Er hob Elin auf, wärmte in der Mikrowelle Brei auf und setzte sich mit ihr und der Flasche auf das Wohnzimmersofa. Plötzlich stellte sich Ruhe ein. Jetzt war Schluss mit diesem Leben, es war einwandfrei zu Ende.
Emma tauchte in der Türöffnung auf, ihre hellbraunen Haare waren zerzaust, sie waren jetzt länger. Früher hatten sie ihr bis zu den Schultern gereicht, jetzt fielen sie ein ganzes Stück über ihren Rücken. Die Haare waren füllig und glänzten. Sie stand da in einer Unterhose und einem hellblauen T-Shirt und schaute ihn schlaftrunken an. Auch wenn sie blass und verschlafen war, fand er sie schön. Seine Gefühle für sie waren so selbstverständlich, sie waren einfach vorhanden. Auch wenn sonst nichts zwischen ihnen einfach zu sein schien. Ihre Beziehung war von Anfang an problematisch gewesen. Aber jetzt saß er hier, mit seiner Tochter auf dem Schoß, und da stand die Frau, die er liebte, und nun musste das ganze Hin und Her ein Ende nehmen. Es war ihm egal, ob er auf Gotland eine Stelle als Journalist finden konnte. Das durfte die Sache nicht entscheiden. Er konnte alles machen, an der Kasse im Baumarkt sitzen oder Autos waschen. Was er tun würde, war ihm restlos egal.
»Bist du schon auf?«
Emma gähnte und war unterwegs in die Küche.
»Komm her«, rief er so leise er konnte.
Elin schlief mit offenem Mund in seinen Armen.
»Was ist los?«
»Setz dich.« Emma wirkte überrascht, setzte sich aber neben ihn auf das Sofa und zog die Beine an. Er wandte ihr das Gesicht zu. Es war ganz still im Zimmer, sie schien zu spüren, dass er etwas Wichtiges auf dem Herzen hatte.
»Jetzt reicht es.«
Johan sagte das ruhig und sachlich. Unruhe tauchte in Emmas Blick auf.
»Was denn?«
Johan ließ das Schweigen andauern. Er erhob sich, ging ins Dunkel des Schlafzimmers und legte Elin vorsichtig in ihr Gitterbettchen. Sie schlief noch immer. Er lehnte die Tür an und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
Emma blickte ihm besorgt hinterher. Johan setzte sich auf das Sofa und nahm behutsam ihr Gesicht zwischen seine Hände.
»Ich will jetzt herziehen«, sagte er gelassen. »Hier bei dir und Elin wohnen, ihr seid meine Familie. Ich kann nicht mehr warten. Alles, was mit der Arbeit zu tun hat, wird sich schon finden. Du musst mir erlauben, mich um euch zu kümmern, ein richtiger Vater zu sein, auch für Sara und Filip. Ich will dein Mann sein. Willst du mich heiraten?«
Emma blickte ihn sprachlos an. Einige Sekunden verstrichen. Tränen liefen über ihre Wangen. Mit einer solchen Reaktion hatte er eigentlich nicht gerechnet.
»Aber, Liebes!«
Er beugte sich vor und umarmte sie. Sie weinte in seinen Armen.
»So schlimm kann diese Frage doch wohl nicht gewesen sein?«, fragte er mit unsicherem Lächeln.
»Ich bin so müde«, weinte sie. »Ich bin so verdammt müde.«
Johan wusste nicht so recht, was er dazu sagen sollte, deshalb streichelte er weiterhin ein wenig ungeschickt Emmas Rücken. Plötzlich küsste sie seinen Hals, und ihre Küsse wurden immer leidenschaftlicher. Sie strich sich die Haare aus der Stirn und suchte hungrig nach seinem Mund. Die ganze Zeit mit geschlossenen Augen.
Die Lust flammte in ihm auf, und er drückte sie fast brutal in das Sofa. Er küsste sie heftig, biss fast in ihre Lippen. Emma antwortete mit einem tiefen kehligen Knurren und schlang die Beine um seinen Rücken. Sie liebten sich auf dem Sofa, am Tisch, ans Fenster gelehnt und endlich auf dem Boden. Als er danach mit ihrem Kopf auf seinem Arm da lag, blickte er genau die Unterseite des Tisches an, die nur wenige Millimeter von seiner schweißnassen Stirn entfernt war. Er lächelte, als er ihre Wange küsste.
»Ich nehme an, ich kann das als ja deuten.«
Wie meistens ging Knutas an diesem Morgen zu Fuß zur Arbeit, durch die Östra Hansegata und am Rundfunkgebäude vorbei. Er sah Licht hinter den Fenstern im zweiten Stock, wo derzeit die Regionalnachrichten untergebracht waren, und hätte gern gewusst, ob Johan schon bei der Arbeit war. Es hätte ihn nicht überrascht.
Es war noch immer dunkel draußen, und die Luft war kalt und frisch. Knutas brauchte knapp zwanzig Minuten für den Weg, und unterwegs wurden seine Gedanken klarer.
Als er die Tür zum Polizeigebäude öffnete, verspürte er das vertraute Prickeln, das sich immer dann einstellte, wenn er es mit einer neuen Mordermittlung zu tun hatte. Natürlich war es entsetzlich, wenn ein Mord geschah, aber zugleich gab es diese Spannung und den dringenden Wunsch, den Mörder zu fangen. Die Jagd ging los, und er genoss sie, ohne sich dessen zu schämen. Knutas liebte seine Arbeit, seitdem er vor zwanzig Jahren zur Kriminalpolizei gekommen war. Seit zehn Jahren war er Chef, und auch das gefiel ihm, abgesehen von der Papierarbeit, auf die er gut hätte verzichten können.
Wie immer gab er den Damen in der Rezeption ein Zeichen und wechselte einige Worte mit dem wachhabenden Kollegen, ehe er die Treppen zur Kriminalabteilung im zweiten Stock hochstieg.
Der Besprechungsraum war bereits voll besetzt, als er hereinkam, zwei Minuten vor Beginn der Sitzung. Diese ersten Besprechungen in einem großen Fall waren immer etwas Besonderes. Die Energie war im Raum deutlich zu spüren.
Erik Sohlman teilte als Erstes die neuesten Ergebnisse der technischen Untersuchungen mit.
»Der Mörder ist mit dem Auto zur Norra Murgata gekommen und dann bis zum Tor weitergefahren. Die Schleifspuren und die Verletzungen weisen darauf hin, dass Egon Wallin anderswo ermordet und sein Leichnam dann zum Tor geschafft wurde. Alle Fundstücke aus Östergravar werden untersucht, aber eigentlich sind sie nicht besonders interessant, da der Täter sich dort vermutlich überhaupt nicht aufgehalten hat.«
»Gestern Abend hat eine erste Vernehmung der Frau des Opfers stattgefunden, Monika Wallin«, sagte Knutas. »Sie ist unseres Wissens die Letzte, die Egon Wallin lebend gesehen hat. Nach dem Essen im Donners Brunn am Samstagabend ist das Ehepaar zu seinem Reihenhaus im Snäckgärdsväg gefahren. Die Frau ging ins Bett, Wallin hatte gesagt, er wolle noch eine Weile aufbleiben. Als sie morgens aufwachte, war er nicht da. Er hatte offenbar seinen Mantel angezogen und war aus dem Haus gegangen. Den Rest wissen wir.«
»Kann sich im Haus eine dritte Person aufgehalten haben?«, fragte Karin. »Ein überraschender Gast oder ein Einbrecher?«
»Nein. Sieht nicht so aus. Offenbar ist er allein losgegangen.«
»Hatte seine Frau irgendeine Vorstellung davon, wo er hinwollte?«, fragte Wittberg.
»Nein«, sagte Knutas. »Aber ich sehe sie heute noch einmal, vielleicht kommt dann etwas mehr heraus. Gestern stand sie unter Schock.«
»Was ist mit den Wagenspuren?«, fragte Norrby.
»Schwer zu sagen. Es ist ein größeres Auto, ich tippe auf einen Kastenwagen oder einen Lieferwagen.«
»Wir müssen also feststellen, welche Wagen gestohlen und welche vermietet worden sind«, sagte Knutas.
»Was wohl dahintersteckt?«, sagte Wittberg nachdenklich. »Ich meine, so ein Einsatz fordert doch sehr viel Kraft. Warum hat er sein Opfer im Tor aufgehängt? Das muss doch eine besondere Bedeutung haben.«
Er fuhr sich mit der Hand über seine goldblonden Locken. Für einen Montagmorgen machte Wittberg einen ungewöhnlich gut aufgelegten Eindruck, fand Knutas. Normalerweise war er nach den Abenteuern des Wochenendes immer müde. Der ungeheuer gut aussehende Achtundzwanzigjährige war der hauseigene Casanova der Polizei. Seine kornblumenblauen Augen, seine Lachgrübchen und sein durchtrainierter Körper bezauberten alle Kolleginnen. Bis auf Karin, die ihn eher als einen netten, aber nervigen kleinen Bruder betrachtete. Normalerweise hatte Thomas Wittberg dauernd neue Freundinnen, aber seit einiger Zeit schien er zur Ruhe gekommen zu sein. Er war gerade von einer Reise nach Thailand zurückgekehrt, die er mit seiner aktuellen Freundin unternommen hatte, und seine tiefe Sonnenbräune bildete einen scharfen Kontrast zum Aussehen seiner bleichen und hohläugigen Kollegen.
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