Hans Morandell alias „Korsičan“ hingegen weitet sein Einsatzgebiet sehr schnell auf Italien, die Schweiz und auch Jugoslawien aus. Der StB ist vor allem an Nachrichten aus dem militärischen Bereich interessiert: Truppenstärke, Bewaffnung, Pläne und Beschreibungen der militärischen Anlagen. Man übergibt Morandell einen Fotoapparat der Marke Leica, mit dem er zu den Berichten auch Fotos liefert. Finanziell bestens ausgestattet, beginnt Morandell für den StB in der Welt herumzureisen. So fährt er 1950 für einen Dienstauftrag in die Türkei und nach Griechenland, 1951 nach Norwegen, in den Iran und nach Syrien. 1952 schickt ihn der tschechoslowakische Nachrichtendienst nach Chile. Bei all diesen Reisen liefert „Korsičan“ Berichte über die Länder ab und wirbt Zuträger an. Bereits Anfang 1950 hat Morandell fixe Zuträger in Istanbul, Teheran, Athen und in Wien. Eine weitere Reise im Frühjahr 1951 führt ihn nach Jugoslawien, dabei lässt „Korsičan“ seine politischen Kontakte zu Friedl Volgger spielen. In seinem StB-Akt heißt es:
Der Agent erhielt am 20. Mai 1951 ein Visum für Jugoslawien. Er nutzte dafür die Gelegenheit der Reise seines Bekannten Volgger, des Mitglieds des italienischen Parlaments und Abgeordneten für die deutsche Minderheit in Tirol, nach Jugoslawien. Der Agent ist mit Volgger aus der Zeit bekannt, als er als Sekretär in der SVP arbeitete. 18
Morandell besucht auf dieser Reise zusammen mit Friedl Volgger in Laibach Professor Bogdan Novak, der mit Volgger zusammen im KZ Dachau interniert war. Ebenso treffen die beiden das Belgrader Regierungsmitglied Drago Marušič. Die Informationen über die Gespräche landen keine zehn Tage später bei der tschechoslowakischen Staatssicherheit.
Toter Briefkasten in der Taborstraße (Zeichnung aus dem Korsičan-Akt): Dokumente für den StB in Telefonzelle hinterlegt .
Hans Morandell ist zu diesem Zeitpunkt längst hauptberuflich in der Schattenwelt der Geheimdienste angekommen. Offiziell studiert er immer noch, ab Herbst 1950 aber nicht mehr in Innsbruck, sondern in Wien. Der Wechsel gründet auch darin, dass der Weg aus der österreichischen Bundeshauptstadt in die Tschechoslowakei nicht so weit ist. Morandell hat sich zudem längst in Österreich eine Deckidentität zugelegt. Er operiert jetzt unter den Namen „Hans Waldner“ mit Wohnsitzen und Postfächern in Innsbruck, Salzburg und in Wien. Und weil zu häufige Reisen in die ČSR auffallen und der Grenzübertritt nicht ungefährlich ist, baut man ein System von sogenannten „toten Briefkästen“ auf, das Morandell und eine ganze Gruppe weiterer Agenten aus seinem Netzwerk nutzen. Ein toter Briefkasten ist ein öffentlicher Ort, an dem ein Agent unbemerkt Dokumente oder Nachrichten deponieren kann, die dann von einem Geheimdienstmann dort abgeholt werden. In den Prager Akten finden sich Dutzende ungelenke Zeichnungen solcher toter Briefkästen. Sie stellen Übergabeorte in Santiago de Chile, in Mailand oder in Wien dar. In der damals in vier Besatzungssektoren aufgeteilten österreichischen Hauptstadt operieren Hans Morandell und seine Kollegen vor allem im sowjetischen Sektor. Die toten Briefkästen werden im 2. Bezirk rund um den Praterstern eingerichtet, so etwa in einer öffentlichen Telefonzelle in der Taborstraße, im Augarten oder unter einer Bank an der Ausstellungsstraße im Wiener Prater. 19Wie man operativ vorgeht, lässt sich einem Schreiben des StB-Führungsoffiziers vom Sommer 1952 entnehmen, in dem er einem der Agenten genaue Vorgaben macht, wie Hans Morandell zum verabredeten Treffen nach Brünn kommen soll:
Material wird er keines mitnehmen. Das Material legt er in einen Koffer. Diesen Koffer übergibt er am 14. August 1952 in die Gepäckaufbewahrung am Nordwestbahnhof in Wien. Den Gepäckschein verschließt er in ein Kuvert und dieses legt er bis spätestens 21.00 Uhr desselben Tages in die ihm bekannte Telefonzelle. Wenn er bei mir eintrifft, wird das Material bereits hier vorliegen. Es ist ratsamer den Grenzübertritt ohne Material zu vollziehen. 20
Diesen Rat befolgt „Korsičan“ aber nicht konsequent. Deshalb wird es schon wenig später zu einem gefährlichen Zwischenfall kommen. Als Hans Morandell seinen Lebensmittelpunkt nach Wien verlegt, übernimmt ein enger Verwandter seine Aufgabe in Innsbruck: Edgar Meininger ist ein Cousin Morandells. Meininger, am 12. Juni 1929 in Bozen geboren, lebt und studiert ebenfalls in Innsbruck. Offiziell angeworben wird der damals 22-jährige Student am 9. April 1951. Es ist Morandell, der seinen Vetter dem StB andient. Edgar Meininger erhält den Decknamen „Pedel“, was auf Slowakisch „Perle“ heißt. 21Wie bei fast allen StB-Informanten wird auch für ihn ein Code ausgemacht, der bei persönlichen Treffen gebraucht wird, sollten sich der Agentenführer und der Agent persönlich nicht kennen. Es ist ein kurzer aus Frage und Antwort festgelegter genauer Dialog, der schön bürokratisch in der Personalakte festgehalten wird. Im Fall von „Pedel“, ist es die Frage: „Ist ihr Onkel nicht bei der Post beschäftigt?“ Die richtige Antwort: „Nein, er ist ein Eisenbahner.“ 22
Weil Hans Morandell jahrelang bei den Meiningers in der Innsbrucker Friedhofstraße wohnt, dürfte er schon vorab seinen Vetter instruiert haben, denn Agent „Pedel“ wächst innerhalb kürzester Zeit in seine Aufgabe hinein. Der spätere Innsbrucker Diplomvolkswirt liefert in einem seiner ersten Berichte eine detaillierte Beschreibung des amerikanischen Stützpunktes in Reichenau bei Innsbruck sowie über den Ausbau des amerikanischen Lagers für Flüchtlinge (Displaced Persons) in Rum. Dem Bericht sind Skizzen und Fotos beigelegt. Mitte März 1951 fährt „Pedel“ nach Triest, wo er einen detaillierten Bericht über den Hafen und die dortigen militärischen und zivilen Einrichtungen anfertigt. 23Edgar Meininger übernimmt auch das auf den Namen „Hans Waldner“ laufende Postfach 139 am Innsbrucker Hauptpostamt, auf dem fast wöchentlich Berichte von Zuträgern eintreffen. So enthält Meiningers StB-Akt einen ausgiebigen Schriftverkehr mit Oktay Özgökce, der aus Izmir Nachrichten und Berichte aus der Türkei liefert. 24Im Sommer 1951 versucht Agent „Pedel“ auch einen Zuträger in Jugoslawien anzuwerben. In einem Bericht an den StB stellt er den Kandidaten vor, der als „militärischer Korrespondent“ fungieren soll: Ivica Spehar aus Zagreb. Aus Meiningers Schilderung geht eindeutig hervor, dass es sich bei dem 26-Jährigen um einen Kriminellen handelt.
Edgar Meininger (alias „Pedel“) in der Uniform der NS-Jugendbewegung (Pimpf): Morandells Cousin arbeitet jahrelang für den StB .
Ivica selbst ist ein mittelgroßer, dunkler, meist finster blickender Mann, der sich bis heute seinen Lebensunterhalt mit allerlei dunklen Geschäften verdient. Verkauf von Schmuggelwaren (Nylon, Munition, Uhren, Medikamente usw.), die aus dem Ausland kommen, und Chef einer Art Bordells zählen nur zu seinen Hauptbetätigungsgebieten. Mit Recht kann man ihn zu einem, wenn nicht den führenden Kopf der Zagreber Unterwelt zählen. 25
Ob es wirklich zu dieser Zusammenarbeit kommt, geht aus den Prager Akten nicht hervor. Sicher ist, dass schon bald danach Informationen aus Jugoslawien in Richtung StB fließen. Doch dafür könnte eine andere Person verantwortlich sein, nämlich ein weiterer junger Mann aus Bozen. Es handelt sich um den Spross einer besonders bekannten und einflussreichen Südtiroler Familie.
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