1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 »Was wissen wir eigentlich über das Opfer?« Knutas schaute in seine Papiere. »Also, er heißt Egon Wallin und wurde 1951 geboren, in Visby. Hat sein ganzes Leben hier gewohnt. Verheiratet mit Monika Wallin, zwei erwachsene Kinder, die nicht mehr zu Hause wohnen. Er hatte ein Reihenhaus unten im Snäckgärdsväg. Seine Frau ist über den Todesfall informiert und befindet sich im Krankenhaus. Mit ihr werden wir später sprechen. Wir haben auch die beiden Kinder verständigt, sie wohnen auf dem Festland. Egon Wallin war hier in der Stadt bekannt. Die Galerie führen er und seine Frau seit fünfundzwanzig Jahren. Er hat sie von seinem Vater übernommen, und sie ist in Familienbesitz, seit ich denken kann. Wallin ist nicht vorbestraft. Ich bin ihm im Laufe der Jahre einige Male begegnet, auch wenn ich nicht behaupten kann, wir hätten einander gut gekannt. Verdammt sympathischer Mann, scheint wirklich beliebt gewesen zu sein. Hat irgendwer hier näheren Kontakt zu ihm gehabt?«
Alle schüttelten den Kopf.
Erik Sohlman hatte inzwischen zwei Brötchen vertilgt, deshalb hielt Knutas ihn jetzt für ansprechbar.
»Erik, was kannst du berichten?« Sohlman erhob sich und ging zum Projektor, der mitten im Raum stand. Er gab Smittenberg, der neben der Tür saß, ein Zeichen, das Licht auszumachen.
»Das war also der Anblick, der sich Siv Eriksson heute Morgen bot, als sie zur Arbeit ging. Sie kam über den Fußweg vom Kung Magnus väg und entdeckte den Leichnam, der in der Toröffnung hing. Egon Wallin war angezogen, aber er hatte weder Brieftasche noch Telefon bei sich. Seine Kleidung schicken wir heute noch zur Analyse ins Labor. Ein Halstuch wurde unter dem Leichnam gefunden. Wir wissen nicht, ob es dem Opfer gehörte, aber auch das wird natürlich ins Labor geschickt.«
Sohlman zeigte Bilder des Leichnams aus unterschiedlichen Perspektiven.
»Ich habe ihn nur vorläufig untersucht, aber ich bin ausnahmsweise einmal fast sicher, dass es sich um Mord handelt. Und zwar wegen der Verletzungen am Hals. Als wir den Leichnam heruntergenommen haben, konnte ich ihn mir genauer ansehen, und offenbar ist er nicht durch Erhängen gestorben.«
Er legte eine Kunstpause ein und trank einen Schluck Kaffee. Alle am Tisch lauschten gespannt.
Sohlman zeigte mit einem Kugelschreiber auf das Bild.
»Wallin hat deutliche Verletzungen, die nichts mit der Schlinge um seinen Hals zu tun haben. Die beiden millimeterdicken parallelen Kerben, die ihr hier seht, ziehen sich um den ganzen Hals, unmittelbar über dem Kehlkopf. Die Kerben zeigen, dass er von hinten mit einem scharfen dünnen Draht erwürgt worden ist, mit einer Klaviersaite oder so etwas. Entweder war der Täter unsicher, ob sein Opfer wirklich tot war, oder Egon Wallin hat sich gewehrt und der Täter musste noch einmal zulangen – deshalb die beiden parallelen Spuren. In den Kerben gibt es Verletzungen, die darauf hinweisen, dass der Draht seinen Tod verursacht hat. Außerdem seht ihr hier die dickere Kerbe, die vermutlich von dem Seil stammt, an dem Wallin aufgehängt wurde. Es gibt keine Blutungen und Verfärbungen. Seht ihr, die Furche ist gelbbraun eingetrocknet und ein wenig pergamenthaft. Das kann andeuten, dass er schon tot war, als er aufgehängt wurde. Sonst würden die Verletzungen ganz anders aussehen.«
Nun wurden mehrere Bilder vom Gesicht des Opfers gezeigt. Knutas wich instinktiv zurück. Opfer, die er kannte und gern mochte, waren immer die schlimmsten. Er brachte es dann einfach nicht über sich, seine Gefühle auszuschalten.
Sohlman schien das mit links zu machen. Er stand mit seiner braunen Cordjacke und seinem roten, ungebärdigen Schopf neben dem Projektor und erzählte mit ruhiger, angenehmer Stimme von dieser entsetzlichen Tat. Ab und zu trank er einen Schluck Kaffee, entspannt, als ob er hier Urlaubsbilder vorführte. Knutas würde nie verstehen, wie Sohlman das schaffte.
Er warf einen raschen Blick auf Karin. Sie war kreideweiß im Gesicht. Knutas war von Mitgefühl erfüllt, er wusste, wie sie mit sich kämpfte. Die Bilder des Opfers gingen auch ihm nahe. Egon Wallins Gesicht war rot, die Augen offen. Auf der Stirn hatte er eine Wunde und eine Beule, seine Wange war zerschrammt. Knutas fragte sich, ob er diese Wunden davongetragen hatte, als er um sein Leben kämpfte. Als ob Erik Sohlman seine Gedanken lesen könnte, sagte dieser jetzt:
»Die Verletzungen im Gesicht bringen alles durcheinander. Ich begreife nicht, woher er sie hat. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass sie beim Aufhängen entstanden sind, aber das wirkt seltsam. Und die Wunden am Hals deuten darauf hin, dass er hinterrücks überfallen worden ist. Aber diese Blessuren im Gesicht zu deuten überlasse ich gern der Gerichtsmedizin. Die müssen schließlich auch etwas zu tun haben.«
Sohlman grinste.
»Wie lange ist er schon tot?«, fragte Karin, die langsam ihre normale Gesichtsfarbe zurückgewann.
»Schwer zu sagen. Von der Körpertemperatur her würde ich auf mindestens sechs Stunden tippen. Aber das ist wie gesagt nur geraten, ihr müsst auf den vorläufigen Obduktionsbericht warten.«
»Wie sieht es sonst mit Spuren aus?«, fragte Knutas.
»Im Tor haben wir kaum etwas Interessantes gefunden, ein paar Kippen und Kaugummi, aber die können doch schon länger dort gelegen haben. Es gibt frische Wagenspuren bis zum Tor und auch Schuhabdrücke. Aber in Östergravar wimmelt es natürlich nur so von Fußspuren. Wir haben mit Hunden gesucht, aber dabei ist noch nichts herausgekommen.«
»Kann es sich einfach um einen schlichten Raubüberfall handeln?« Wittberg schaute seine Kollegen fragend an.
»Auch wenn der Täter einfach durchgedreht ist und deshalb sein Opfer erschlagen hat – warum hätte er sich die Mühe machen sollen, ihn im Tor aufzuhängen?«, fragte Karin skeptisch. »Das kommt mir total unwahrscheinlich vor.«
Sohlman räusperte sich.
»Wenn sonst nichts mehr ist, möchte ich gern wieder hin.«
Er schaltete den Projektor aus, knipste das Licht an und verließ dann das Zimmer.
Knutas blickte fragend in die verbliebene Runde.
»Die Motivfrage lassen wir erst einmal beiseite. Es ist viel zu früh, um darüber Spekulationen anzustellen. Was wir sofort angehen müssen, ist, uns einen Überblick über Egon Wallins Leben zu verschaffen, über seine Geschäfte, seine Angestellten, Nachbarn, Freunde, Verwandten, seine Vergangenheit – alles. Das können Karin und Thomas übernehmen. Lars, du kümmerst dich um die Presse – die Journalisten werden uns wie die Habichte überwachen. Dass das Opfer auf diese Weise aufgehängt worden ist, macht die Sache ja nicht besser. Ihr wisst ja, wie die Zeitungsschmierer Sensationen lieben – sie werden sich darin suhlen.«
»Sollten wir nicht schon heute eine Pressekonferenz abhalten?«, schlug Lars Norrby vor. »Sonst sitzen wir doch nur am Telefon. Und alle wollen schließlich dasselbe wissen.«
»Das finde ich ein bisschen zu früh«, wandte Knutas ein. »Reicht nicht erst mal eine Pressemeldung?«
Knutas verabscheute Pressekonferenzen und versuchte, ihnen so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Zugleich verstand er den Standpunkt des Pressesprechers.
»Na ja, das hier scheint ja wohl eine große Sache zu werden. Ich meine, ist es dann nicht besser, gleich alle dazuzuholen?«
»Na gut, wir geben gleich nach dieser Besprechung eine Pressemeldung heraus, in der wir bestätigen, dass es Mord war, und bitten für heute Nachmittag zur Pressekonferenz – in Ordnung?«
Norrby nickte.
»Und dann müssen wir so viel über Wallin und seine Unternehmungen an den Tagen vor dem Mord herausfinden wie möglich. Wen hat er getroffen? Was hat er am Mordtag gemacht? Wer hat ihn zuletzt lebend gesehen? Dieser Mord war geplant.«
Im Flugzeug hatte Johan Zeit, an Emma zu denken. Alles war so schnell gegangen, und er hatte sie nicht mehr anrufen können. Jetzt konnten sie sich früher sehen als geplant. Er sah ihr Gesicht vor sich, die dunklen Augen, die blasse Haut und den sensiblen Mund. Sie hatte ihn nach ihrer letzten Begegnung beim Abschied auf eine neue Weise angesehen, fand er. Als bedeute er ihr jetzt mehr. Drei Jahre dauerte diese Fernbeziehung mit all ihrem Hin und Her schon, und doch war die Zeit, seit Emma in sein Leben getreten war, die beste seines Lebens gewesen.
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