Mit dem Generalkonsul Luigi Tamburini und einem seiner Agenten versuchte der italienische Dienst am Hotspot der Sympathisantenbewegung für einen Anschluss Südtirols an Österreich in Innsbruck den Bergisel-Bund zu infiltrieren. Die SIFAR-Zentrale in Rom – so der Militärhistoriker Heinz von Lichem – konnte sich aber in der Hauptstadt des Bundeslandes Tirol auch auf zwei andere Verbündete stützen, zum einen vatikanische Kreise im Abschöpfen menschlicher Quellen, zum anderen auf den britischen Partnerdienst MI6, der die Ergebnisse von Abhöroperationen beisteuerte.
Das sechste Kapitel öffnet den Blick auf die Unterwanderung der Südtiroler Kommunisten durch eine Top-Quelle wie den Leiter ihres Bozner Büros Carlo Bernardo Zanetti, dessen Führungsoffizier Franceschini interviewen konnte. Zanetti stand bis zu seiner Enttarnung im Oktober 1952 für jenen hochrangigen Agententypus, der nicht nur hochkarätiges Insiderwissen liefert, sondern auch destruktive Personalentscheidungen einleiten kann. Dass der falsche Professor seine Spitzeldienste dann bis 1978 in ganz anderen Funktionen mit konträrer Stoßrichtung fortsetzte, hat seinen besonderen Reiz.
Es ist der reichhaltige Aktenfundus des US-amerikanischen Nationalarchivs, ergänzt durch Akten des Bundesnachrichtendienstes, der den folgenden Kapiteln über die Aktivitäten des SIFAR, der CIA und des BND Fleisch verleiht. Als Akteure werden zunächst der Pressezar und CIA-Agent Fritz Molden und der Journalist Wolfgang Pfaundler, Unterstützer und Waffenlieferant des BAS und zugleich Zuträger Pullachs, eingeführt. Einmal mehr erweist sich hier Innsbruck als Kampfplatz des verdeckten Krieges zwischen zahlreichen Nachrichtendiensten.
Gefährliche Geheimdienstgranden des Dritten Reichs wie der SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny oder der ehemalige Adjutant von Adolf Eichmann Otto von Bolschwing spielen im Nationalitätenkonflikt ungeachtet ihrer mörderischen Vergangenheit eine wichtige Rolle, die Franceschini minutiös nachzeichnet. Aber auch militärpolitische Themen wie die Stationierung taktischer Atomraketen vom Typ Honest John oder der Aufbau von Flucht- und Versorgungsrouten der „Stay Behind“-Netze im äußersten Norden Südtirols blitzen auf. Im zehnten Kapitel macht Franceschini dann deutlich, dass diese als „Gladio“-Netzwerk bekannt gewordenen Kriegsvorbereitungen zum verdeckten Kampf hinter den feindlichen Linien auch in Südtirol zum Aufbau geheimer Waffenlager, zu amerikanisch-italienischen Manövern und zu Sabotageplanungen bis hin zur Sprengung der Europabrücke führten. „Gladio“-Angehörige schürten auch die innenpolitische Spannung, indem sie Attentate verübten, die dann dem BAS in die Schuhe geschoben wurden. Provokationen dieser Art stehen selbst hinter der Neuauflage des Bombenterrors in den 1980er-Jahren.
Vom spionagetechnischen Klein-Klein schafft der Autor immer wieder den Sprung auf die weltpolitische Bühne, dort beispielsweise, wo es um die Berichterstattung über die brisante Lage in Südtirol für US-Präsident John F. Kennedy oder die Diskussionen im österreichischen Staatsapparat geht. Besonderen Geheimdienstmitarbeitern widmet Franceschini informative Kästen, die ein weites Spektrum unterschiedlichster Agententypen und ihrer Schicksale widerspiegeln. Da werden auch posthum zu Lebzeiten unentdeckte Südtiroler Spione entlarvt. Zu den interessantesten Miszellen zählt die Geschichte einer Agentin des israelischen „Mossad“, die in Südtirol rechtsextremistischen Organisationen nachspürt.
Abgerundet wird der erste Band durch die gründlich recherchierte Geschichte eines von den italienischen Diensten in Auftrag gegebenen Mordanschlags vom September 1964, bei dem ein Nordtiroler Journalist einen BAS-Aktivisten tötet, einen zweiten schwer verletzt. Dieser Fall wirkt bis heute fort, da die italienischen Behörden den Mörder noch immer decken.
Den studierten Historiker erkennt man in der Recherche, im Erschließen einer Vielzahl unterschiedlichster Quellen, in erster Linie eines reichhaltigen Fundus von Primärquellen. Das Spektrum reicht dabei von Sach- und Personalakten der italienischen Dienste, Unterlagen der Justizbehörden bis hin zu Nachlässen, Dokumenten aus dem US-Nationalarchiv und zahlreichen Archivalien aus Prag. Die Auswertung der Literatur und Presse sowie Interviews mit aufgespürten Zeitzeugen oder ihren Nachkommen ergänzen die immense Fleißarbeit.
Den praktizierenden Journalisten spürt man am klugen Aufbau der Kapitel und der flüssigen Schreibe. Die turbulenten Ereignisse finden ihren Widerhall in der herausfordernden Dynamik des Textes. Franceschini arbeitet dabei mit einer Vielzahl wörtlicher Zitate. Das lässt den Zeitgeist atmen, die damalige Denkungsart und das konspirative Verklauseln in geheimdienstlichen Briefschaften nachempfinden.
In diesem ersten Band dominieren die nachrichtendienstlichen Hintergründe, Personen und Aktionen, die im Zusammenhang mit dem teils brutal ausgetragenen Nationalitätenkonflikt stehen. Der zweite Band legt seinen Fokus auf die Aktionen des bundesdeutschen Nachrichtendienstes (BND), die Ausspähung der Südtiroler Patriotenszene durch die ostdeutsche Staatssicherheit (STASI) und die Bespitzelung der Südtiroler Linken.
Den beiden Bänden ist über eine Heimatgeschichte des Klandestinen für die Südtiroler Landsleute hinaus eine breite Leserschaft zu wünschen.
Weilheim, im November 2020
Erich Schmidt-Eenboom
Tschechoslowakischer Ausweis für Hans Morandell: Ausgestellt auf den Namen Jan Moravec .
Die tschechoslowakische Staatssicherheit StB wirbt Anfang der 1950er-Jahre insgesamt elf namentlich bekannte junge Südtiroler an, darunter in einer Schlüsselposition einen SVP-Mitarbeiter sowie einen Neffen von Kanonikus Michael Gamper. Zwischen Bozen, Rom, Innsbruck und Wien entsteht ein Informantennetz, das jahrelang Militärspionage für den Ostblock betreibt. Gleichzeitig geraten die Beteiligten aber auch ins Visier des italienischen Geheimdienstes. Ein junger Bozner landet am Ende gar für acht Jahre in einem Prager Gefängnis.
Der Brief aus Brno, der in der ehemaligen Tschechoslowakei (ČSR) liegenden Stadt Brünn mit hauptsächlich deutschsprachiger Bevölkerung, trägt das Datum 4. Dezember 1948. Kurz gefasst auf einer Schreibmaschinenseite wird mit diesem Schreiben ein Informant für den tschechoslowakischen Geheimdienst „Státní bezpečnost“ (StB) angeworben. Der Briefschreiber kommt in einem etwas ungelenken Deutsch direkt zur Sache:
Ich erfuhr von einem Freund, mit dem ich in Verbindung stehe, über Ihren Aufenthalt in der ČSR u. über Ihren jetzigen Aufenthalt in Linz .
Falls Sie nicht voll beschäftig sind, erlaube ich Ihnen eine erträgliche Beschäftigung anzubieten. Es sind mir über Ihre Person gewisse Einzelheiten bekannt, sind jedoch nicht ausreichend, damit ich über unsere Geschäftsverbindung unmittelbar handeln könne .
Ich bitte mir mitzuteilen, ob Sie Ihre jetzige Beschäftigung voll ausnützt u. ob Sie die Möglichkeit haben, von Zeit zu Zeit eine Reise zu uns zu unternehmen. Legal oder illegal .
Falls Sie beabsichtigen mein Angebot anzunehmen, ist unseres persönliches Zusammentreffen unbedingt erforderlich .
Junger Hans Morandell oder Giovanni Sostero: Sekretär der SVP Bozen .
Eltern Hedwig Morandell und Licurgo Sostero: Vater verschwindet aus Südtirol .
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