Max Geißler
Peter Lebegerns große Reise
Roman
Saga
Von Haus aus war Peter Lebegern wohl ein Armer — was man so arm nennt, das nicht reich ist; denn sein Vater war ein ehrsamer Dorfschuhmacher. Wenn der seine Sohlen aufnagelte, ängstigte den bescheidenen Mann in Liebe zu seinem Kinde der Traum: dieser Junge möge dereinst Schulmeister werden, womöglich gar Kantor. Aber — wie gesagt — jener Gedanke hatte etwas Beängstigendes; denn Wilhelm Lebegern, der Schuster, hielt ihn für vermessen.
Zu dem Dorfschulmeister kam es mit Peter trotzalledem. Seiner Art nach gab es keinen, der zum Lehramt in damaliger Zeit berufener gewesen wäre mit seiner Entbehrungsfähigkeit, der Kraft seiner Selbstentäusserung, Geduld und Güte.
Aber auf einmal … auf einmal kam die Sehnsucht über ihn!
Nun, Peter Lebegern, der in Bogenbach am Rotwasser die Kinder die schweren Künste des Schreibens und Lesens lehrte — dieser Peter Lebegern war kein tatenloser Träumer. Er wartete nicht auf ein Wunderbares. Er dachte nicht, dass ihn ein Unbekannter zum Millionenerben einsetzen würde. Er hatte keinen Vetter in Amerika. Nein, nein, Peter Lebegern war ein so vernünftiger Mensch, dass er sich von den sechzig Mark Monatsgehalt eines Hilfslehrers nicht einmal ein Lotterielos kaufte. Aber das wusste er von Stund an: die Wüsten Arabiens oder die Weidegärten zwischen Euphrat und Tigris hatten etwas endlos Verlockenderes für ihn als die Enge der Wände, in die er dank des Traumes seiner Väter versetzt worden war. — Es war nämlich herausgekommen, dass dieser Traum schon durch Geschlechter in den Lebegerns gespukt hatte. Aber erst Wilhelm Lebegern, der Schuster, hatte den Weg und den Mut zur Verwirklichung gefunden.
Natürlich war Peter Lebegern weise genug, sich zu sagen, dass es im Grunde keinen edleren Veruf gäbe als Menschen zu machen zu Abbildern Gottes aus den nassnasigen jungen Geschöpfen, die man ihm auf die Schulbank setzte. Jedennoch — er war auch weise genug, zu erkennen, dass er dies Geschäft besser solchen überliesse, die sich dabei ein bescheideneres Mass und Ziel steckten oder andere Verheissungen hatten als er.
Und Peter Lebegern lauschte der Stimme, die in ihm sprach. Es sei nicht das richtige Glück, in dem er lebe, lockte diese Stimme. Wie? War das wohl gar ein Ton, jenem ähnlich, der durch die wunderschöne Dichtung von der Schlange im Paradiese klingt? — Nun, Peter Lebegern hörte dennoch hin — mit lächelndem Verständnis.
Eines Tages stand es für ihn fest: er wollte seinem Glück und der Menschheit auf einem anderen selbstgewählten Posten dienen! Soviel Geld wie als Schulmeister musste sich zum Lebensunterhalt allenthalben verdienen lassen bei einer freien, seinen Neigungen mehr entsprechenden Tätigkeit.
Dieser junge Dorfschulmeister hatte nämlich alle Sinne weit offen und sah durch seine Brillengläser ein ungeheuer weites und tiefes Stück Welt in sich hinein. — Es ist nicht von ungefähr, dass jene Brillengläser genannt werden. Sie hatten mit ihrer schwungvollen schwarzen Hornfassung in dem schmalen Dorfschulmeistergesicht etwas Herrschendes. Sie griffen hinab bis auf die Jochbeine der Wangen und griffen empor bis zu der klar modellierten Stirn. — Um jene Zeit trug Peter Lebegern das blonde Haar strack nach hinten gekämmt. Auch aus dieser Tatsache lässt sich erkennen, dass er mit dem Hirtenkönig im Land Uz wenig Ähnlichkeit besass — ausser der Verheissung, die in ihm glühte.
Jedennoch — seine Träume waren anderer Art. Was nicht heissen soll: sie waren zeitgemässer. Oder: sie waren weniger verwegen; die des Abram waren das so sehr, dass er sich bekanntlich hinter den lieben Gott verstecken musste, um bei seinen Leuten den Eindruck zu vermeiden, die Wüstensonne habe ihm das Hirn verbrannt. Aber Könige waren sie alle beide — Punktum. Nur konnte der schmale Schulmeister von Bogenbach am Rotwasser sein Königtum nicht so sichtbar zur Schau tragen wie etwa der bronzebraune Kamelreiter aus dem Lande Uz in Chaldäa, dessen Herden die Weiden deckten zwischen den Rändern des Himmels.
Um die Zeit der ersten Verheissungen wurde Peter Lebegern sogar noch ein wenig schmaler und blonder; die Bauern spotteten: dem Schulmeister wüchsen die Brillen. Was daher kam, dass er die Hälfte jedes Monatsgehaltes zur Seite legte; denn Peter Lebegern hatte sich vorgenommen, eine grosse Reise zu tun, sobald seine Ersparnisse hinlänglich seien … Bei dieser Feststellung ist im Hinblick auf die Einnahmen des Lehrers von Bogenbach die Frage allerdings nicht von der Hand zu weisen: waren nicht am Ende die Eroberungspläne Abrams und die Aufrichtung eines irdischen Königstums weniger vermessen?
Nach einigen besinnlichen Stunden entschloss sich Peter Lebegern, das Land der Lappen und Eskimos zu besuchen; denn er fand, dass er die meisten anderen Gegenden der Erde aus unmittelbarster Anschauung heraus bereits kenne … wobei zu bemerken ist: diese Unmittelbarkeit der Anschauung war in der Tat vorhanden; denn über der Hingabe an seine Studien zur Welt- und Heilsgeschichte hatte er sich die Fähigkeit eines ungeheuren Einlebens in Zeiten, Länder und Völker angeeignet. Seine Augen sahen mit der Geübtheit derer des Malers. Sein nachschaffender Geist gestaltete mit der sieghaften Sicherheit des Dichters äusserlich Niegeschautes, aber zu tiefst Erlebtes. Peter Lebegern war schon um diese Zeit ein Künstler von kräftigen Massen — und wusste es nicht. Er war ein Eigener.
Manchmal dachte er darüber nach, ob es nicht eine an Blödsinn streifende Schrulle sei, von den mühsam ersparten Pfennigen eines Dorfschulmeisters in das Land der Mitternachtsonne zu reisen, um mit einem Eskimo einen Becher Tran zu trinken.
Als Pius Heidvogel, der geräderte Zeitungsmann, bei Peter Lebegern eintrat, hatte der seine grosse Reise schon hinter sich. Er hatte also den Schulmeisterrock in Bogenbach am Rotwasser hängen lassen, war mit rundlichen Lappen im Bootschlitten über verschneite Fjelds gesaust und war nun gerade im Begriffe, seine Mitbringsel in einem hochgelegenen Stübchen zu verstauen. Mitbringsel. Ja. Es waren das viele kleine und kleinste Dinge, die ihm aus irgend einem Grunde wertvoll erschienen. Zusammengetragen, zusammengepackt und wieder gepackt.
Dazwischen stand er — Peter der Lebegern. In einer im übrigen noch leeren Dachstube. Viele Giebelchen guckten zu den Fenstern herein — manche, als stünden sie auf den Zehen oder klömmen mit spitzen Fingern an Peters Fensterstock hoch, zu sehen, was das für ein Wunderling sei, der dort seinen Einzug halte. Mitbringsel muss man die Päcke nennen, die da um ihn herumlagen; denn Reisegepäck — du lieber Gott, was für Reisegepäck hat ein Schulmeister von Bogenbach, der sechs Jahre lang Geld sparen musste, um in einer Eskimohütte zu übernachten?
In dieser Lage, die man im Durchschnitt ‚verzweifelt‘ zu nennen pflegt, traf ihn Pius Heidvogel. Der stürmte die Holzstiege heran. „Ah!“ Dann drückte er den grauen Schlapphut gleich wieder auf die wirren Haare; denn er meinte: dies sei wohl nicht ein Raum, in dem Peter Lebegern wohnen wollte. Sondern eine Rumpelkammer, in der dieser Herr rasch einmal darüber nachdenke, welches der kürzeste Weg sei, sich wiederzufinden.
„Herr Lebegern? — Ah, welch ein sonderbarer Name!“ …
Peter Lebegern lächelte. Nun — ‚Pius Heidvogel‘ … das war auch nicht alltäglich. Nur trug der eine seinen Namen in der Tat, der andere hatte ihn aufgelesen von ungefähr und passte dazu wie der Kürbis in das Schüsslein der Eichel.
„Hm!“ machte Peter und setzte ein Lächeln auf; das war so grundgütig und weise — der andere hätte schamrot werden müssen, wenn er nicht Pius Heidvogel aus dem Durchschnitt gewesen wäre. Ein Stürmer und Dränger mit Schlapphut und cholerischem Haarwuchs. Und dennoch aus dem grauen Lande des Durchschnitts. Ja.
Читать дальше