© 2021, Septime Verlag, Wien
Alle Rechte vorbehalten.
EPUB-Konvertierung: Esther Unterhofer
ISBN: 978-3-903061-86-6
Lektorat: Gudrun Schury
Cover und Satz: Jürgen Schütz
Printversion: Hardcover, Schutzumschlag, Lesebändchen
ISBN: 978-3-99120-003-1
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Markus Bundi
1969 geboren, lebt heute in der Nähe von Zürich. Er studierte Philosophie und Germanistik, arbeitete als Sport- wie auch als Kulturredakteur und unterrichtet seit vielen Jahren an der Alten Kantonsschule Aarau. Seit Beginn des Jahrhunderts publiziert er literarische und essayistische Texte. Zuletzt von ihm erschienen: Planglück (Erzählungen, 2017), Ankunft der Seifenblasen (Gedichte, 2018), Alte Bande (Kriminalroman, 2019) sowie Der Junge, der den Hauptbahnhof Zürich in die Luft sprengte (Erzählungen, 2020). Für seine Arbeiten als Schriftsteller und Herausgeber wurde er mehrfach ausgezeichnet.
Klappentext
Abenteuerroman, Dystopie und philosophischer Thriller in einem: Markus Bundi erzählt die Geschichte der letzten menschlichen Kolonie, die unter Tage in einem permanenten Dämmerzustand lebt. Doch ein Experiment lässt einige der Unterdrückten aufbegehren … Leserin und Leser finden sich wieder in der futuristischen Vision einer von Kapitalismus, Umweltschäden und Pandemien gezeichneten Menschheit, die sich unter ihren Füßen eine zweite Welt geschaffen hat. Aber was passiert, wenn die Unteren nach oben streben und die Oberen nach unten expandieren wollen?
In einer präzisen, lakonischen und treibenden Sprache schaltet Bundi virtuos zwischen Unter- und Oberwelt hin und her. Er beschreibt fantastische Gegenden, abenteuerliche Fluchten und merkwürdige Rituale. Geheimnisvolle Figuren geben Rätsel auf: Was weiß der graue Mann? Warum tötet die Walküre? Welche Rolle spielen die Goner, und wie leben die Toffler und Pilzer? Bundis Roman ist lesbar als Tragikomödie oder als absurdes Theater, denn Ernst und Spiel lassen sich zuweilen nur schwer voneinander unterscheiden.
»Was andere Autoren auf einer ganzen Seite nicht erzählen,
erzählt Markus Bundi in einem einzigen Satz.«
Matthias Politycki
Markus Bundi
Die letzte Kolonie
Roman | Septime Roman
für Alma, Debora, Dominik, Johanna,
Julius, Lena, Lisa, Loïc, Lukas, Mark-Simon,
Merian, Mio, Rebecca, Tobias und Xavier
Schreiben dreht sich, wie das Leben selbst,
nur um wenige Dinge, vielleicht nur um zwei, Liebe und Tod.
Urs Faes
Aus dem Roman
Ombra
I
Bericht von der guten Zeit
1
Sie saßen in dieser feuchten Höhle fest, die Luft reichte knapp zum Atmen, roch nach Abgestandenem, Zähflüssigem. Doch sie waren euphorisch, Natalia und er, überzeugt davon, dass es den Weg nach oben gab.
Gregors Zeichen hatte sie bis hierhin gebracht, an den Rand der Peripherie. Es gab keine verlässlichen Karten, nur Gerüchte. Florio und Natalia hatten, der Erschöpfung nahe, einen trockenen Abschnitt gefunden, ihr Lager auf einer Betonplatte aufgeschlagen, ein leicht erhöhtes Podest, es würde sie vor Überraschungen bewahren. Das Thermometer zeigte zweiundzwanzig Grad an. Wo es Ratten gab, war wenig Gefahr, das wussten beide, und sie hatten eben noch welche gesehen. Nicht gesehen, aber gehört. Folgt den Ratten, hört auf sie, achtet sie, ihre Sinne sind weit besser als unsere – Gregors Worte.
Sie waren die körperliche Anstrengung nicht gewohnt, die Füße schmerzten, und Natalia hatte Blasen zwischen den Zehen. Sie war, nachdem sie beide eine Kleinigkeit gegessen hatten, in einen tiefen Schlaf gesunken, beseelt vom Gedanken, bald anzukommen, vielleicht schon auf der nächsten Etappe. Florio war aufgewühlt, er rieb sich die Waden, spürte den Rücken. Der lange Marsch, das Tragen des Proviants, die Ungewissheit. Es fiel ihm schwer, sein Lichtlein stecken zu lassen, doch er hatte versprochen, sparsam zu sein. Hier würden sie so schnell keine vollen Batterien bekommen. Florio mochte die Dunkelheit nicht, er war ein Kind der hellblauen Phasen.
Florio hätte im Spect bleiben können. Nachdem Gregor gegangen war, führten er und die andern das Lokal weiter. Die meisten Gäste hatten vom Verschwinden Gregors nichts mitbekommen.
Denken, wenn der Gegner denkt, und wenn er gezogen hat, den Blick abwenden. Überraschend und ohne Zögern selber ziehen, als würde man einer spontanen Eingebung folgen. Manchmal nahm ein anderes Spiel überhand, und Florio patzte. Ein Schaden entstand deswegen nicht. Spiel dich frei, spiel dich fort. Jede Fortsetzung ein Glücksgefühl, so wollte Gregor es immer haben. Florio hatte die Rolle des Freundes übernommen, wenn auch weniger risikofreudig – oder nur zum Schein, das wusste er nicht so genau.
Irgendwann kommt die Zeit der Ernte, das sagen sogar die Pilzer – Gregors Worte.
Florio trank aus der Wasserflasche und vernahm ein Rascheln. Natalia drehte sich im Schlaf. Für einen Moment glaubte er, sie hätte ihn unter den geröteten Lidern hervor angeschaut. Eine Einbildung, denn er sah die eigene Hand nicht vor Augen. Ihr Blick jedoch hätte ihm gutgetan, Natalias Zuversicht, ihr Leuchten, schon die Vorstellung davon half ein wenig. Schaute ihn Natalia an, entspannte er sich augenblicklich, war wieder bei sich. Keine Angst vor niemandem, so hatte sie ihn die Parole gelehrt.
Sie litten unter Hautreizungen. Die Creme, die ihm der Alte mitgegeben hatte, schuf nur geringfügig Linderung, und die Wirkung hielt auch nicht lange an. Sie wurden schleichend vergiftet, die Säure steckte überall, in den Wänden, am Boden und in der Luft. Natalia schnarchte leise vor sich hin, beinahe friedlich.
Wir haben lange genug geschlafen, das hatte Gregor in seinen letzten Tagen im Spect des Öfteren gesagt, für sich, aber auch zu ihm. Manch einer hier könne gar nicht unterscheiden, ob er schlafe oder wache. Im fortwährenden Taumel merken sie nicht, wie sie verfaulen.
Die Züge sprachen für sich, die Veränderungen auf dem Spielfeld gaben den Takt an. Derweil etwas trinken und einen Happen zu sich nehmen, ungezwungen, unaufdringlich, so war das Spect.
Sein Gegenspieler hatte eine Muse dringend nötig, denn er stand auf verlorenem Posten, dachte Florio, auf Blickkontakt bedacht und reich beschenkt. Er überlegte, ob er das Ende hinauszögern oder Schluss machen sollte, trank einen Schluck, sinnierte vor sich hin. Das Gesicht beinahe ungeschminkt, als wäre ihr die Bräune angeboren, und ihr Blick, sie hatte es auf ihn abgesehen. Sie war nicht so ausgemergelt wie die andern, kam womöglich aus einer anderen Charge, war ohne Frage … einzigartig. Florio spielte auf Abwarten, wählte eine Variante, die nichts an der Ausweglosigkeit seines Gegners änderte, ihn weiter zappeln ließ, und fragte, ob sie noch einen letzten Wunsch hätten.
Die Frau lächelte, drückte dem andern einen Kuss auf die Wange, sagte, sie wolle doch wissen, wie es sich von der Gewinnerseite aus anfühle, und drapierte sich so neben Florio, dass er den Arm um sie legen musste. Er umfasste die Frau, deren Namen er noch nicht kannte, der innerliche Aufruhr beschleunigte sein Denken, produzierte Querschläger, das war kein Kunststoff, ihre Hosen waren aus echtem Leder. Die Hitze stieg in ihm hoch, von der Hand in den Arm … und Hals über Kopf. So etwas hatte er noch kaum je angegriffen, so ein Gefühl hatte ihn lange nicht mehr durchströmt. Und dieser alle Sinne betörende Duft.
Das Glück währte nicht lange. Sein Gegner hatte es darauf angelegt, schnell zu verlieren, wohl in der Hoffnung, auf diese Weise die Frau für sich noch zu retten. Florio war die knappe Kopfbewegung des Mannes nicht entgangen, wenngleich er sich nichts anmerken ließ. Doch vergebens. Gehorsam löste sie sich aus seiner Umarmung, geschmeidig tat sie das und langsam, sodass der Zauber anhielt, und flüsterte ihm zum Abschied ein gut vernehmbares »bono-bono« ins Ohr.
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