Zu den damit verbundenen Schritten befähigt mich die ermächtigende Kraft Gottes, dessen Geist in mir wirksam ist. Deshalb führe ich mich selbst in gelassener Entschiedenheit.
Wenn wir uns selbst führen, geben wir auf einige Dinge in unserem Leben bewusst acht. Wir pflegen dabei jedoch keine selbstbezogene Nabelschau, bei der es um die unselige Trinität unserer „holy needs, holy wants and holy feelings“ (frommen Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle) geht, um es mit den Worten von Eugene Peterson zu sagen. Im Zentrum steht das Leben, wie Gott es uns anvertraut hat, und die Frage, wie wir es als Geschenk wertschätzen und weise verwalten können. Wie es brauchbar sein kann für Gott und für die Welt. Der deutsche Wortkünstler Johannes Warth hat es bei einem Vortrag einmal sinngemäß so formuliert: Sie sind Gottes Geschenk an diese Welt. Wenn er in Ihnen wohnt, sind Sie das Beste, was heute Ihren Mitmenschen passieren kann. Wenn Sie morgens aufstehen und das nicht mit Überzeugung glauben und anschließend leben, sollten Sie besser im Bett bleiben. Ihren Mitmenschen zuliebe …
Gott sagte zu Abraham: „Ich … will dich segnen … und du wirst ein Segen sein“ (1. Mose 12,2). Ich halte diesen Satz für eine der wichtigsten Aussagen der Bibel über den Sinn und Zweck unseres Lebens. Selbstführung macht sich Gedanken darüber, wie unser Leben in diese Fokussierung hineinwachsen kann.
Was immer wir fühlen, denken und tun, findet im Zusammenhang von Beziehungen statt. Selbst auf unser Innerstes und Geheimstes trifft das zu. Was immer sich in und durch uns bewegt – es hat seine Auswirkungen auf die drei wichtigsten Beziehungen unseres Lebens:
• unsere Beziehung zu Gott,
• unsere Beziehung zu uns selbst,
• unsere Beziehungen zu anderen Menschen.
Was läuft in Hinsicht auf diese drei Beziehungen bei uns ab? Welche Dynamiken entwickeln sich? Führen sie zu Gutem, Schönem, Wünschenswertem? Oder davon weg? Uns selbst führen heißt, uns Rechenschaft darüber zu geben, was sich innerhalb dieser drei wichtigsten Beziehungen unseres Lebens abspielt. Es heißt zu klären, was wir uns in diesen Beziehungen wünschen und wie wir sie gestalten möchten. Und es heißt, die uns gegebenen Möglichkeiten auszuschöpfen, damit in diesen Beziehungen das gedeihen kann, was sie bereichert, festigt und verschönert.
Es geht um rechtes Verstehen und gutes Handeln
Jedes Wort, das wir sprechen, jeder Schritt, den wir gehen, jede Tat, die wir vollbringen – sie alle entspringen einem vorausgehenden Gedanken, einer Vorstellung, einer Überzeugung. Manches davon ist uns bewusst, das meiste allerdings nicht. Auch das, was wir automatisch und scheinbar „ohne zu denken“, tun, ist nichts anderes als ein zur Routine gewordener Ausdruck bestimmter Überzeugungen, die wir in uns tragen.
Wenn wir uns gut führen wollen, müssen wir bei unseren Überzeugungen beginnen. Wie wir uns selbst, das Leben, Gott und andere sehen, bestimmt, was wir tun. Selbstführung bedeutet: Ich kläre meine Perspektive. Ich sorge für gute, dem Leben dienende Einstellungen. Ich beginne, mein Leben nach ihnen zu gestalten. Gleichzeitig lasse ich Verhaltensmuster zurück, die auf unguten oder selbstbezogenen Überzeugungen basieren.
Stellen Sie sich zwei Menschen vor, nennen wir sie Franziska und Klaus. Franziska weiß, was sie gut kann und was nicht. Sie kennt ihre Stärken und ist sich bewusst, wie wertvoll sie sind. Gleichzeitig hat sie kein Problem damit, dass andere Menschen in anderen Bereichen besser sind als sie. Stellen Sie sich nun vor, Franziska in einem Team zu haben, das Sie leiten. Sie wird vermutlich zu den Personen gehören, auf die Sie sich verlassen können. Sie wird das, was ihr liegt, von Herzen und gut tun. Gleichzeitig wird sie nicht alles an sich reißen, sondern die anderen im Team das tun lassen, was diese besser können als sie. Ihre gesunde Sichtweise von sich selbst prägt auf positive Weise ihr Verhalten und damit auch ihren Umgang mit anderen.
Bei Klaus sieht es anders aus. Er denkt, dass er der bessere Leiter wäre als Sie. Er findet, dass er besser Ziele setzen, kommunizieren und delegieren kann. Er findet, dass Sie fehl am Platz sind und eigentlich er Ihre Stellung verdient hätte. Können Sie sich vorstellen, wie sich dies auf sein Verhalten im Team auswirkt? Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er mit anderen Teammitgliedern negativ über Sie redet und Sie herabsetzt. Es kann sein, dass er sich nicht an Ihre Vorgaben hält oder ständig auf Ihren Fehlern herumreitet. Auch bei Klaus prägen seine Vorstellungen und Überzeugungen sein Handeln – allerdings auf negative Weise.
Vom Rohmaterial zum Möbelstück
Mein Leben, meine Beziehungen, rechtes Verständnis und das daraus resultierende Verhalten – auf diesem Boden gedeiht eine gute Selbstführung; hier findet sie statt. Das ist sozusagen das Rohmaterial. Es ist wie bei manchen Möbelhäusern, wo man den gewünschten Tisch nicht fertig zusammengebaut mitnimmt. Er ist zerlegt und in Karton verpackt. Zu Hause öffnet man die Kiste und schaut erst einmal, ob alles da ist: Tischplatte, Beine, Schrauben usw. Meist ist auch ein mehr oder weniger verständlicher Aufbauplan enthalten, den man studieren sollte, bevor man mit dem Schrauben und Nageln beginnt. Wobei einen die Aufbauanleitungen mancher Möbelhäuser schon zur Verzweiflung bringen können … Ich erinnere mich an ein Büchergestell, das ich dreimal wieder auseinandernehmen musste, bis alles stimmte. Der Plan war einfach nichts wert (und ich zugegebenermaßen kein guter Handwerker …). Bei guten Aufbauplänen jedenfalls hat man nicht nur schöne Schritt-für-Schritt-Anleitungen, sondern auch eine Abbildung all der Werkzeuge, die man für den Aufbau braucht: Hammer, Bohrer, Schraubenzieher, Kreuzschraubenzieher, Schraubenschlüssel. Ohne Werkzeug kein Tisch. Ganz ähnlich könnte man auch sagen: Ohne Werkzeug keine Selbstführung. Die Werkzeuge heißen: Selbstverantwortung, Selbstklärung, Selbstfürsorge und Selbststeuerung.
Werkzeuge der Selbstführung
Selbstverantwortung
Ich bejahe die Verantwortung für mein Ergehen und Verhalten in allen wesentlichen Bereichen meines Lebens.
Abraham Lincoln, US-Präsident von 1861–1865, befand sich auf einer öffentlichen Veranstaltung und hatte sich gerade länger mit einem Mann unterhalten. Das Gespräch war beendet, der Präsident brach auf. Beim Hinausgehen sprach er mit einem seiner Berater über die vorausgegangene Begegnung.
„Ich mag sein Gesicht nicht“, meinte Lincoln.
„Aber ein Mensch kann doch nichts dafür, was für ein Gesicht er hat“, verteidigte der Berater den Mann.
„Doch“, entgegnete Lincoln, „jeder ist für sein Gesicht verantwortlich, sobald er die vierzig überschritten hat.“
Mit diesem Satz wies Lincoln auf ein für uns Menschen wichtiges Prinzip hin – das Prinzip der Selbstverantwortung, das für jeden Erwachsenen gilt. Es ging ihm bei seiner Aussage nicht darum, dass wir beeinflussen können, wie lang unsere Nase ist, welche Augenfarbe oder wie viele Haare wir haben (von Schönheitsoperationen einmal abgesehen). Welcher Ausdruck aber auf unserem Gesicht liegt – egal, wie lang unsere Nase ist und wie viele Falten wir haben –, das ist in unserer Verantwortung. Tatsächlich ist unser Gesichtsausdruck (vor allem in Momenten, in denen wir uns unbeobachtet fühlen und kein bewusst gesteuertes „Gesichtsmanagement“ mehr betreiben, um unseren Mitmenschen etwas vorzumachen) ein Abbild unseres Inneren. Eine Art Spiegel unserer Seele. Er lässt erahnen, wie wir denken und fühlen. Ob in uns Lebensfreude ist oder vor allem Verbitterung. Ob wir ein dankbares Herz haben oder eines, das sich und andere ständig anklagt. Ob wir grundsätzlich an das Gute und Schöne glauben und denken – oder nur schwarzsehen, weil wir davon überzeugt sind, dass die Welt nichts anderes als ein Ort voller sich anbahnender Katastrophen ist. Ab vierzig verrät ein Gesicht etwas über den Charakter und die innerste Lebenseinstellung eines Menschen. Und dafür sind wir ab einem gewissen Alter selbst zuständig.
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