»Auf den Punkt bringen können wir Ihnen den Schönbuch nicht. Sie müssen den Naturpark selbst erleben – mit all seinen Naturschönheiten, seiner artenreichen Pflanzen- und Tierwelt mitten im Ballungsraum Stuttgart. Wandern und verweilen Sie an idyllischen Plätzen wie dem Birkensee oder im Goldersbachtal. Kommen Sie mit auf eine Erlebnisreise: ins einzige Polizeimuseum und auf den Kapellenberg, auf Kahnfahrt mit einem Magier und in die Mineraltherme. Lassen Sie sich Schönbuch-Radler oder schwäbischen Whisky schmecken und kehren dort ein, wo der König schon speiste. Sie werden sehen: ein schönes Stück Heimat!«
Ute Böttinger und Hansjörg Jung
1 Die Glucke über dem Gäu
Herrenberg: Glockenmuseum in der Herrenberger Stiftskirche
»Herrenberg liegt unter einem Berg, an dessen Ruck, oder Grad, eine sehr schöne Kirche ist«, schrieb Matthäus Merian 1643. Doch der alte Kupferstecher würde seine »sehr schöne Kirche« kaum noch erkennen: War der Turm damals noch von zwei Spitzen gekrönt, ist es heute eine barocke Zwiebel. Wegen Einsturzgefahr wurden die beiden Turmspitzen 1749 abgebrochen.
So ruht die Herrenberger Stiftskirche wie eine dicke Henne am Südwesthang des Schönbuchs über der Stadt. Nicht umsonst nennt man sie »Die Glucke vom Gäu«. Doch die Glucke ruht nicht, die Glucke kommt. Seit ihrem Baubeginn um 1276 rutschen Hang und Kirche der Stadt entgegen. Bei umfangreichen Renovierungsarbeiten in den 70er-Jahren konnte das Gebäude zwar weitgehend gesichert werden, doch aufgehalten wurde es nicht.
Die der Stadt zugewandte mächtige Westwand der Kirche ist eine riesige Sonnenuhr, die unter anderem stets die Mittagsstunde anzeigt, wenn der Schatten des Strebepfeilers senkrecht auf die Mitte der Wand fällt. Auch im Inneren wartet die Kirche mit Besonderheiten auf: Da ist vor allem das Chorgestühl aus der Werkstatt von Heinrich Schickhardt dem Älteren, dem Großvater des großen Renaissance-Baumeisters desselben Vornamens. Den Hochaltar von Jerg Ratgeb, heute in Besitz der Staatsgalerie, haben die Herrenberger 1890 verkauft.
Die durch den barocken Umbau des Turms entstandene große Glockenstube beherbergt das Glockenmuseum. Wer die 146 Stufen erklimmt, findet dort über 30 Bronzeglocken aus zwölf Jahrhunderten und ein Carillon mit 50 Glocken. Dass dies nicht nur museale Ausstellungsstücke sind, zeigt sich beim Rundgang, wenn die Viertelstunde, die Stunde oder nach der Läuteordnung ein liturgisches Ereignis geschlagen werden. Hier wird Schall zu einem spürbaren Erlebnis.
Zu den Glockenkonzerten der Herrenberger Stiftskirche erklingt das Geläut in der Regel jeden ersten Samstag eines Monats von 17 bis 18.10 Uhr.
1
Glockenmuseum Herrenberg
Kirchgasse 7
71083 Herrenberg
www.glockenmuseum-stiftskirche-herrenberg.de
2 Aus dem Schatten ans Licht
Herrenberg: Jerg-Ratgeb-Skulpturenpfad
Sein Ende war schrecklich. Er wurde gevierteilt. Im Jahre 1526 in Pforzheim. Weil er für die Sache der Aufständischen im Bauernkrieg Partei genommen hatte und sich von den Bauern zum Kanzler und Kriegsrat wählen ließ. Doch Jerg Ratgeb war auch Maler und schuf unter anderem 1519 den Hochaltar für die Herrenberger Stiftskirche – der heute in Besitz der Staatsgalerie in Stuttgart im Zentrum der mittelalterlichen Sammlung steht. Und doch gilt Ratgeb lange zumindest als unterschätzter Künstler. Vielleicht weil über sein Leben und Schaffen nicht allzu viel dokumentiert ist.
Grund genug für eine Gruppe von Herrenberger Bürgern, dem Künstler ein Denkmal zu setzen – oder vielmehr deren mehr als 20: den Jerg-Ratgeb-Skulpturenpfad. Vom Bahnhof bis hinauf zum Schlossberg, gleichsam aus dem Schatten der Tiefe hinauf ans Licht, reihen sich die Werke zeitgenössischer baden-württembergischer Künstler wie an einer Perlenkette durch die Herrenberger Innenstadt und entlang des gewundenen Spazierwegs zum Schlossberg. Aus verschiedenen Materialien, in unterschiedlichen Abstraktionsformen. So soll der Skulpturenpfad auch eine Art künstlerisches Lehrstück sein. »Die Besucher bekommen dabei einen Einblick in die unterschiedlichen bildhauerischen Materialien und Techniken, welche die Bildhauer aus Baden-Württemberg und darüber hinaus angewandt haben«, schreiben die Initiatoren.
Die Arbeiten haben meist Bezug zu Jerg Ratgeb – seiner Zeit, seinem Werk und nicht zuletzt seinem Leben. So sind es auch geschundene Figuren, wie bei Michaela Fischers Bronzeplastik Ratgebs Frau, bei der die Leibeigenschaft thematisiert wird, oder bei Thomas Putzes Bauernkriegsfamilie, die Ohnmacht und Zerrissenheit des einfachen Volkes in feudalen Zeiten darstellt.
Der Spaziergang bietet nicht nur dem Kunstfreund Aus- und Einblicke. Auf dem Schlossberg weitet sich der Blick zur Schwäbischen Alb und zum Schwarzwald.
2
Jerg-Ratgeb-Skulpturenpfad
Beginn: Bahnhof (Endstation der S-Bahn-Linie S1)
Bahnhofstraße
71083 Herrenberg
www.skulpturenpfad-herrenberg.de
3 Am Anfang war die Schneckennudel
Herrenberg: Bäcker Baier
Es begann mit einer Schneckennudel. Warm, weich und doch ein wenig kross. Eine Offenbarung für Jochen Baier. »Das hat mir die Augen geöffnet, was man mit Mehl, Butter, Zucker und ein paar Rosinen machen kann«, sagt der Spross der Herrenberger Bäcker-Dynastie. Seit Jacob Friedrich Baier 1835 damit begonnen hatte, in der Bronngasse Brot und Brezeln zu backen, hatte jede Generation den Betrieb weiterentwickelt.
Nur in der sechsten Generation, bei Jochen Baier, war das zunächst nicht so klar. Der wollte Banker werden, zumal Mehl und Staub in der Backstube seiner Gesundheit zusetzten. Bis die Schneckennudel kam. Doch ein wenig Rebellion muss schon sein. Also lernte er nach der Realschule nicht Bäcker – sondern Konditor. Und das wohl ganz gut, denn zum Abschluss seiner Lehre wurde er Bundessieger. Die Bäckerlehre daraufhin schloss er wieder als Jahrgangsbester ab – bundesweit. Bis heute treiben ihn Ehrgeiz und Lust auf besondere Backwaren über den Herrenberger Backblechrand hinauszuschauen, ob bei internationalen Wettbewerben – er war unter anderem Weltbäcker des Jahres 2018 – oder an der Seite von Johann Lafer als Juror in der ZDF-Sendung Deutschlands bester Bäcker.
Sowohl die Gesundheit als auch das Streben nach dem »reinen Genuss« brachten den Herrenberger auf die Bio-Schiene. Seit 20 Jahren verwendet er ausschließlich Mehle aus Demeter-Getreide. Dazu verzichtet Baier in seiner Backstube auf Zusätze aus dem »Zauberkasten«, die das Backen leichter und schneller machen. Dafür lässt er die Teige schonend kneten und lange reifen. »So natürliche Rohstoffe wie möglich, so handwerklich arbeiten wie möglich«, ist sein Credo. Dazu hat er sich 2016 vor den Toren Herrenbergs sein Backhaus mit Café gebaut, um seine Vision zu verwirklichen: »Die beste Backstube für das beste Brot« – und Schneckennudeln, nicht zu vergessen.
Читать дальше