1 ...8 9 10 12 13 14 ...26 Da hatte sie nicht ganz Unrecht, aber ich blieb trotzdem skeptisch. »Wie ist er denn gestorben?«
»Durch einen Kopfschuss. Und das ist die andere Sache«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wem die Waffe gehört. Ich habe sie noch nie zuvor gesehen. Lester hatte eine Pistole bei sich, wenn er fuhr, und er besaß auch eine Schrotflinte, mit der er auf Hasenjagd ging. Die Waffe, die er angeblich benutzt hat, war jedoch keine von beiden.«
Ich trank meinen Kaffee aus und unterdrückte mein Verlangen, mir eine Zigarre anzuzünden. »Das Sheriffs Department hat den Fall untersucht, nicht wahr?« Sie nickte. »Und sie kamen zu dem Schluss, dass es sich dabei um Selbstmord handelte?« Sie nickte erneut. »Gab es denn irgendwelche Zeugen?«
»Nein, Sir.« Sie klang traurig, so als wüsste sie bereits, dass ich ihr nicht glauben würde. »Ich kam nach der Kirche nach Hause und fand ihn.« Sie deutete mit dem Kopf in die Richtung, wo Anna jetzt saß. »Er lag auf dem Boden. Genau dort.« Anna wurde etwas unruhig. Ich versuchte, keine Miene zu verziehen.
»Noch etwas Kaffee, meine Liebe?«, fragte Rhoda.
»Oh, nein danke«, antwortete Anna, der man ihr Unbehagen darüber, dass sie auf dem gleichen Stuhl saß wie der gute alte Lester, als er sich eine Kugel einfing, deutlich anmerkte. Ich wette, sie wünschte sich in diesem Moment, doch lieber im Wagen geblieben zu sein.
»Da ist noch etwas anderes, Detective Ironcutter«, sagte Rhoda. »Während der Beerdigung brach jemand in unser Haus ein.«
Ich zuckte nonchalant mit den Schultern. »Das kommt leider häufig vor. Man wird während der Trauerzeit von skrupellosen Nachbarn oder Familienmitgliedern bestohlen.«
»Das ist aber gerade das Seltsame daran, Detective. Ich besitze ein paar teure Schmuckstücke, aber davon fehlte nichts. Das ganze Haus wurde durchwühlt, aber augenscheinlich nichts mitgenommen.« Um ihre Aussage zu unterstreichen, drückte sie ihre Zigarette in dem vollen Aschenbecher aus und zündete sich sogleich eine neue an. Ich rieb mir geistesabwesend über das Gesicht und dachte über diese arme alte Frau nach, die einfach nicht akzeptieren konnte, dass sich ihr Ehemann das Leben genommen hatte.
Der nächste Teil würde nicht leicht werden. »Es gibt da noch etwas, worüber wir sprechen müssten, bevor ich weitere Schritte unternehmen kann.«
»Ihr Gehalt«, erwiderte sie trocken.
Ich nickte. »Es gibt Leute, die es für recht hoch halten.«
»Ich habe leider nicht viel. Harvey erwähnte aber, dass Sie alte Autos mögen. Lester besaß einen alten Buick, der seit ein paar Jahren draußen in einer Hütte steht.«
»Und was stimmt damit nicht?«, fragte ich verwundert.
»Soweit ich weiß, ist damit alles in Ordnung. Eines Tages kam er damit an, stellte ihn in der Hütte ab und fuhr ihn seitdem nie wieder.« Für einen kurzen Moment runzelte sie die Stirn. »Irgendetwas an dem Wagen schien ihn zu beunruhigen, aber er sprach nie darüber. Sie können ihn haben, und wenn ich das Haus verkauft habe, sollte ich auch in der Lage sein, Ihnen den Rest bezahlen zu können.« Sie legte ihre Zigarette im Aschenbecher ab und legte zaghaft ihre Hand auf meine. »Manche Leute waren der Ansicht, dass Lester nur ein elender Dummschwätzer war, und vielleicht hatten sie damit sogar recht, aber er war gut zu mir, Detective. Er war gut zu mir.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie stand auf und tat so, als würde sie sich dringend um das schmutzige Geschirr in der Spüle kümmern müssen.
Ich sah Anna an und deutete zur Tür. Gemeinsam liefen wir leise hinaus. Draußen fand ich die Hütte, ein hölzernes Überbleibsel aus alten Zeiten. Bereits ein wenig windschief, sodass sie jeden Augenblick zusammenzufallen drohte. Die Torflügel gingen nach draußen auf. Die Angeln waren stark eingerostet und quietschten protestierend, als ich an ihnen zog, bis die Türen nach einem kurzen Kampf schließlich nachgaben.
Ich lief hinein. Und dann blieb ich wie angewurzelt stehen. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Anna prallte gegen mich und grunzte etwas.
Der Wagen war von einer dicken Staubschicht überzogen, aber ich erkannte ihn trotzdem sofort wieder. Es war ein 1967er Buick Wildcat. Nachdem ich einen Moment lang einfach nur entgeistert dagestanden hatte, lief ich langsam um den Wagen herum. Es wurde bereits dunkel, weshalb ich die Taschenlampe meines iPhones benutzte, um ihn mir genauer ansehen zu können. Ich fand die gespachtelten Stellen, die ich vor Jahren nicht überschliffen bekommen hatte. Ich lief einmal um das Auto herum und kauerte mich dann auf den Boden. Der linke Heckscheinwerfer war kaputt und die beiden runden Löcher darin deutlich zu erkennen.
Langsam richtete ich mich auf, als würde das ganze Gewicht der Welt auf mir lasten. Ich hatte schon vor langer Zeit die Hoffnung aufgegeben, dieses Auto je wiederzusehen, und jetzt stand ich hier und starrte es durch das Halbdunkel hindurch an.
Anna riss mich aus meinen Gedanken. »Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen«, sagte sie vorsichtig.
Damit hatte sie durchaus recht. Ich starrte wirklich einen Geist an. Meine Hand fand ihren Weg in die Tasche meines Jacketts, zog den Flachmann heraus und führte ihn nach oben. Meine andere Hand nestelte an ihm herum, und nachdem sie ihn erfolgreich aufgeschraubt hatte, trank ich den Inhalt der Flasche mit zwei schnellen Schlucken aus.
»Kommen Sie«, sagte ich mit belegter Stimme. »Ich fahre Sie zu Ihrem Wagen zurück.«
Während wir die Hütte verließen, sah ich Rhoda hinter dem Schutz des Fliegengitters stehen, wartend, wie ein kleines Kind, das ängstlich darauf hofft, dass seine Eltern nach Hause kommen.
»Ich übernehme den Fall«, ließ ich sie wissen, dann liefen wir zu meinem Wagen. »Fahren wir«, sagte ich zu Anna und stieg ein. Hastig folgte sie mir.
Die Fahrt zurück verlief ruhig. Sehr ruhig. Anna hatte nicht viel zu erzählen und mir war nicht zum Reden zumute. Während sie sich eine Zigarette anzündete, trieben meine Gedanken zurück zu den Tagen, als ich gerade mal achtzehn Jahre alt gewesen war.
Ich war in meinem vierten Jahr an der Highschool gewesen und hatte für meinen Vater, nachdem ich benannt worden war, in dessen Autowerkstatt gearbeitet. Er war ein starker, herrischer Bulle von einem Mann gewesen, der zu Wutausbrüchen neigte und Meinungsverschiedenheiten gern mit dem Handrücken klärte, oder auch mit seinen Fäusten, besonders dann, wenn er schon einen getankt hatte.
Als jüngerer Mann war er Boxer gewesen, und das ließ er einen auch niemals vergessen. Oft zwang er mich, mit ihm in den Ring zu steigen, verzichtete aber auf moderne Boxhandschuhe und bestand stattdessen auf seine alten Ledergriffel, die – wie Sie sich vorstellen können – kaum etwas von seinen Schlägen abschwächten. Nicht selten trug ich eine Platzwunde oder ein geschwollenes Gesicht davon. Er war auch derjenige, der mir meine erste gebrochene Nase beschert hatte. Ich hatte das alles stillschweigend ertragen und hatte versucht, das Beste daraus zu machen. Schließlich hatte ich ja nirgendwohin gekonnt. Wenigstens bezahlte er mich.
Kurz nach dem Beginn meines vierten Highschool-Jahres fand ich einen alten, verlassenen Buick Wildcat im Dickicht hinter einem Farmhaus. Die Besitzerin, eine alte Witwe, verkaufte ihn mir für zwanzig Dollar, unter der Bedingung, dass ich ihn selbst abschleppte. Ich versprach es ihr und benutzte Paps Abschleppwagen, um ihn nach Hause zu bringen. Wenn die Werkstatt geschlossen war, verbrachte ich Stunden damit, ihn Stück für Stück zu restaurieren, und nicht selten gingen meine mageren Gehaltschecks für die Ersatzteile drauf.
Es geschah eine Woche vor dem Abschlussball. Ich war mit dem schönsten Mädchen der Schule verabredet, Lana Hudson, und unglaublich in sie verknallt. Der Plan war es, alle damit zu überraschen, dass ich sie mit meinem vollständig restaurierten Wahnsinns-Wildcat abholte. Ich musste nur noch ein paar kleinere Arbeiten an der Karosse vornehmen und ein paar Lagen Farbe darüber pinseln. Noch war er grau von der Grundierung, aber ich hatte vor, ihn in einem wunderschönen Knallrot zu lackieren. An einem Freitagnachmittag kam ich in die Werkstatt, um ihn über das Wochenende fertigzustellen, aber er stand nicht an seinem üblichen Fleck.
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