Der englische Handelskapitän William Smith fährt mit seiner Brigg „William“ im Februar 1819 von Montevideo an der Mündung des La Plata-Stroms nach Valparaiso an der Westküste Südamerikas. Um den Stürmen bei Kap Hoorn auszuweichen, macht er einen grossen Bogen nach Süden, kommt bis 62° 40′ s. V. und sieht dort ein schneebedecktes Land. Eine Luftspiegelung, glaubt er anfangs; da klares und ruhiges Wetter ist, fährt er ein Stück darauf zu und findet eine Gruppe von Felseninseln, wo es von Walen und Robben zu wimmeln scheint. Zu näherer Untersuchung hat er keine Zeit, erzählt aber davon in Valparaiso. Seine Landsleute dort lachen ihn aus; seit Dirk Gerritsz’ Zeiten will jeder da unten schneebedeckte Berge gesehen haben — das kennt man schon! Auf der Rückreise macht Smith wieder einen Vorstoss nach Süden, aber die Winterstürme treiben ihn zurück. Seine amerikanischen Handelsfreunde in Montevideo sind hellhöriger; sie lauern auf jede Gelegenheit, den Engländern Fangplätze wegzuschnappen. Ob Kapitän Smith seine Brigg wohl zu einer Waljagd vermieten wolle? — Warum nicht, wenn man über den Preis einig wird? — Daran wird es nicht scheitern, und schnell ist ein Vertrag aufgesetzt. Aber nun wollen die smarten Amerikaner durchaus wissen, wo denn die von ihm gesehenen Inseln liegen. Also dahin soll die Fahrt gehen! Man möchte ihm und England diese Entdeckung vorwegnehmen. Smith lehnt die Unterschrift des Vertrags ab. — Im Oktober reist er wieder nach Valparaiso. Das Land auf dem 62. Breitengrad ist immer noch da. Er fährt nun eine grosse Strecke der Küste ab, findet an der nordöstlichen Ecke der George-Insel, wie sie später heisst, einen Hafen und schickt den Steuermann nebst einigen Matrosen aus, dieses Land im Namen des englischen Königs in Besitz zu nehmen. Es ist das weitaus südlichste Land, das bisher entdeckt wurde, denn die russische Expedition unter Bellingshausen ist ja erst auf Fahrt gegangen. Smith nennt es Neu-Süd-Britannien, nachher aber, um Verwechslungen zu vermeiden, Süd-Shetland-Inseln. Jetzt lachen die Engländer in Valparaiso nicht mehr über seine Entdeckung. Kapitän Sheriff, Befehlshaber des englischen Wachschiffes „Andromache“ an der Westküste Südamerikas und Repräsentant des Königs, will schleunigst genaue Aufklärung haben, und als Smith am 19. Dezember wieder abfährt, ist an Bord des „William“ der englische Marineoffizier Edward Bransfield, der nun während der Sommermonate die ganze lange Inselkette zwischen dem 63. und 53. Längengrad aufnimmt und jeder Insel ihren englischen Namen gibt. Die westlichste heisst zu Ehren des Entdeckers Smith-Insel. Den gewaltigen Meeressund im Süden der Kette, die Bransfieldstrasse, befahren Smith und sein Begleiter bis 63° 20′ auf 59° 38′, bis südlich der kleinen vulkanischen Bridgeman-Insel, und sehen von dort aus im Südwesten eine Landküste, jedenfalls dieselbe, an die sich ein Jahr später Kapitän Palmer heranwagt, ausserdem im Südosten die Spitze eines hohen Berges, ohne ahnen zu können, dass sie damit den ersten festen Punkt des später entdeckten und als Teil des antarktischen Kontinents geltenden Graham-Landes vor Augen haben. Weiter südlich lassen die Eismassen das Schiff nicht durch. Nach fünf Monaten ist es wieder in Valparaiso, und seine erfolgreiche Entdeckungsreise macht gewaltiges Aufsehen. An Umfang und Wert kann sich keiner der bisherigen Landfunde rings um die Antarktis mit den Süd-Shetland-Inseln messen. Südlich Neuseelands sind durch Entdeckung der Aucklandinseln (1806) und der Campbellinsel (1810), südlich von Australien durch Auffindung der Macquarie-Insel (1810) längst wichtige Stützpunkte für den Wal- und Robbenfang gewonnen, Meilensteine gleichsam zum Pol; jetzt beginnt sich auch das Meer südlich von Kap Hoorn mit Landfetzen zu füllen, die aber bedeutend grösser und zahlreicher sind. Immer neue tauchen auf. Im Polarsommer 1821/22 ist Kapitän Palmer wieder da unten, diesmal mit Schaluppe „James Monroe“; bei der Elefant-Insel trifft er den englischen Robbenfänger Powell mit den Schiffen „Eliza“ und „Dove“; am 4. Dezember 1821 fahren sie gemeinsam nach Osten, um dort neue Fangplätze auszukundschaften, sichten am 6. die Süd-Orkney-Inseln, umfahren sie und segeln durch die sie trennenden Meeresstrassen. Der Versuch, nach Süden vorzudringen, misslingt; auf 62° 20′ s. B. stossen sie auf festes Eis, das sie zwingt, an seinem Rand nach den Süd-Shetland-Inseln zurückzukehren. Diese ganze Kette von der Smith-Insel im Westen bis zu Cooks Sandwichland im Osten, das nach Bellingshausens Feststellung ebenfalls ein Archipel ist, bildet keine Brücke zum Pol, legt sich vielmehr wie eine Reihe eisstarrender, abschreckender Festungswerke vor ein Land weiter im Süden, das durch ein undurchdringliches Bollwerk von Eisfeldern und Eismauern jede Annäherung abweist. Schon mit diesen Inseln ist nicht zu spassen; in den Sommern 1820 bis 1822 scheitern dort sieben Schiffe, und die Besatzung eines dieser Wracks ist als erste dazu verurteilt, auf einer der Shetland-Inseln zu überwintern; doch ist Näheres über dieses Abenteuer nicht bekannt. Die Küsten im Süden halten die einen für ein Festland — so erscheint es schon 1820 auf einer deutschen Karte in den „Geographischen Ephemeriden“ des Weimarer Verlegers Bertuch —, andere für einen neuen Inselarchipel, und wieder andere für eine Ansammlung von Eisbergen, deren Anblick Land vortäuscht.
Die Küsten der Süd-Orkney-Inseln hat vor Powell und Palmer der englische Robbenfänger James Weddell gesichtet, der fünf Jahre hindurch, von 1819—1823, im Süden des Kap Hoorn sein Geschäft betreibt. Schon 1821 segelt er mit voller Ladung an ihnen vorbei nach Norden und kehrt im Januar 1823 dahin zurück, um diese seine Entdeckung genauer zu untersuchen. Ohne von Powells und Palmers Besuch zu wissen, nimmt er die Inselgruppe kartographisch auf, landet an mehreren Stellen, findet aber keine Pelzrobben, nur wenige Seeleoparden. Da seine Berufskollegen über die Süd-Shetland-Inseln wie Raubmöwen hergefallen sind und den Wildbestand dort schon fast vernichtet haben, worüber er 1825 öffentlich Klage führt, sieht er sich nach neuen Fangstellen um und wagt sich mit seinen beiden winzigen Schiffen, der „Johanna“ von 160 Tonnen mit 22 Mann Besatzung und dem Kutter „Beaufoy“ mit 13 Leuten unter dem Kommando von Matthias Brisbane, am 23. Januar nach Süden. Ohne vom Eis aufgehalten zu werden, kommt er in vier Tagen auf dem 40. Längengrad bis 64° 58′ s. B.; da aber nirgends eine Küste ist, kehrt er am 27. Januar wieder um und kreuzt zwischen den Orkney-Inseln und Cooks Sandwichland. Da er auch hier nichts findet, segelt er am 5. Februar nochmals südwärts. Am 10. begegnet ihm ein Eisberg, dessen Nordseite so mit schwarzer Erde bedeckt ist, dass jeder an Bord ihn für ein Vorgebirge hält, um so mehr, als Kapitän Weddell 10 Pfund Belohnung dem ausgesetzt hat, der zuerst Land sichtet. Dieser Eisberg muss von einer Küste herkommen, sagt er sich, und fährt weiter. Am 14. Februar ist er auf 68° 28′ s. B., und nun packt ihn das Entdeckerfieber. Er lässt sich durch das nebelfeuchte Wetter, das seiner Mannschaft übel zusetzt, und durch den Aufmarsch riesiger Eisberge nicht abschrecken, zwängt sich überall durch, und auf dem 70. Breitengrad ändert sich plötzlich die Szenerie. Treibeis und Eisberge werden seltener, am 18. Februar ist bei prächtigem Sonnenwetter auf 72° 38′ kein Stückchen Eis mehr zu sehen. In der glatten See spielen Massen von Walfischen, und Scharen blauer Seevögel, besonders Sturmschwalben, flattern umher. Am 20. Februar erreicht er 74° 15′ auf 34° 17′ w. L., er hat also selbst den grossen Cook um drei volle Breitengrade geschlagen! Bis zum Horizont dehnt sich das offene Meer, hier und da schwimmen kleine Eisinseln, auf denen Pinguine herumklettern, die Lust ist so klar wie an keinem Tag vorher, nur Land ist nirgends zu sehen, obgleich die zahlreichen Vögel seine Nähe zu verkünden scheinen. Mindestens bis zum 75. Grad hätte Weddell noch freie Bahn. Auf einer Fahrt geradezu ins Blaue hat er einen Zugang zum Südpol entdeckt, offenes Meer da, wo man bisher nur undurchdringliche Eisfelder oder eisbeschwertes Land vermutete! Cooks allzu selbstbewusstes Wort von der Unmöglichkeit, weiter vorzudringen als er selbst, dieses Wort, das wie ein Bannfluch auf der Antarktis lastete — er, der kleine, jämmerlich ausgerüstete Robbenfänger, hat es widerlegt, das Land um den Südpol, wenn es überhaupt existiert, muss bedeutend kleiner sein, als die Geographen nach Cooks Umsegelung annehmen, der Südpol ist offenbar viel leichter zu erreichen als der Nordpol und wird trotz Cooks Prophezeiung nicht ewig unentdeckt bleiben! Weddell hat den Weg zu ihm gefunden! Warum ist er nur nicht gleich am 27. Januar schon weiter nach Süden vorgestossen! Dann wäre es ihm gewiss beschieden gewesen, das grosse Geheimnis des Südpols aufzuklären. Hier, mitten in dem weit offenen ersten Tor zur Antarktis, muss er umkehren! Die Matrosen haben für Entdeckungsreisen keinen Sinn, sie wollen Land sehen und Pelzrobben, denn ein Teil der Ladung ist ihr Gewinn. Viele Leute schon spüren rheumatische Schmerzen, Anzeichen des Skorbuts; die Lebensmittel gehen auf die Neige, er kann das Leben seiner Gefährten nicht aufs Spiel setzen einem geographischen Rätsel zuliebe, das er mit seinen kümmerlichen Instrumenten doch nicht so exakt wird lösen können, wie die Wissenschaft es verlangt. Die Tage werden schon bedenklich kürzer. Obendrein weht scharfer Südwind, der ein Vorwärtskommen erschwert, aber für die lange Heimfahrt unschätzbar ist. Also entschliesst sich Weddell schweren Herzens zur Umkehr. „Um der Mannschaft“, erzählt er in seinem Reisebericht, „durch Anerkennung ihres Verdienstes wieder Mut zu machen, lobte ich ihre Ausdauer und ihr ordentliches Betragen und eröffnete ihr, dass wir viel weiter nach Süden gelangt seien als irgendein Seefahrer jemals vor uns. Die Flaggen wurden gehisst, eine Kanone gelöst, und die Mannschaft beider Schiffe rief dreimal ‚Hurra‘. Dieser festliche Augenblick nebst dem gehörigen Quantum Grog vertrieb ihren Unmut und flösste allen neue Hoffnung für die Zukunft ein.“ Der neuentdeckte Meeresteil erhält den Namen König-Georg-IV.-Meer. — Das Glück, das den kühnen Kapitän bis dahin begleitete, bleibt ihm auch auf der Heimfahrt treu; der Südwind trägt seine Schifflein pfeilschnell bis über den Polarkreis, und wenn die Zone des Treibeises und der Eisberge auch noch einen stürmischen Kampf kostet, bei dem der kleine Kutter am 5. März vom Hauptschiff getrennt wird, so treffen doch beide am 12. März glücklich in Südgeorgien ein, wo sich die zahlreichen Skorbutkranken erholen. Von da segelt Weddell am 17. April nach den Falkland-Inseln; dort überwintert er, um im nächsten Sommer nachzuholen, was im vorigen versäumt wurde. Aber diesmal sind die Süd-Shetland-Inseln so von Packeis belagert, dass die Schiffe nicht die Küste erreichen. Er kehrt nach Kap Hoorn zurück und verbringt den Winter in Feuerland. Der kleine Kutter unter Kapitän Brisbane aber macht sich im Dezember nochmals auf den Weg und kommt mit einer so reichen Beute an Fellen zurück, dass auch der geschäftliche Ertrag dieser Expedition, die durch einen glücklichen Zufall und durch den Wagemut des Anführers ein wissenschaftlicher Erfolg von grösster Bedeutung geworden ist, nicht allzusehr hinter den berechtigten Erwartungen der tüchtigen Mannschaft zurückbleibt.
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