Hans Morandell reist im Sommer 1947 tatsächlich erstmals in die ČSR, um an einem Studentenfestival in Prag teilzunehmen. Dabei lernt er eine Reihe von Gleichaltrigen kennen, mit denen er auch danach noch Briefkontakt hält. Morandell ist von der Tschechoslowakei durchaus angetan. Er bleibt danach einige Monate in Karlsbad, wo er als Hilfsarbeiter in den dortigen Kaolinwerken angestellt wird. Kaolin ist ein mineralischer Rohstoff, der in der Keramik-, Papier- und Chemieindustrie verarbeitet wird. Morandell lernt dabei auch relativ gut Tschechisch, sodass er später die Briefe seines StB-Verbindungsoffiziers in dessen Muttersprache beantworten kann. Auch diese Tatsache dürfte bei seiner Anwerbung Ende 1948/Anfang 1949 mit ausschlaggebend gewesen sein. „Der Informant vermittelt den Eindruck einer ehrlichen und wahrheitsliebenden Person. Er ist intelligent und freundlich. Er mag die Tschechoslowakische Republik sehr und er kommentiert die Bedingungen in unserem Land äußerst positiv“ , beschreibt der StB-Offizier seinen Agenten „Korsičan“ im Registrierungsprotokoll. 8
Aus dem Geheimdienstakt geht auch der Beweggrund hervor, warum Morandell das Angebot umgehend annimmt. Da er seine Mutter finanziell unterstützen muss, brauche er unbedingt eine Einnahmequelle. Im Prager Personalakt heißt es: „Dem Informanten ist bekannt, dass er für den Geheimdienst arbeitet, er weiß jedoch nicht für welche Abteilung.“ 9Zu diesem Zeitpunkt studiert Morandell an der Universität Innsbruck Philosophie, wohnt bei seinem Onkel Meininger in Innsbruck, fährt aber immer wieder zu seiner Mutter nach Bozen. So schickt der StB anfänglich seine Briefe vor allem an die Anschrift der Mutter nach Bozen. Das Operationsgebiet von „Korsičan“ soll vor allem Tirol und Vorarlberg sein, doch schon bald wird sich die Tätigkeit Morandells über halb Europa und darüber hinaus erstrecken.
Wie bereits erwähnt, kommt es Anfang Februar 1949 im Hotel Drei Kronen in Znojmo zum Anwerbungsgespräch. Dabei erhält „Korsičan“ von dem StB-Offizier, der in den nächsten Jahren seine Führung übernimmt, bereits erste Aufträge. So soll er detaillierte schriftliche Berichte über die in Innsbruck stationierten französischen Besatzungstruppen und über das Flüchtlingslager in Wörgl liefern. Das besondere Interesse des StB gilt dabei den „Namen der Führer hauptsächlich aus den Reihen der tschechoslowakischen Auswanderung“ . Ein weiterer Auftrag ist ein genauer Bericht über den Flughafen Innsbruck/Kranebitten (Abmessungen des Flughafens, Ausmaße und Art der Startfläche, Signalvorrichtungen, Flughafeneinrichtungen, Flughafenbesatzung, Anzahl und Flugzeugtypen und Skizze des Flughafens). Beim Anwerbegespräch wird auch schon das nächste Treffen mit „Korsičan“ in einem anderen Hotel in Znojmo für den 10. März 1949 festgelegt. Zudem wird ein einfacher Code vereinbart, den man in den Jahren danach deckungsgleich bei allen anderen Agenten und Informanten aus diesem Netzwerk umsetzen wird. Im StB-Bericht heißt es dazu:
Für den Fall, dass er aus schwerwiegenden Gründen an diesem Tag nicht in der Lage sein wird zu kommen, wird er das neue Datum per Telegramm mitteilen, das er aus Italien senden wird. Der Inhalt: Antóns Hochzeit am X / x bedeutet Datum der Ankunft. 10
In den Akten finden sich unzählige solcher Telegramme. So etwa ein Fernschreiben vom Herbst 1950, das „Korsičan“ von Bozen nach Brünn schickt. Der Text: „Antons Hochzeit am 8.12. Janos“ . 11Dass Morandell mit „Janos“ unterschreibt, hat einen Grund. Zu diesem Zeitpunkt ist die Zusammenarbeit zwischen dem StB und seinem Bozner Agenten bereits so gefestigt, dass der tschechische Nachrichtendienst Hans Morandell sogar einen falschen, tschechoslowakischen Personalausweis auf den Namen „Jan Moravec“ ausstellt. 12
Tote Briefkästen am Wiener Prater
Hans Morandell beginnt in den Monaten und Jahren nach der Anwerbung ein Agentennetz für den StB aufzubauen, das über ganz Europa reicht. Bereits beim zweiten Treffen im März 1949 in Znojmo übergibt er die schriftlichen Berichte zum Innsbrucker Flughafen und dem Wörgler Flüchtlingslager. Ab diesem Zeitpunkt fährt Morandell fast monatlich in die Tschechoslowakei. Allein im Jahr 1949 kommt es zuerst in Znojmo und später in Brno zu elf Treffen mit seinen StB-Führungsoffizieren. Auch in den Jahren danach findet jährlich rund ein Dutzend solcher Zusammenkünfte statt. Agent „Korsičan“ übergibt dabei Hunderte Dokumente, Fotos und Berichte. Der Südtiroler Student wird vom StB dafür mehr als gut entlohnt. So bekommt Hans Morandell allein im ersten Jahr seiner Tätigkeit 1949 für seine Arbeit 38.216 Kronen, 582.000 Lire, 5.500 Schilling und 180 Dollar vom tschechischen Nachrichtendienst. In den Jahren danach steigt sein Einkommen noch einmal beträchtlich an. 1951 zahlt der StB an Morandell 30.339 Kronen, 3.360.000 Lire, 16.000 Schilling. 1.700 französische Franc und 4.335 Dollar. Bis April 1953 bekommt „Korsičan“ so insgesamt 1.301.590 Kronen. 13Umgerechnet sind das damals 17.354.533 italienische Lire, nach heutigem Wert rund 9.000 Euro. Das klingt nicht nach viel. In Wirklichkeit ist es aber sehr viel Geld. Das Durchschnittsgehalt eines italienischen Arbeiters liegt 1955 bei 43.000 Lire (22,20 Euro) im Monat. Damit wird klar, wie fürstlich die tschechoslowakische Staatssicherheit ihre Zuträger entlohnt.
Diese finanzielle Ausgestaltung erleichtert es Hans Morandell neue Zuträger anzuwerben. Immer wieder macht „Korsičan“ auch Vorschläge von Personen, die der StB anwerben soll. So liefert er genaue Lebensläufe des in Innsbruck wohnhaften Südtirolers Erwin Tomasini, des Nordtirolers Richard Wohlfarter oder des Pragers Gottfried Morawetz, der in Nordtirol im Exil lebt. 14Morandell versucht lange Zeit auch einen Mann anzuwerben, der in Südtirol eine politische Rolle spielt: Carlo Bernardo Zanetti ist der erste Landessekretär der Südtiroler Ablegers der Kommunistischen Partei, des Partito Comunista Italiano (PCI). Aus den Akten geht hervor, wie „Korsičan“ 1949/1950 Zanetti umwirbt und zur Mitarbeit gewinnen will. Am Ende scheitert die Anwerbung aber. Carlo Bernardo Zanetti ist in diesem Buch ein eigenes Kapitel gewidmet und darin wird auch klar, warum der Kommunist nicht auf das Angebot Morandells einsteigt. 15
Bereits beim ersten Treffen mit dem StB in Znojmo macht „Korsičan“ den Vorschlag, beim nächsten Treffen einen engen Freund in die ČSR mitzubringen. Es handelt sich um Cesare Premi, am 29. Februar 1924 in Peri bei Verona geboren, in Bozen wohnhaft und von Beruf Geometer. Premi arbeitet vom September 1947 bis August 1948 in Kaolinfabriken in Karlsbad, zuerst als einfacher Arbeiter und später als Hilfsgeometer. „Korsičan“ erklärt seinem StB-Führungsoffizier, dass Premi sein Studium in Österreich fortsetzen möchte, aber nicht genug Geld dafür habe. Im StB-Dienstbericht über die Unterredung heißt es:
Nachdem ich den Agenten auf die Gefahren aufmerksam gemacht habe, die sich aus der Beteiligung eines Dritten ergeben, erklärte er, er sei überzeugt, dass dieser Kandidat ihn niemals verraten werde, weil er seit seiner Kindheit sein bester Freund ist. 16
Der StB willigt ein, dass Cesare Premi mit „Korsičan“ in die ČSR kommt. Obwohl sich Morandell bemüht und Premi mehrmals zusagt, dauert es bis zum Sommer 1949, bis es dazu kommt. Hans Morandell und Cesare Premi reisen vom 11. bis 15. Juni 1949 nach Brünn. Dabei wirbt der StB auch Cesare Premi als Agenten und Kurier an und gibt ihm den Decknamen „Vandal“, auf Deutsch: „Vandale“. 17Obwohl „Korsičan“ sich in den Monaten danach immer wieder beim StB für „Vandal“ einsetzt, ist das Verhältnis von Beginn an angespannt. Das ganze Jahr 1949 versucht der StB über Morandell Kontakt zu Premi aufzunehmen. Dieser will aber nichts davon wissen. Er weigert sich auch, nochmals in die ČSR zu kommen. Cesare Premi arbeitet inzwischen als Geometer für die unter dem Faschismus eingerichtete Körperschaft „Ente Nazionale delle Tre Venezie“ und ist viel in Norditalien unterwegs. Erst im Sommer 1950 wird „Vandal“ dann wirklich tätig, liefert Berichte und erhält dafür auch Geld.
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