»He Spacko, stören wir dich nicht beim Ficken?«
»Nee, ich bin allein, sie hat ihr Apartment.«
»Aber du hast die doch schon gefickt, Spacko?«
Dann hörte er sich lügen: »Sie ist den ganzen Tag nicht vor die Tür gekommen, und jetzt waren wir auf einer Milonga, dort hat sie dann nicht durchgehalten ...!«
»Wie viel hat sie dann wenigstens ausgespuckt?«
»Wieder so viel wie in Prag, wahrscheinlich hat sie dafür einen Tarif.«
»Spacko, dann verlang doch mehr, wenn sie dich hinter sich herzieht wie einen Koffer!«
Leo hörte aus der Ferne, wie Kája einwarf: »Hat er sie schon gevögelt?«, und er antwortete schnell: »Ja, das mach ich schon noch, morgen fahren wir weiter.«
Das interessierte Kája: »Wohin?«
»Keine Ahnung, aber ...«, plötzlich schwang sich in ihm die Demütigung zu einem Eid eines Betrunkenen auf: »Jungs, ich werde diesen alten italienischen Klepper einreiten, dass sie von selbst pariert, auch wenn ich dann jedes Mal von dem Gammelfleisch das große Kotzen kriegen sollte ... Also ciao ... ich meine – ahoj!«
Das Unterbewusstsein ersetzte ihr das mitternächtliche Bedauern reichlich durch den Besuch ihrer beiden Viktors. So waren sie sich doch begegnet! Der tschechische Viktor hatte gerade an dem Tag, an dem sie nach Monaten wieder tanzen sollte, sogar auf einer der besten Bühnen Europas, plötzlich Fieber und wiederholt Hustenanfälle bekommen; zuerst überkam sie Panik und sie wollte schon die Direktion anrufen, damit diese sich um die zweite Besetzung kümmerte, doch er selbst versuchte sie davon zu überzeugen, dass ein solches Adrenalin ihr nur helfen könne. Er hatte recht, kaum hatte sie sich auf die Spitzen gestellt und war auf die Bühne gelaufen, verwoben sich ihr Geist und alle Muskeln mit der wunderbaren Musik, die sie wie eine Feder schweben ließ und dorthin trug, wohin sie gerade fliegen wollte. »Die doppelte entmaterialisierte Julia!« hatte sie einst der strengste tschechische Kritiker genannt, als sie im Goldenen Kapellchen gerade in Prokofjews Werk ihr Debüt gefeiert hatte, das einer Tragödie von Shakespeare angemessen war, und nun entdeckte in ihr, der Emigrantin aus dem »magischen Prag«, die Scala ihren neuen Star. Sie kam erst wieder bei den Ovationen zu sich, als sie einen Strauß weißer Rosen erhielt, normalerweise schickte ihr Viktor immer eine einzelne Rose nach jeder Vorstellung, umso mehr faszinierte sie diese weiße Salve. Bei der Premierenfeier hatte man sie schon im Voraus entschuldigt, doch dann verlor sie trotzdem eine halbe Stunde am Ausgang, weil sie zahlreiche Programme signieren musste, und so kam sie in ihrer provisorischen Wohnung in der Theaterpension erst an, nachdem man Viktor schon mit einem Rettungswagen abgeholt hatte.
Niemand hatte daran gedacht zu fragen, wohin man ihn bringen würde, und der Pförtner telefonierte eine weitere Stunde herum, ehe sie ein Taxi zum Ospedale di Santo Spirito ordern konnte. Sie war begeistert, als sie dort von einem tschechischen Arzt, der ebenfalls kurz zuvor emigriert war, empfangen wurde, doch gleichzeitig erschrak sie, als dieser den Verdacht auf eine ernsthafte Erkrankung der Lungen äußerte. Er war glücklicherweise auch einer der wenigen Verehrer von Viktors anspruchsvoller Poesie, doch er hatte noch nicht das Recht, Ausnahmen zu machen, er legte ihn also in einem großen Saal für zwölf Männer wenigstens in die Ecke, wo er so wenig wie möglich gestört werden konnte. Er ließ sie dort auch eine Weile bei ihm sitzen, doch Viktor schlief nach den Tabletten, die man ihm gegeben hatte, somit konnte sie ihn auch nicht mit der Nachricht erfreuen, welchen Erfolg sie gehabt hatte, und ihm auch nicht für die Rosen danken. Zu Hause entdeckte sie auf dem Strauß ein Kärtchen mit dem Namen Vittorio Mortadini, der ihr überhaupt nichts sagte. Am anderen Tag ließ man sie nicht zu Viktor und begründete dies damit, dass eine vertiefende Untersuchung laufe. Der nächste Morgen versetzte ihr gleich zwei Schläge auf einmal. Der tschechische Arzt bestätigte ihr zunächst, dass es sich um Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium handelte, was eine anstrengende und teure Behandlung erfordere, und beschuldigte sie gleich darauf, dass sie die Ursache für seine Flucht aus der Heimat gewesen sei. »Nach Ihrem flammenden Fernsehauftritt habe ich im Prager Militärkrankenhaus einen Protest gegen den Einmarsch der Armeen organisiert, und einen Monat später entzog man mir den Chefarztposten und kündigte mir! Meine Frau hat mir Szenen gemacht, dass man mich noch verhaften und sie mit den beiden Mädchen allein zurückbleiben würde. Also mache ich jetzt ihretwegen den Hampelmann für Nachtdienste, während meine Kollegen in Prag unterschrieben haben, ich hätte sie angestiftet, und sie arbeiten fröhlich weiter!«
Sie torkelte direkt zum Theater, wo sie an der Ballettstange und unter der Dusche wieder so zu sich kam, dass sie am Abend bei der zweiten Aufführung wieder brillierte. In dem neuen Strauß weißer Rosen stak ein kurzer Brief, der sie wegen seiner entwaffnenden Ungewöhnlichkeit rührte: »Sehr geehrte Frau, weil ich nicht kennen Tschechisch, ich nicht glücklich nicht kann erklären Bezauberung und Betörung Ihre Kunst anders als zu Hilfe italienischtschechisch Wörterbuch. Große Bitte für persönlich Treffen! Mit Küssen Hand begeistert Vittorio Mortadini, Hotel Bristol.« In der Nacht schrieb sie ihm auf Englisch: »... für den Blumenstrauß und die so schön formulierte Einladung danke ich herzlich, doch ich verbringe meine sämtliche Freizeit im Krankenhaus S. Spirito bei meinem schwerkranken Mann, einem der besten tschechischen Dichter, der meinetwegen emigriert ist ...« Viktor verschwieg sie dies vorerst, sie wollte nicht, dass es ihm leidtat, dass sie ähnlich wie er selbst jemand anderes grüßte.
Es folgten eine weitere Reprise und ein weiterer Blumenstrauß, nun schon ohne Zusatz, doch mit einem Nachspiel von weitreichender Bedeutung. Am nächsten Tag fiel sie vor Schreck fast in Ohnmacht, als an dem gewohnten Ort im Krankenzimmer ein fremder alter Mann lag, doch da eilte schon der Professor selbst herbei und beruhigte sie, Viktor sei in ein eigenes Zimmer verlegt worden. Auf dem Weg zu ihm versicherte er ihr, er habe ihm die besten Medikamente und auch eine solche Behandlung verschrieben, wie er es ihrem gemeinsamen Freund, den er unheimlich achte, versprochen habe, denn »Senator Mortadini ist einer der tapfersten Italiener, den weder die italienische, noch die deutsche Haft brechen konnten ...« Vittorio wagte zum ersten Mal, sie persönlich zu grüßen, als er ihr auf Viktors Begräbnis kondolierte, und erinnerte an eine Geschichte, die ein Jahr her war und dessen Geheimnis sie erst jetzt verstand: noch vor ihr hatte er Viktor kennengelernt, den er kurz zuvor im Fernsehen als großen Dichter aus der Tschechoslowakei gesehen hatte, das war in einem Mailänder Restaurant gewesen, wo er sie nicht hatte belästigen wollen, doch wo er sich erlaubt hatte, anonym für sie zu bezahlen ...
Und nun kamen die beiden zusammen bis nach Olmütz!
»Julia«, sagte Viktor, »Vittorio und ich haben uns geeinigt, dass es keinen Sinn hat, aufeinander eifersüchtig zu sein, wo du uns doch beide gleich liebst, dein dritter Mann, Giorgio, wird tagsüber mit dir leben und wir beiden nachts!« Beruhigt und glücklich schlief sie wieder ein, und als sie die Augen öffnete, bot ihr das Gedächtnis einen längst verschütteten Vers an: »In Böhmen war ein schöner Tag, der ringsum voller Rosen lag.« Der neue Morgen hatte die graue Decke der Inversionswetterlage vom Vortag abgeworfen und bot ihr ein Bild ihrer Heimatstadt in den faszinierendsten Farben. Die Wut, mit der sie eingeschlafen war, erwachte nicht von Neuem, und sie vergegenwärtigte sich: sie hatte den jungen Mann nicht gemietet, damit er auf ihren Gräbern weinte, sondern als Tänzer, der Format bewiesen hatte. Sie entschloss sich, ihn auch weiterhin so zu nehmen, ihm das schändliche Nichtwissen nicht vorzuhalten und ihm, wenn er dies wollte, geduldig zu erklären, was er vielleicht noch zu fassen in der Lage war.
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