Am 8. Februar kommt bei dickem Nebel die „Adventure“ ausser Sicht und bleibt, trotz zweitägigen Suchens und Signalisierens mit Leuchtfeuern und Kanonenschüssen verschollen. Cook lässt sich dadurch nicht abschrecken, obgleich die Matrosen verdriessliche und angstvolle Gesichter ziehen, und steuert mit der „Resolution“ weiter nach Südosten. In drei aufeinanderfolgenden Nächten sehen menschliche Augen zum erstenmal das Südlicht, den würdigen Bruder des Nordlichts; am östlichen Himmel schiesst es in breiten, diesmal nur weissen Bändern empor und überzieht mit seiner Pracht den ganzen Südhimmel, den Glanz der Sterne verlöschend. Cook kommt aber jetzt nur bis zum 62. Grad, wo auf dem Meridian des spätern Gaussberges (95° ö. L.) festes Eis ihm den Weg verlegt. Er zieht sich in die Nähe des 60. Breitengrades zurück und segelt auf diesem Strich weiter bis zum 148. Längengrad, ohne irgendwo Land zu sehen. Dann nimmt er Richtung nach Nordosten, auf Neuseeland zu, wo er am 25. März eintrifft und auch das Begleitschiff wiederfindet, das schon am 1. März dort anlangte. Die Segel sind zerrissen, das Tauwerk in Stücken, das Schiff bedarf einer gründlichen Erneuerung, vor allem die Besatzung einer ausgiebigen Erholung, die sie auf Tahiti und andern Inselparadiesen der Südsee vollauf findet.
In 117 Tagen hat er ein Drittel des vorgeschriebenen Kreises umfahren; am 22. November 1773 nimmt er das zweite Drittel in Angriff. Da er Neuseeland selbst schon früher umsegelt hat, sucht er in dessen Süden nicht mehr nach dem antarktischen Kontinent; dadurch verfehlt er das Haupttor in die Festung des Südpols auf dem 180. Grad und überlässt, ohne es ahnen zu können, den Ruhm der Entdeckung des Rossmeeres einem spätern Nachfolger. Er segelt vielmehr — und zwar mit der „Resolution“ allein, denn die „Adventure“ ist im Oktober abermals verlorengegangen und taucht erst am Ende der Reise wieder auf — nach Südosten, trifft hier erst auf 62° Eisberge an, überschreitet am 20. Dezember 1773 den Polarkreis zum zweitenmal, kommt aber nur bis 67° 31′ (auf 142° 54′ w. L.). Da die halbe Mannschaft an Rheumatismus, Vorbote des Skorbuts, erkrankt — Forster ist vier Wochen bettlägerig —, macht er eine Erholungsreise nach Norden, die, wie überhaupt jede eingeschlagene Richtung und jeder Abstecher, bestimmten Erkundungen von Meeresstellen oder Landküsten dient, dann aber, zum höchsten Verdruss der Mannschaft, noch einmal einen Vorstoss nach Süden und dringt, den Polarkreis zum drittenmal schneidend, am 30. Januar 1774 auf 106° 54′ w. L. bis 71° 10′ vor, seine höchste Breite, die fast ein halbes Jahrhundert lang nirgends überholt wird und an dieser Stelle bis heute noch von keinem andern Südpolfahrer erreicht ist. Cook hat wohl selbst die Überzeugung, dass ihm kein zweites Mal ein so tiefes Eindringen in das Geheimnis der Antarktis beschieden sein wird, und schildert die auch ihn überraschende Eislandschaft, die an jenem 30. Januar vor ihm liegt, mit folgenden Worten:
„An diesem Tage bemerkten wir um vier Uhr morgens, dass die über dem südlichen Himmel stehenden Wolken schneeweiss waren und förmlich glänzten. Wir wussten, dass dies das Anzeichen eines Eisfeldes sei, sahen dasselbe auch bald von der Höhe der Masten und waren um acht Uhr an seinem Saum. Es erstreckte sich von Osten nach Westen, so weit unsere Blicke reichten, und die Hälfte des Horizonts war von den Strahlen beleuchtet, die es bis auf eine beträchtliche Höhe ausgehen liess. Ich zählte innerhalb dieser Eisfläche, ausser den Eisbergen an ihrem Rande, noch 97 Eishügel; sie waren zum Teil sehr breit und glichen einer Bergkette, deren Gipfel sich übereinander erheben, bis sie sich in den Wolken verlieren. Der äussere nördliche Rand dieser ungeheuren Fläche bestand aus schwimmenden Eisbruchstücken, die sich so in- und übereinandergeschoben hatten, dass niemand hier hätte eindringen können. Dieser Rand war etwa eine halbe Meile breit, dahinter bildete das feste Eis nur eine einzige zusammenhängende Masse. Die Eishügel ausgenommen, war es niedrig und flach, schien aber nach Süden hin anzusteigen; das Ende war nicht zu erkennen. Noch nie, glaube ich, hat man Berge dieser Art in den Meeren Grönlands gesehen, wenigstens sind sie weder mir noch einem andern, soviel mir bekannt ist, je vorgekommen; man kann also gar keinen Vergleich zwischen den Eisfeldern des Nordens und denen dieser Gegenden ziehen, und diese erstaunlichen Berge geben den sie einschliessenden Eisfeldern ein so bedenkliches Aussehen, dass es eine ganz andere Sache ist, dieses Eismeer zu befahren, als das grönländische. Ich will damit nicht sagen, dass es allenthalben unmöglich sei, weiter vorzudringen; doch würde wohl kein Seemann in meiner Lage diesen gefährlichen Versuch gemacht haben. Ich bin überzeugt, und dieser Meinung pflichtete die Mehrzahl der Offiziere und der Mannschaft bei, dass dieses Eisfeld sich bis zum Südpol erstreckt oder vielleicht bis zu einer Landküste reicht, an der es seit den frühesten Zeiten festsitzt, und dass sich südlich des von mir erreichten Breitengrades das sämtliche Eis bildet, das wir hier und da weiter nördlich fanden; Windstösse oder andere Kräfte reissen es los, und nördliche Strömungen, wie sie überall in diesen Breiten vorherrschen, führen sie milderen Gegenden zu.“
Cook ist von einer wissenschaftlich strengen Vorsicht: was er nicht mit Händen greifen kann, wagt er nicht zu bestimmen; die sonderbaren Berge in der Ferne sehen richtigen Gebirgszügen merkwürdig ähnlich, aber da er auf Landungen an einer Eisküste nicht eingerichtet ist, wird er sich davon mit Sicherheit nie überzeugen können; er begnügt sich also mit dem Vergleich, zum grossen Unterschied von spätern Forschern, die jede grössere Eisbank sofort als eine ncuentdeckte Küste ausposaunen und mit pomphaften Namen plakatieren. Was er sieht, sind höchstwahrscheinlich Ausläufer des Gebirgszugs, der das Rückgrat von Graham-Land bildet, und wäre er etwa 40 Grad östlicher vorgestossen, so hätten seinem Entdeckerblick die Gipfel des noch unbekannten Grahamlandes schon auf 65° s. Br. kaum entgehen können. Aber so nahe bei Kap Hoorn hat er das Meer schon auf seiner ersten Reise bis zum 60. Grad erforscht, und obendrein zwingt ihn Mangel an Lebensmitteln, schleunigst nach Norden zu flüchten. Er selbst erliegt fast den Strapazen, schwebt infolge eines Gallenleidens acht Tage in Lebensgefahr und wird nur dadurch gerettet, dass Forster ihm seinen Hund opfert; das Fleisch des Tieres bringt ihn wieder zu Kräften. Am 10. November bricht er, abermals von Neuseeland aus, nach Kap Hoorn auf, hält sich aber diesseits des 60. Breitengrades und findet auch hier nichts von einem antarktischen Kontinent. Weihnachten ist er an der Küste Feuerlands, und am 6. Januar 1775 verlässt er den Neujahrshafen der Staaten-Insel, um den Kreis um die Antarktis zu vollenden.
Auf den neuesten Karten, die er mit sich führt, steht immer noch südöstlich von Feuerland der Golf von San Sebastians; natürlich findet sich dieses Phantasieprodukt Mercators nicht, aber die Insel San Pedro, die 1675 entdeckt, erst 1756 wieder gesehen und seitdem vergeblich gesucht wurde; von ihrer Nordküste macht er eine genaue Aufnahme und gibt der Insel auf den Rat Försters zu Ehren des regierenden Königs von England den Namen Südgeorgien. Dann steuert er nochmals nach Südosten, um nun auch diesen Teil des Atlantischen Ozeans nach Küsten abzusuchen, und hier gelingt ihm unverhofft die Entdeckung eines neuen Landes, die einzige innerhalb dieser Breiten. Am 31. Januar wird es gesichtet, und das Schiff nähert sich ihm bis auf einen Kilometer. „Der Anblick dieser neuen Küste“, erzählt Cook selbst, „war schauerlich. Die sehr hohen, senkrechten Klippen starrten von schwarzen Höhlen. An ihrem Fuss brandeten tobende Wellen, ihr Haupt verhüllte sich in Wolken, über die ein einziger weisser Gipfel hervorragte. Das südlichste Ende dieses Landes liegt unter 59° 30′ s. B. und 27° 30′ w. L. So weit wir es mit seinen vorliegenden kleineren Inseln kennenlernten, sah es überall gleich öde und furchtbar aus. Ohne die vielen schwarzen Stellen und Höhlen wäre unklar geblieben, ob wir Land oder Eis vor uns hatten. Seeraben, die in den Höhlen nisteten, waren die einzigen Bewohner, selbst die unförmigen Amphibien, die See-Elefanten von Südgeorgien, fehlten.“ Cook nennt seinen Fund Sandwichland nach dem damaligen Chef der englischen Admiralität, den gebirgigen südlichen Teil Süd-Thule und die Nordspitze Frieslandshaupt, weil ein deutscher Matrose an Bord der „Resolution“ namens Friesleben diesen Felsen zuerst gesichtet hatte.
Читать дальше