und diese in unzählige Kästen wohlsortiert aufbewahrt, um die nächsten 300 Jahre tiefer in das Leben der Nachtfalter einzutauchen.“
„Typisches Wissenschaftlerdasein“, wirft Max ein.
„Nun hat er einen Nachfolger, der nicht Nachtfalter, sondern Libellen erforscht. Und der Platz ist knapp. Wohin also mit den Nachtfalter-Kästen? Juliane stöhnt, ihr ganzer Boden sei bereits mit diesen Kästen gefüllt.“
„Er sollte sich eine Garage mieten.“
„Spotte nicht, er ist tief deprimiert, er sieht sein Lebenswerk entwertet. Keine Nachtfalter mehr, kein Leben mehr. Juliane ist ganz unglücklich: ‚Die Kinder kommen jetzt öfter. Doch nichts hellt die Stimmung meines Mannes auf.‘“
„Da hat der Mann meiner Freundin mehr Glück“, fügt Kiri hinzu. „Mit seinen 78 Jahren lebt er 600 km entfernt von seiner Frau, um weiterhin an seinem Institut zu arbeiten. Meine Freundin sagte zu ihm: ‚Wir wollten doch unseren Lebensabend gemeinsam gestalten.‘ Daraufhin er: ‚Willst du mich schon jetzt unter die Erde bringen?‘“
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