1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 »Das heißt, dass du nichts mit mir trinken willst?« Hoffnung blitzt in seinen Augen auf.
»Genau, das heißt es. Mein Freund findet so etwas nicht witzig.« Eigentlich ist seine Frage ziemlich unverschämt, wäre ich wirklich vergeben, aber das verzeihe ich ihm. Immerhin bin ich auf den Flirt zuvor eingegangen. Hätte ich tatsächlich einen Freund, würde das kein gutes Licht auf mich werfen.
»Wieso lässt er dich so ganz alleine an den Strand gehen? Ich würde jede Minute mit meiner Freundin nutzen, wenn ich mit ihr im Urlaub bin.«
»Wir wohnen hier«, rutscht es mir heraus und ich trete von ihm weg.
Sein Gesicht entgleist. »Du lebst hier? Seit wann? Wo?«
Ich Idiotin. Jetzt habe ich seine Neugierde erneut geweckt. Wie blöd kann man denn sein? »Ähm, ich muss los.« Mir fällt nichts Besseres ein, als mich umzudrehen und den Strand entlang zu joggen. Nur weit weg von diesen grünen Augen und seinem intensiven Blick.
»Hey, ich weiß nicht mal deinen Namen«, ruft er, doch ich werde gerettet, denn zwei Mädchen kommen auf mich zu und winken ihm.
»Nick. Hey«, grüßt eine von ihnen – eine kurvige Brünette. Sie strahlt ihn mit einem Hundert-Watt-Lächeln an, streckt die Brust raus, marschiert dann entschlossen über den Sand, ihrem Opfer entgegen. Es ist mehr als deutlich, was sie von ihm will. Ich beiße mir auf die Lippe, schaue nicht zurück. Es ist besser so. Vermutlich ist er ohnehin der letzte Schürzenjäger, so wie er sich gibt. Ein Hauch von Eifersucht wallt in mir auf, ob ich will oder nicht.
Den restlichen Tag verkrieche ich mich im Garten, lege ein Hochbeet für Gemüse an, um etwas zu tun zu haben und mich irgendwann selbst versorgen zu können. Umso seltener muss ich unter Menschen und hinunter in den kleinen Laden gehen. Außerdem ist es befriedigend, sein eigenes Gemüse anzubauen und zu ernten. Leider muss ich dabei immer wieder an die grünen Augen denken, was mich schrecklich nervt. Bin ich wirklich so leicht zu beeindrucken? Als hätte ich keine anderen Sorgen als einen Typen. Polizist, erinnere ich mich sicherheitshalber noch einmal. Ich bin eine Idiotin. Vor allem, da dieser Typ zu einhundert Prozent jedem weiblichen Wesen auf der Insel nachjagt. Typen, die so aussehen wie er und sich so benehmen, sind Frauenhelden, das kenne ich noch aus meiner Schulzeit. Und dazu ist er ein Cop, das ist der wichtigste Punkt. Tabu, tabu und tabu. Dreimal tabu. »Hör auf, überhaupt an ihn zu denken«, knurre ich mich selbst an. Storm hebt den Kopf und schaut mich verwundert an. Vermutlich glaubt er, dass ich den Verstand verliere. Vielleicht hat er auch recht damit, wenn ich Selbstgespräche führe. Aber mit wem soll ich denn sonst reden? Ich kann ja wohl kaum jemanden anrufen.
Ich putze mir die Hände an der Hose ab, stecke mir die Stöpsel meines MP3 Players in die Ohren, um mich mit Musik abzulenken. Das beruhigt mich. Es lenkt mich ab und sorgt dafür, dass meine Stimmung sich hebt. Weiß Gott, das habe ich heute nötig. Ich muss diesen Typen aus meinem Kopf verbannen. All diese Sehnsucht liegt nur an meiner Einsamkeit, ganz sicher, nicht an diesen grünen Augen. Dadurch, dass ich jetzt hier ein Zuhause habe, weckt dies andere Wünsche in mir. Früher bin ich ein geselliger Familienmensch gewesen. Früher … Heute bevorzuge ich das Alleinsein. Wann habe ich das letzte Mal mit einem anderen Menschen so richtig herzhaft gelacht? Ich kann mich nicht erinnern. Dieses Wissen schmerzt mich und ich drehe die Musik lauter.
Leise summe ich eines meiner Lieblingslieder mit, verliere mich in der Musik, wie ich es geplant habe. Es tut so gut. Die grünen Augen wandern tiefer in meine Gedanken, bereit, mich später erneut zu triezen, während ich mich im Augenblick vollkommen der Arbeit hingebe. Es ist ein wunderbares Gefühl, etwas Sinnvolles zustande zu bringen. Und es fühlt sich gut an, mir etwas Eigenes aufzubauen, etwas, von dem ich lange zerren kann. Ich erschaffe etwas. Es sorgt noch mehr dafür, dass ich mich heimisch fühle, auch wenn unter meinem Bett eine Notfalltasche mit meinem Geld und dem gefälschten Pass liegt. Startklar, direkt aufzubrechen. Nur so habe ich lange überleben können. Einmal ist es knapp gewesen, da bin ich mir sicher, dass er mich anfangs beinahe erwischt hätte, als ich unvorsichtigerweise zu nahe an meinem Zuhause geblieben bin.
Ja, hier ist mein neues Zuhause, doch ich bleibe vorsichtig. Denn ich darf nicht vergessen, dies ist nur eine vorübergehende Station auf meinem Weg, der niemals enden wird. Für immer werde ich hier nicht sicher sein. So naiv, das zu denken, bin ich nicht. Nein, ich bin realistisch, aber eine Weile kann es klappen. Deswegen darf und will ich niemanden kennenlernen oder mich gar mit Menschen von hier anfreunden. So kann ich meine Zeit auf ein Maximum ausdehnen. Wenig Kontakte bedeutet immerhin weniger Menschen, die Fragen stellen.
Die Sonne brennt auf meinen Kopf, Schweiß rinnt mir den Rücken hinab, doch ich grabe unermüdlich in der weichen Erde. Ich genieße das Gefühl, den warmen Boden mit den Händen umzugraben, neues Leben zu erschaffen. Vielleicht bekomme ich sogar mal etwas Farbe im Gesicht und sehe nicht mehr aus wie Hui Buh - das Gespenst. Allerdings wird es mehr Sommersprossen sprießen lassen und ich werde zum Streuselkuchen, ein großer Nachteil. Ich muss an die beiden Mädchen vom Strand denken, wie braun sie gewesen sind, und kann mir ein wenig Neid nicht verkneifen. Kein Wunder, dass Nick sofort aufgegeben hat, als sie angekommen sind und ich vergessen gewesen bin. Dagegen stinke ich so dermaßen ab und sehe aus wie eine Wasserleiche. Nicht, dass ich schon mal eine gesehen hätte, außer natürlich auf Bildern in der Pathologie. Das hat gereicht. Ich möchte nicht in Erinnerung bleiben. Reiner Schutzmechanismus. Auch wenn ich es früher geliebt habe, mich schön zu machen. Hässlich bin ich heute definitiv nicht. Ich habe genügend Selbstbewusstsein. Früher bin ich … besser in Schuss gewesen. Ob dies das richte Wort ist? Na ja, eben nicht so blass oder mager wie jetzt. Meine Kurven haben mir immer gefallen, doch jetzt sind sie nur noch zu erahnen. Ich muss es in den Griff bekommen. Ich will mich wieder rundherum gut fühlen, mich erholen und ein wenig zu mir selbst finden. Meine Seele braucht dies. Selfcare oder wie nennt man es aktuell so modisch in den Medien.
Samen für Samen setze ich in die Erde, bewässere sie. Ich habe heute zu viel riskiert. Auf einen lächerlichen Flirt kann man eingehen, aber nicht mit einem Kerl mit Dienstmarke. Vorsichtig schiebe Sand auf die kleinen Löcher, klopfe ihn fest, ehe ich ihn erneut begieße. Es ist schon fast Abend, als ich endlich fertig werde. Ich wünschte, Granny könnte es sehen, sie wäre total stolz auf mich – ihr kleiner Garten hat immer wie eine Feenlandschaft mit Schmetterlingen, Hummeln und Bienen, die in all der Farbenpracht herumgeschwirrt sind, ausgesehen. Zufrieden bewundere ich mein Werk, klatsche in die Hände, die ganz schwarz von der Erde sind. Wie ich so bin, habe ich die blöden Gartenhandschuhe vergessen. Vor mir erstreckt sie ein großes Hochbeet, gute sieben mal zehn Meter. Es ist wunderschön, ich kann es kaum erwarten, die ersten Triebe zu entdecken. Geduld ist nicht meine Stärke, von mir aus kann es gleich morgen so weit sein.
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