Der Beweisring setzt Fallgestaltungen voraus, in denen untereinander unabhängige Indizien unmittelbar auf die festzustellende (Haupt-)Tatsache schließen lassen, sich also, bildlich gesprochen, wie ein Ring um diese legen.
Quelle: Huber, JUS 2016, 218 (220)
Mehrere positive Indizien erhöhen zusammen betrachtet den Gesamtbeweiswert für die Haupttatsache. Ist ein einzelnes Indiz nicht beweiskräftig, so kann gleichwohl die Summe aller Indizien die nötige Überzeugung vermitteln. Umgekehrt können auch überzeugende Indizien durch einzelne widersprechende Umstände in ihrer Beweiskraft erschüttert werden. Beim Beweisringumschließen alle Indizien die Haupttatsache, sodass mit jedem weiteren Indiz die Schlussfolgerung an Überzeugungskraft gewinnt.
Von einer beweiskräftigen Anhäufung der Indizien ist aber nur dann auszugehen, wenn die einzelnen Beweistatsachen voneinander unabhängig sind. Abhängigkeit heißt, dass das zweite Indiz häufiger vorkommt, wenn schon das erste Indiz vorliegt. Treten Indizien nämlich regelmäßig zusammen auf, erhöht ihr gemeinsames Vorkommen den Beweiswert nicht. Wenn am Tatort außer großen Fußspuren auch große Handabdrücke vorhanden sind und der Angeklagte beides aufweist, dann hilft der zweite Aspekt nicht weiter, da fast alle Menschen mit großen Füßen auch große Hände haben. 58Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln, erforderlich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung. Auch bei entlastenden Angaben des Angeklagten hat der Tatrichter sich eine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit aufgrund des gesamten Beweisergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden. 59
Bei einer Beweisketteerfolgt der Schluss von der Hilfstatsache auf die Haupttatsache nicht unmittelbar, sondern die erste Hilfstatsache lässt den Schluss auf eine zweite Hilfstatsache zu und erst die zweite oder dritte Hilfstatsache erlaubt den Schluss auf die Haupttatsache. Es ist folglich ein Indizienbeweis in mehreren Zwischenschritten. Bei der Beweiskette weist also ein Indiz jeweils (nur) auf das nächste und erst das letzte auf die gesuchte Haupttatsache hin, wobei im Unterschied zum Beweisring Variante der Gesamtbeweiswert abnimmt. 60
Beispiel: 61Dem Ehemann wird vorgeworfen, seine Ehefrau getötet und dies als Unfalltod im Straßenverkehr getarnt zu haben. Der Beweis könnte in folgenden Schritten erfolgen:
Ehemann hat einen Kleintransporter angemietet
Beweis:Zeugen aus der Autovermietung
im Laderaum lag die Ehefrau
Beweis:DNA im Laderaum
mit dem Kleintransporter wurde die Leiche überrollt
Beweis:Fasern im Unterbodenschutz
Ehemann hat demnach seine Frau getötet und die Leiche am Straßenrand zurückgelassen
Die „Hilfstatsachen“ müssen miteinander verknüpft werden, sodass am Ende durch eine Verknüpfung aller „Hilfstatsachen“ (Indizien) eine Kette entsteht, die durch kriminalistisches Denken von einem Kettenglied zum nächsten führt und am Ende den Schluss auf die Täterschaft zulässt. Bestehen Zweifel, sind weitere Indizien zu suchen. Gegebenenfalls ist der Angeklagte „mangels Beweisen“ freizusprechen (in dubio pro reo).
Der direkte und/oder unmittelbare Beweis stellt in der forensischen Praxis eher die Ausnahme dar. Indizienbeweise sind die Regel. In der Tagespresse liest man nicht selten, die eine oder andere strafgerichtliche Entscheidung beruhe auf einem „reinen Indizienprozess“. Die Aussage, ein Strafverfahren sei ein „Indizienprozess“ ist regelmäßig als unterschwellige Kritik am Verfahren und als Infragestellung seines Ergebnisses intoniert. „Reine Indizienprozesse“, so wohl die dahinterstehende Annahme, seien etwas irgendwie Zweifelhaftes, Minderwertiges. Das provoziert zu der Frage, was wohl das Gegenteil des so beschriebenen Prozesses sein sollte. 62
Der Grundsatz, dass sich Zweifel zugunsten des Angeklagten auswirken müssen, ist gesetzlich nicht ausdrücklich festgeschrieben. Er besagt, dass Zweifel im tatsächlichen Bereich bei der Anwendung materiellen Rechts, die trotz Ausschöpfung aller Beweismittel nicht behoben werden können, nur zugunsten des Angeklagten bewertet werden dürfen, das Gericht also nur die Tatsachen zum Nachteil des Angeklagten verwerten darf, die zu seiner Überzeugung feststehen. 63
Unterschieden werden Personal- und Sachbeweis. Neben dem Personalbeweis wird der Sachbeweis immer bedeutsamer. Hierfür ist insbesondere kennzeichnend, dass der Sachverständige Wahrscheinlichkeits-Aussagen zum Beweiswert des Spuren-Vergleichs macht. Der Sachbeweis ist forensisch nicht definiert, polizeilich findet er allerdings in einer Vielzahl von Regelungen und Darstellungen Berücksichtigung. Institutionell befasst sich z.B. die Kriminaltechnik mit dem Sachbeweis, wenn über dessen rein gegenständliche Aussagekraft hinaus auch eine Spureneigenschaft vorhanden ist. Im Gegensatz dazu stehen gedankliche Vorgänge wie menschliche Beobachtungen, Eindrücke, Einschätzungen und Motivationen, die als Personalbeweis relevant sind. 64Einen besonderen Beweiswert erreichen solche (objektiven) Sachbeweise, die ihre Entsprechung in Personalbeweisen finden, das heißt immer dann, wenn die objektiv festgestellte Beweissituation logisch nachvollziehbar mit den subjektiven Bekundungen von Tatbeteiligten (Täter, Opfer, Zeugen) korrespondieren.
Der Personalbeweis und der Sachbeweis ergänzen sich und dürfen nicht unabhängig voneinander bewertet werden. Als 1998 beim BKA die DNA-Analyse-Datei (DAD) eingerichtet wurde und im Lauf der Jahre immer mehr Bedeutung gewann, gab es Stimmen, die den Personalbeweis für nachrangig erklärten. Jedoch behält der Personalbeweis seine Bedeutung und kommt insbesondere dort zum Tragen, wo der Sachbeweis an seine Grenzen stößt. So ist es z.B. kaum möglich, allein mit dem Sachbeweis konkrete Angaben über ein Motiv zu erlangen. Es wurde auch bei dem „Phantom von Heilbronn“ deutlich, dass der Sachbeweis für sich allein fehleranfällig sein kann. Beim „Phantom von Heilbronn“ handelte es sich um eine angebliche Täterin, die ab 2007 mit sechs bundesweiten Morden und einem weiteren Todesfall in Verbindung gebracht wurde. Erst im März 2009 stellte sich heraus, dass das an 40 unterschiedlichen Tatorten gefundene DNA-Material von einer Frau stammte, die die zur polizeilichen Spurensicherung eingesetzten Wattestäbchen verpackt hatte. Die von ihr angefassten Wattestäbchen waren nicht steril, sondern wiesen ihre DNA auf. 65
Beweismittel des Personalbeweises ist der Mensch. Damit ist der Personalbeweis auch gleichzeitig subjektiver Beweis, denn er ist abhängig von der individuellen Wahrnehmungsfähigkeit und der Reproduzierbarkeit beweiserheblicher Wahrnehmungsinhalte sowie der Wahrhaftigkeit der Aussage, soweit Zeugen und/oder Beschuldigtenaussagen Gegenstand des Beweises sind. 66
Der Personalbeweis ist subjektiv geprägt. Er ist stets auf seinen Wirklichkeitsgehalt zu überprüfen.
In der StPO gibt es zwei persönliche Beweismittel: Zeugen und Sachverständige.
Der in der deutschen Kriminaltechnik zentrale Begriff des Sachbeweises impliziert Sachlichkeit, Kompetenz und Zuverlässigkeit. Sowohl Ermittlung als auch Beweisführung vor Gericht stützen sich auf die Ergebnisse kriminaltechnischer Untersuchungen in der Annahme, wissenschaftlich fundierten Sachverständigenaussagen guten Gewissens folgen zu können. 67Zum Sachbeweis zählen:
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