Englisch
Inhaltsverzeichnis
Ein Saal in Albanys Palast. [Daselbst ]
Kent tritt auf, verkleidet.
KENT
Kann ich so gut nur fremde Sprache borgen,
Die meine Red entstellt, so mag vielleicht
Mein guter Will in vollem Maß erstreben
Das Ziel, um das mein Wesen ich verhüllte.
Nun, du verbannter Kent, kannst du dort dienen,
Wo du verdammt bist, so geschieht es wohl,
Daß dein geliebter Herr dich treu erfindet.
Jagdhörner hinter der Szene; Lear, Ritter und Gefolge treten auf.
LEAR
Laßt mich keinen Augenblick auf das Essen warten; geht, laßt anrichten!
Einer vom Gefolge geht ab. Nun, wer bist du?
KENT
Ein Mann, Herr!
LEAR
Was ist dein Beruf? Was willst du von Uns?
KENT
Mein Beruf ist, nicht weniger zu sein, als ich scheine, dem treu zu dienen, ders mit mir versuchen will, den zu lieben, der ehrlich ist, mit dem zu verkehren, der Verstand hat und wenig spricht, das Jüngste Gericht zu fürchten, zu fechten, wenn ichs nicht ändern kann, und keine Fische zu essen.
LEAR
Wer bist du?
KENT
Ein recht treuherziger Kerl und so arm als der König.
LEAR
Wenn du als Untertan so arm bist wie er als König, dann bist du arm genug. Was willst du?
KENT
Dienst.
LEAR
Wem willst du dienen?
KENT
Euch.
LEAR
Kennst du mich. Alter?
KENT
Nein; aber Ihr habt etwas in Euerm Wesen, das ich gern Herr nennen möchte.
LEAR
Was ist das?
KENT
Hoheit.
LEAR
Was für Dienste kannst du tun?
KENT
Ich kann rechtschaffene Dinge geheimhalten, reiten, laufen, eine hübsche Geschichte schlecht erzählen und eine deutliche Botschaft zur Not ausrichten. Wozu ein gewöhnlicher Mensch brauchbar ist, dafür tauge ich, und das beste an mir ist guter Wille.
LEAR
Wie alt bist du?
KENT
Nicht so jung, Herr, ein Mädchen ihres Gesanges wegen zu lieben, noch so alt, um ohne alle Ursache in sie vergafft zu sein; ich habe achtundvierzig Jahre auf dem Rücken.
LEAR
Folge mir, du sollst mir dienen; wenn du mir nach dem Essen nicht schlechter gefällst, so trennen wir uns nicht so bald. - Das Essen, holla, das Essen! - Wo ist mein Bursch, mein Narr? Geh einer und ruf mir meinen Narren her!
Einer aus dem Gefolge geht ab. Der Haushofmeister kommt. Ihr da! - He! - Wo ist meine Tochter?
HAUSHOFMEISTER
Verzeiht mir -
Er geht ab.
LEAR
Was sagt der Schlingel da? Ruft den Tölpel zurück.
Ein Ritter geht dem Haushofmeister nach. Wo ist mein Narr, he? - Ich glaube, die Welt liegt im Schlaf. - Der Ritter kommt zurück. Nun? Wo bleibt der Lümmel?
RITTER
Er sagt, Mylord, Eurer Tochter sei nicht wohl.
LEAR
Warum kam denn der Flegel nicht zurück, als ich ihn rief?
RITTER
Herr, er sagte mir sehr rund heraus, er wolle nicht.
LEAR
Er wolle nicht?
RITTER
Mylord, ich weiß nicht, was vorgeht; aber nach meiner Ansicht begegnet man Eurer Hoheit nicht mehr mit der ehrerbietigen Aufmerksamkeit, wie man pflegte; es zeigt sich ein großes Abnehmen der Höflichkeit sowohl bei der Dienerschaft als auch beim Herzog und Eurer Tochter selbst.
LEAR
Ha, meinst du?
RITTER
Ich bitte Euch, verzeiht mir, Mylord, wenn ich mich irre, denn mein Diensteifer kann nicht schweigen, wenn ich Eure Hoheit beleidigt glaube.
LEAR
Du erinnerst mich nur an meine eigne Wahrnehmung. Ich habe seit kurzem eine sehr kalte Vernachlässigung bemerkt, doch schob ichs mehr auf meine argwöhnische Gemütsart als auf einen wirklichen Vorsatz und absichtliche Unfreundlichkeit. Ich will genauer darauf acht geben. Aber wo ist mein Narr? Ich hab ihn in zwei Tagen nicht gesehn.
RITTER
Seit der jungen Fürstin Abreise nach Frankreich, gnädiger Herr, hat sich der Narr ganz abgehärmt.
LEAR
Still davon; ich hab es wohl bemerkt. Geht und sagt meiner Tochter, ich wolle sie sprechen. -
Einer aus dem Gefolge geht ab. Und Ihr ruft meinen Narren! Ein weiterer aus dem Gefolge geht ab. Der Haushofmeister kommt. O Ihr, Herr, Ihr, Herr, kommt doch näher, Herr, wer bin ich, Herr?
HAUSHOFMEISTER
Myladys Vater.
LEAR
Myladys Vater? Mylords Schurk! Du verdammter Hund, du Lump, du Schuft!
HAUSHOFMEISTER
Ich bin nichts von alledem, Mylord, ich bitte mirs aus.
LEAR
Wirfst du mir Blicke zu, du Hundsfott?
Er schlägt ihn.
HAUSHOFMEISTER
Ich lasse mich nicht schlagen, Mylord.
KENT
schlägt ihm ein Bein unter. Auch kein Bein stellen, du niederträchtiger Fußballspieler?
LEAR
Ich danke dir, Bursch, du dienst mir, und ich will dich lieben.
KENT
Kommt, Freund, steht auf, packt Euch! Ich will Euch Unterschiede lehren; fort, fort! Wollt Ihr Eure Flegelslänge noch einmal messen, so bleibt, sonst packt Euch! Fort! Seid Ihr klug? - So!
Er stößt den Haushofmeister hinaus.
LEAR
Nun, mein freundlicher Gesell, ich danke dir, hier ist Handgeld auf deinen Dienst.
Er gibt Kent Geld. Der Narr kommt.
NARR
Laß mich ihn auch dingen; hier ist meine Kappe.
Gibt Kent seine Kappe.
LEAR
Nun, mein schmuckes Bürschchen? Was machst du?
NARR
Höre, Freund, du tätst am besten, meine Kappe zu nehmen.
KENT
Warum, Narr?
NARR
Warum? Weil du's mit einem hältst, der in Ungnade gefallen ist. Ja, wenn du nicht lächeln kannst, je nachdem der Wind kommt, so wirst du bald einen Schnupfen weghaben. Da nimm meine Kappe. Sieh, dieser Mensch da hat zwei von seinen Töchtern verbannt und der dritten wider Willen seinen Segen gegeben; wenn du dem folgen willst, mußt du notwendig meine Kappe tragen. - Nun wie stehts, Gevatter? Ich wollt, ich hätte zwei Kappen und zwei Töchter!
LEAR
Warum, mein Söhnchen?
NARR
Wenn ich ihnen all meine Habe geschenkt hätte, die Kappen behielt ich für mich. Ich habe meine; bettle du dir eine von deinen Töchtern.
LEAR
Nimm dich in acht, du! - Die Peitsche!
NARR
Wahrheit ist ein Hund, der ins Loch muß und hinausgepeitscht wird, während Madame Schoßhündin, die großmäulige Petze, am Feuer stehn und stinken darf.
LEAR
Eine bittre Pille für mich!
NARR
Hör, guter Freund, ich will dich einen Reim lehren.
LEAR
Laß hören.
NARR
Gib acht, Gevatter!
Nicht alles mußt zeigen
Und manches verschweigen,
Nicht alles leih her,
Reit wenig, geh mehr,
Glaub wenig, hör viel,
Setz wenig beim Spiel,
Laß Dirnen und Wein,
Halt im Hause dich fein,
Und aufs Schock wird dir gehn
Mehr als sechs mal zehn!
LEAR
Das ist nichts, Narr.
NARR
Dann ists gleich dem Wort eines unbezahlten Advokaten; du gabst mir nichts dafür. Kannst du von nichts keinen Gebrauch machen, Gevatter?
LEAR
Ei nein. Söhnchen, aus nichts wird nichts.
NARR
zu Kent. Bitt dich, sag ihm doch, geradesoviel trage ihm die Rente seines Landes; er wirds einem Narren nicht glauben.
LEAR
Ein bittrer Narr!
NARR
Weißt du den Unterschied, mein Junge, zwischen einem bittren Narren und einem süßen Narren?
LEAR
Nein, Bursch, lehr ihn mich!
NARR
Der dirs geraten, Lear,
Dein Land zu geben hin,
Den stell hierher zu mir,
Oder steh du für ihn.
Der süß und bittre Narr
Zeigt sich dir nun sofort.
Der ein im scheckgen Wams,
Den andern siehst du dort.
LEAR
Nennst du mich Narr, Junge?
NARR
Alle deine andern Titel hast du weggeschenkt, mit diesem bist du geboren.
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