„Ja, das wohl; vielleicht, weil er sich so gewöhnt hat. Mit Harm Harbers redet er aber doch ganz gern.“
Der Pfarrer stand aus dem Schreibstuhle auf und schritt auf Elke van der Heyde zu, die schon an die Tür der Arbeitsstube getreten war.
Als sie ihn mit ihren klaren Augen anschaute, liess er die Hand, die er ihr hatte reichen wollen, noch einmal sinken; denn er erkannte, dass die Augen dieses Mädchens von einem Reichtum der Seele sprachen, der ihn von neuem an das liebliche Märchen von dem Einsiedler am Hörn erinnerte.
Aber jetzt standen die Gestalten dieser seltsamsten Geschichte, die je durch die Hütten auf der Heide gelaufen war, plötzlich in der ganzen heiteren Verklärung vor ihm, die die dichtenden Herzen der Alten über sie ausgegossen hatten.
Es war dem Pfarrer, als müsse er lange mit diesem Mädchen reden können, und zwar über Dinge, von denen die Leute in den Hütten und Dörfern nicht einmal ahnten, dass sie da seien.
Erst nach einer Weile reichte er ihr die Hand und sagte:
„So grüsse Remmer van der Heyde von mir und sag’ ihm, dass ich in einigen Wochen in das Rosenhaus kommen und lange und gern mit ihm plaudern will.“
„Ich will nichts vergessen,“ sagte das Mädchen.
Und der Pfarrer hielt die junge Hand lange in der seinen.
Als Elke aus dem Hause ging und im Sonnenlicht der Ostern in die Einsamkeit der Heide schritt, stand er am Fenster seiner Arbeitsstube und schaute ihr nach. Da war ihm, als ginge der Glanz des Frühlingslichtes von diesem Kinde aus, das die Anmut einer Jungfrau hatte.
So stand er lange Zeit.
Die Uhr der Kirche schlug, und er hörte es nicht; denn über seine Seele ging ein Schauer, als habe er zum erstenmal vor einem Wunder gestanden.
Zum erstenmal?
Hatte er nicht das liebliche Wirken des Frühlings schon oft über die Erde kommen sehen?
Und dann, hatte er nicht jenes andere Mädchen mit seinen Armen umschlungen und seinen Mund auf die roten Lippen gepresst und auf die sanften Lider der Augen, die sich im Glücke dieser einzigen Stunde geschlossen wie vor der goldenen Helligkeit der Sonne?
Und Elke van der Heide war ein Kind!
Sie war in der Einsamkeit einer Hütte emporgeblüht, die hinter die arme Dürftigkeit eines Deiches sich ducken musste, damit nicht See und Wind sie zerschlugen.
Elke war im Schatten eines jener Dächer aufgewachsen, unter denen die Menschen harte Herzen haben und den Zug trutziger Verschlossenheit um die Lippen tragen ...
Das Leben ging hier grau und eintönig um die armen Häuser, wie die See eintönig und grau über die Armut des Küstenlandes rollte ...
Und doch, wirft die See nicht auch einmal eine Perle von köstlichem, schönen Schein ans Land?
So sann der Pfarrer im Hause auf der Heide; denn er hatte ein Wunder gesehen und suchte sich dieses Wunder zu deuten.
Und da er des Rätsels Lösung nicht finden konnte, sagte er zu sich: „Es ist eine Lüge.“
Er setzte sich wieder in den Stuhl, um seine Predigt zu entwerfen.
Und er schrieb von der Sonnenseligkeit der Frühlingserde und von der Fröhlichkeit der Herzen, die in die Tage der Ostern gehen. Und er schrieb von dem Manne, der eine köstliche Perle fand.
So wollte er hinüberleiten zu dem Wunder der Auferstehung.
Aber in seine Seele klangen Töne von märchenhaften Glocken.
In diese Klänge horchte er hinein ...
Es war, als kämen sie fern über die Heide und vom Strande der See ...
Da ging der Heidepfarrer hinaus in die goldene Einsamkeit des Frühlingstages.
Er ging so weit, dass er das Rosenhaus im Tief sehen und den milden, grünen Schimmer wahrnehmen konnte, den das junge Laub der Rosenranken über die Wände zu spinnen begann.
Hinter dem Fenster dieses Hauses sass in dieser Stunde Remmer van der Heyde und liess das warme Licht der Sonne über seine weissen Hände gehen.
Er hatte einen seltsamen Schein in den Augen des Kindes gesehen, der war fremd und schön.
Aber was sich in ihm spiegelte, wusste Remmer van der Heyde nicht.
Es war nicht jener heisse, fröhliche Glanz, von dem Elkes Seele erfüllt wurde, wenn die Sonnenstrahlen einen stillen Heidemittag hindurch das Mädchen umspielt hatten.
Es war auch nicht jenes Licht, das etwa aus den Gärten der Märchen in diese Augen strahlte, wenn der Greis in einer Stunde heimlichen Glückes das Mädchen hineingeleitete.
So oft Elke an diesem Tage in die Stube trat, sah sie der Alte an.
Immer sprachen ihre Augen von einem rätselhaften, fremden Glück.
Da sagte Remmer van der Heyde:
„Komm, setze dich mir gegenüber und erzähle mir noch manches, was du mit dem Pfarrer geredet hast. Sie sagen, er sei ein kluger, ernster Mann und rede eine starke, klare Sprache, die den Weg in die Herzen der Heideleute und derer von der Küste finde.“
Da setzte sich Elke ihm gegenüber; aber sie blieb stumm, senkte die Lider und sah auf ihre Hände, die sie gefaltet in den Schoss gelegt hatte.
„Du möchtest etwas sagen, Kind?“
„Ja — ich dachte, so müsste Jesus von Nazareth geredet haben, so stark und klar. Und so müsste er auch ausgesehen haben.“
Aber das Mädchen erhob seine Augen bei diesen Worten nicht.
Da wunderte sich Remmer van der Heyde und dachte an die frommen Neigungen der Frauen seines Geschlechtes. So waren sie alle gewesen, die den Namen van der Heyde getragen hatten.
„Es kann sein,“ sagte er.
Dann ging sie wieder hinaus an die Herdstatt, und der Alte hörte, dass sie Feuer zündete.
Weil er sich gewöhnt hatte, die Entwicklung der Seele Elkes mit allem Eifer zu verfolgen, damit er sie in jeder Weise fördern könne, dachte er über die Wandlung ihres Herzens nach, die er sich aus einer Erregung der Sinne heraus erklärte. Diese aber sei weder nach der Zeit, in der sie geschehe, noch nach dem Grade der Stärke, von dem der reine Glanz der Augen des Mädchens ihm erzähle, ungewöhnlich.
Und er nahm sich vor, auch jetzt nicht den mindesten Zwang auf ihr Herz auszuüben, das nach der fremden, schönen Sonne der Liebe zum Manne sich zu sehnen beginne, ohne es zu wissen, und nach der Seligkeit dieser Liebe verlange, ohne sie zu ahnen.
Und über seine Seele kam ein neues, wundersames Glück und eine heimliche, fröhliche Sorge.
Nach einigen Tagen riefen wieder die Glocken die Leute aus den Höfen und Häusern.
Auch die aus dem Tief gingen diesmal zur Kirche, und unter ihnen schritt Elke van der Heyde.
Nur der Greis im Rosenhause war daheim geblieben — auch an diesem Tage.
Das Gotteshaus füllte sich mit Neugierigen und Frommen.
Vor dem Altare sassen die Kinder, die ihren Glauben bekennen sollten.
Der Pfarrer kam und redete zu ihnen.
Die schönen, warmen Worte, die er sprach, und von denen sich nur wenige in die Herzen fanden, die sie aufschliessen sollten, sanken in die Seele Elkes van der Heyde.
Sie hatte die Empfindung, als ob er zu ihr allein redete.
Manchmal hob sie ihre Augen auf; da begegneten sie den sanften Blicken des Predigers.
Die kamen zu ihr und fanden sich leise und heiss bis in ihr Herz.
Dann schritten die Kinder zum Altar und knieten auf der Stufe vor dem Tische des Herrn.
Und Elke van der Heyde fühlte die Hand des Predigers auf ihrem Haupte.
Es rann ein Glück aus dieser warmen Hand durch ihren Körper. Das hatte sie vordem nie empfunden ...
„Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“ — mit diesem Spruche segnete er sie; der sollte sie durch das Leben geleiten.
Und als die Glocken wieder klangen, ging Elke van der Heyde vor den anderen; und sie ging ganz allein in diesen Klängen durch das Gold des Frühlingstages.
So zogen die Tage der Ostern vorüber, und Remmer van der Heyde sah: statt des Kindes waltete nun eine Jungfrau in dem Rosenhause.
Читать дальше