Beweismethodenverbote schließen zwar nicht das Beweisthema, aber bestimmte Methoden aus. Zu den Beweismethodenverboten gehören insbesondere die Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden (§ 136a Abs. 1, Abs. 2 StPO).
II.Beweisverwertungsverbote
Die Beweisverwertungsverbote haben zur Folge, dass bestimmte Informationen und Beweisergebnisse (zumindest als Belastungsbeweis) nicht in die Beweiswürdigung beziehungsweise die Entscheidungsfindung (§ 261 StPO) einfließen dürfen. Sie sind nicht erst beziehungsweise nur in der Hauptverhandlung, sondern vielmehr während des gesamten Strafverfahrens von Bedeutung. 94
Beweisverwertungsverbote unterteilt man herkömmlich in
•unselbstständige Beweisverwertungsverbote und
•selbstständige Beweisverwertungsverbote
1.Unselbstständige Beweisverwertungsverbote
Unselbstständige Beweisverwertungsverbote folgen aus einem Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot. Es gibt aber keinen Automatismus, dass im Falle eines Beweiserhebungsverbots stets ein Beweisverwertungsverbot folgt. Dies belegt schon die Existenz von gesetzlich ausdrücklich angeordneten Beweisverwertungsverboten (z.B. § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO), sie wären nämlich überflüssig, wenn es eine allgemeine Verwertungsregel gäbe.
2.Selbstständige Beweisverwertungsverbote
Beweisergebnisse, die aufgrund illegaler Beweiserhebung gewonnen wurden, unterliegen im Grundsatz einem Beweisverwertungsverbot. Aber auch, wenn der Beweis ordnungsgemäß erhoben wurde, jedoch die Verwertung des Ergebnisses zu tief in die Rechte eines Verfahrensbeteiligten eingreifen würde, kann ein Beweisverwertungsverbot bestehen. Selbstständige Beweisverwertungsverbote sind unabhängig von einem Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot; sie folgen unmittelbar aus einem Grundrecht – vor allem aus der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (z.B. Verwendung von Tagebuchaufzeichnungen des vermeintlichen Täters zum Nachweis eines Diebstahls). 95
III.Beweisverwendungsverbote
Ein Beweisverwendungsverbot statuiert ein Verbot jeglicher strafprozessualer Nutzung von Informationen und Daten. Da eine Verwendung der offenbarten Tatsachen und Beweismittel ohne Einschränkung verboten ist, dürfen die erhobenen Informationen auch nicht als Spurenansatz für weitere Ermittlungen verwendet werden. Das Verwendungsverbot ist daher weitreichender als das Beweisverwertungsverbot, was dies prinzipiell nicht verbietet. Beispiele für Verwendungsverbote sind § 393 Abs. 2 Satz 1 AO und § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO. 96
Werden die Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbots bejaht, stellt sich häufig die Frage, ob dieses dazu führt, dass alle darauf aufbauenden Folgeerkenntnisse ebenfalls unverwertbar sind, sogenannte Fernwirkung: Teilweise wird eine Fernwirkung von Verwertungsverboten bejaht. Nur wenn der „Gewinn“, „die Früchte“ aus dem verbotenen Tun nicht verwertet werden dürfen, seien die Rechte des Beschuldigten hinreichend gewahrt und für zukünftiges rechtswidriges Verhalten der Anreiz genommen. Dieser Sanktionsgedanke stammt aus dem amerikanischen Recht. Die dort entwickelte „fruit-of-the-poisonous-tree-doctrine“ hat den Zweck, disziplinierend auf das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden einzuwirken. Aus kriminalpolitischen Gründen ist eine Fernwirkung von Verwertungsverboten (grundsätzlich) abzulehnen, da sonst u.U. geringfügige Fehler einzelner Ermittlungsbeamter gleich zu Anfang das ganze Verfahren lahmlegen könnten. Im Übrigen lässt sich kaum feststellen, ob der Ermittlungsbeamte nicht ohnehin auch bei rechtmäßigem Verhalten das Beweismittel gefunden hätte, wenn auch etwas später. 97
F.Beweisverwertungsverbote
Folgende Fallkonstellationen von polizeilicher Relevanz bergen die Gefahr eines Beweisverwertungsverbots (BVV). 98
Vernehmung 99 |
Verstoß gegen Belehrungspflichten (Zeugen) |
Folgen eines Verstoßes |
§ 57 StPO |
Keine Folgen, da nach h.M. bloße Ordnungsvorschrift |
§ 52 Abs. 3 Satz 1 StPO |
Aussage darf grundsätzlich nicht verwertet werden |
§§ 53, 53a StPO |
Nur in Ausnahmefällen relevant, da nur dem Schutz des Zeugen dienend. |
§ 54 StPO |
Nur in Ausnahmefällen relevant, da nur dem Schutz des Zeugen dienend |
§ 55 StPO |
Nur in Ausnahmefällen relevant, da nur dem Schutz des Zeugen dienend. |
Verstoß gegen Belehrungspflicht (Beschuldigte) |
Folgen eines Verstoßes |
§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO |
grds. BVV (BGH, NJW 1992, 1463); kein BVV, wenn sicher feststeht, dass der Beschuldigte sein Schweigerecht ohne Belehrung gekannt hat oder Widerspruchslösung |
§ 136 Abs. 1 Satz 5, 6, Abs. 2, Abs. 3 StPO |
Keine Folgen(auch keine Fernwirkung) |
Beschuldigte hat Belehrung infolge seines geistig-seelischen Zustands nicht verstanden |
Annahme BVV(BGH, NJW 1994, 333) |
Beschuldigte gibt ohne Zutun des Vernehmungsbeamten vor beabsichtigter Belehrung spontan Äußerung ab |
Keine Folgen(BGH, NJW 2009, 3589) |
Keine oder unzureichende Belehrung über Verteidigerkonsultation |
Annahme BVV(BGH, NStZ 2008, 55) |
Verweigerung der Kontaktaufnahme mit Verteidiger, statt dessen sofortige Vernehmung |
Annahme Beweisverwertungsverbot (BGH, NJW 1993, 338) |
Durchsuchung 100 |
Durchsuchungsanordnung |
Folgen eines Verstoßes |
Nichtvorliegen der materiellen Voraussetzungen |
BVV (LG Dresden, Strafo 2011, 223) |
Missachtung Richtervorbehalt (bewusst, willkürlich) beziehungsweise (grobe) fehlerhafte Annahme von Gefahr im Verzuge |
BVV (BVerfG, NJW 2009, 3225; BGH, NJW 2007, 2269)) – aber keine Fernwirkung dergestalt, dass auch diejenigen Informationen, die über die mit dem unzulässigen Betreten der Wohnung verbundenen Erkenntnisse hinausgehen, unverwertbar sind 101; a.A. OLG Düsseldorf, NStZ 2017, 177 102 |
Durchsuchungsanordnung |
Folgen eines Verstoßes |
Irrtümliche Annahme von Gefahr im Verzug |
Keine Folgen(BGH, NStZ 1985, 262) |
Falsche Ermächtigung(§ 102 statt § 103 StPO) |
BVV 103 |
Falsche Ermächtigung(§ 103 statt § 102 StPO) |
Str., h.M. kein BVV, da Durchsuchung auch nach § 102 StPO zulässig gewesen wäre 104 |
mangelhaft begründete Durchsuchungsanordnung |
Keine Folgen(BGH, NStZ 2005, 392), aber str. |
Durchsuchung nach Zeitablauf (6 Monate) |
BVV |
Durchführung der Durchsuchung |
Folgen eines Verstoßes |
Durchsuchung zur Nachtzeit bei irrtümlicher Annahme der Voraussetzungen |
Keine Folgen, weil § 104 Abs. 1 StPO nicht die Qualität der Beweiserhebung sichern soll |
Durchsuchung zur Nachtzeit bei willkürlicher Annahme der Voraussetzungen |
BVV |
Keine Hinzuziehung von Zeugen (§ 105 Abs. 2 StPO) |
BVV, da zwingende Verfahrensvorschrift (BGH, NStZ 2007, 279) – keine |
Keine Hinzuziehung von Zeugen (§ 105 Abs. 2 StPO) bei Irrtum des Beamten über die Möglichkeit des Hinzuziehens von Zeugen |
Durchsuchung ist rechtmäßig – keine Fernwirkung |
Missachtung Anwesenheitsrecht (§ 106 StPO) |
Keine Folgen, da bloße Ordnungsvorschrift (BGH, NStZ 1983, 375); a.A. zwingende Verfahrensvorschrift 105 |
Durchführung der Durchsuchung |
Folgen eines Verstoßes |
Kein Durchsuchungs-/Sicherstellungsprotokoll (§ 107 StPO) |
Keine Folgen, da bloße Ordnungsvorschrift (OLG Stuttgart, Kriminalistik 1993, 501) 106 |
Keine Kenntlichmachung beschlagnahmter Gegenstände |
Keine Folgen, da bloße Ordnungsvorschrift |
Systematische Suche nach nicht von der Anordnung umfassten Gegenständen (schwerwiegende, bewusste oder willkürliche Verstöße) |
BVV (BVerfG, NJW 2005, 1917) |
Gezielte Suche nach Zufallsfunden (§ 108 StPO) |
BVV (str.) 107 |
Zufallsfunde im Fall des § 108 Abs. 2 StPO |
BVV, um Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patientin in besonderem Maß zu schützen 108 |
Durchsicht von Papieren von Polizeibeamten, die mangels entsprechender Anordnung durch die StA nicht befugt sind |
Einzelfallabwägung 109 |
Verstöße bei Durchsicht von Papieren (§ 110 StPO) |
BVV bei Willkür 110 |
Beschlagnahme 111 |
Gänzliches Fehlen der Beschlagnahmeanordnung |
BVV, da präventive richterliche Kontrolle nicht stattgefunden hat |
Richterliche Bestätigung wird verspätet oder gar nicht eingeholt (§ 98 Abs. 2 Satz 1 StPO) |
Keine Folgen, weil Betroffener jederzeit das Recht hat, selbst eine richterliche Entscheidung herbeizuführen (§ 98 Abs. 2 Satz 2 StPO) |
Beschlagnahmeverbot (§ 97 StPO) |
BVV |
Postbeschlagnahme bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen |
BVV (Verstoß gegen Art. 10 GG) |
Beschlagnahme von Tagebüchern |
BVV, wenn von vornherein feststeht, dass diese zum absolut geschützten Kernbereich persönlicher Lebensgestaltung gehören. Außerhalb des Kernbereichs ist Beschlagnahme und Verwertung zulässig, wenn das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung den Persönlichkeitsschutz überwiegt (BGH, NJW 1988, 1037). |
Körperliche Untersuchung (Beschuldigte) 112 |
Körperlicher Eingriff ohne Anordnung und Einwilligung (gezielte Umgehung Richtervorbehalt) |
BVV 113 |
Fehlerhafte (willkürliche) Annahme von Gefahr im Verzuge |
BVV, wenn Annahme bewusst oder grob fahrlässig erfolgt 114 |
Rechtswidrige Annahme von Gefahr im Verzug (allein) |
Keine Folgen (BVerfG, NStZ 2011, 289) |
Unterlassene Belehrung des Beschuldigten über sein Recht, die aktive Mitwirkung zu verweigern |
BVV (str.) – letztlich Einzelfallentscheidung 115 |
Anwendung von Methoden, die gegen die Grundsätze eines fairen, an Gerechtigkeit und Billigkeit orientierten Verfahrens verstoßen |
BVV (BGHSt 24, 125 (131). |
Vornahme des Eingriffs durch einen Nichtarzt |
Keine Folgen (BGHSt 24, 125) |
Körperliche Untersuchung (Zeugen) |
Fehlende Belehrung eines Zeugen über sein Untersuchungsverweigerungsrecht |
Keine Folgen, wenn sicher auszuschließen ist, dass der Zeuge bei einer formell ordnungsgemäß erfolgten Belehrung von seinem Recht Gebrauch gemacht hätte (BGH, NStZ-RR 2016, 377) |
Verwendung von Untersuchungsmaterial für andere Verfahren |
BVV (§ 81a Abs. 5 Satz 2 StPO) |
Einsatz technischer Mittel, Observation |
Mithören eines Gespräches zwischen Angeklagtem und Verteidiger durch angelehnte Tür |
BVV, umfassender Schutz der vertraulichen Kommunikation zwischen Angeklagtem und Verteidiger (LG Augsburg, DVP 2016, 40) |
Aufzeichnungen über selbstbelastende Gesprächsangaben des auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten gegenüber einer Privatperson |
Keine Folgen (BGH, NStZ 2011, 596) |
Überwachung Selbstgespräch im Auto |
BVV, Kernbereichsschutz (BGH, NStZ 2012, 399), a.A. Warg, NStZ 2012, 238) |
Heimlich aufgezeichnetes Selbstgespräch im Krankenzimmer |
BVV, Kernbereichsschutz (BGH, NJW 2005, 3295) |
Heimliche Überwachung von Besuchergesprächen in der U-Haft |
BVV, Verstoß fair-trial, Art. 6 Abs. 1 EMRK (BGH, NJW-Spezial, 2009, 521) 116 |
Nicht richterlich angeordnete Observation |
BVV (AG Frankfurt, StV 2013, 380) |
Observation ohne Anordnung oder über die zulässige Dauer hinaus |
BVV, wenn nach Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall der Verfahrensverstoß so schwer wiegt, dass das Interesse an der Wahrheitserforschung zurückzutreten hat (OLG Hamburg, NStZ-RR 2008, 144); s. aber BVerfG, NJW-Spezial 2009, 585: Rechtswidrige Verhalten der Polizei bei mangelhafter Dokumentation |
1Zur Bedeutung des Tatverdachts im Ermittlungsverfahren vgl. die Übersicht von Huber, JuS 2008, 21.
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