Max Geissler
Das sechste Gebot
Roman
Saga
Auf der Schwelle ihres Hauses droben in Santa Croce sass Frau Nina Zeni in der Sonne.
Madonna mia, wo soll Nina Zeni sonst sitzen als auf der Schwelle und in der Sonne, wenn sie auf ihrer Brust Seidenraupeneier ausbrütet? —
Santa Croce hängt wie ein Schwalbennest am Südhange der Berge, der verbrannten, glühenden Berge. Nur das Silber der Oliven sickert um das Dorf in das heisse Gold der Hänge und wirft ein paar dürftige Schatten über das kahle Kalkgestein. Die Agaven kleben in den Spalten der Felsen und halten die gewaltigen Leuchter ihrer Blütenschäfte der Sonne entgegen, damit sie die goldenen Flammen daran entzünde. Es muss alles Glut sein um Santa Croce in diesen Tagen des Sommers.
Eigentlich liebte Nina Zeni diese Brände der Julisonne; denn bei so grosser Hitze kann kein Mensch arbeiten — wenigstens in den Häusern von Santa Croce keiner; und darum konnte auch niemand sagen, Nina Zeni wäre allein faul.
Ringsum sangen die Zikaden, und ringsum flackerte die Luft. Und die dicke Nina auf der Schwelle ihres Hauses wartete auf den Wind, ob er nicht bald wieder einmal die steile Berggasse herablaufen und mit den Ringlein über ihrer Stirn oder mit dem schmutzigen Saum ihres verwaschenen Kattunrockes spielen wolle.
Weil der Wind aber nicht kam, rief Nina der Nachbarin ein Wort hinüber, durch das offene Fenster hinein — ein klagendes Wort.
Hinter jenem Fenster des Hauses auf der anderen Seite der Gasse putzte Teresina Margiotta Kupfergefässe. Sie schaute nicht auf, als der wehleidige Ruf zu ihr hereinflatterte wie eine verflogene Bergschwalbe, und liess Nina Zeni jammern. Aber es lauerte ihr doch ein heimliches Lachen in den Augen; denn sie wusste: wenn die breite, faule Nina ihr Klagelied zu Ende gesungen hat, erhebt sie noch einmal die Stimme und schreit in übergrossem Jammer: „O heilige Mutter Gottes, ich habe Hunger und bin über allem Elend so mager geworden wie ein Lampendocht! O heilige Mutter Gottes, wohin soll das noch mit mir kommen!“
So geschah es auch diesmal.
Darum lachte Teresina Margiotta drüben zwischen ihren kupfernen Töpfen ein klingendes Lachen. Das sprang in die enge Gasse, als müsst’ es den Wind aufwecken, der irgendwo unter den Oliven eingeschlafen war.
Es war aber auch wirklich zum lachen: Nina Zeni sass so breit und kugelrund auf ihrer Schwelle, dass eine Bergmaus Mühe gehabt hätte, zwischen Ninas Mitte und dem Türstock sich hindurchzufinden; und Nina Zeni behauptete trotzdem, sie wäre über ihrem Elend mager geworden wie ein Lampendocht!
Als sie Teresina Margiotta so laut lachen hörte, senkte Nina die Lider über die feindseligen Augen, die die Nachbarin gesucht hatten, und sagte zu sich: Teresina Margiotta — was fällt Teresina Margiotta eigentlich ein, in dieser heissen Zeit Tiegel und Töpfe blank zu machen? Sie wird dabei um ihren Verstand kommen, die Teresina. Und warum scheuert sie mit Rohr und Sand? Weil sie ihr schönes Gesicht in dem blanken Kupfer sehen will. In jeder Pfanne an der Wand will sie einen Spiegel haben, die närrische Teresina Margiotta!‘
So redete die faule, kugelrunde Nina auf der Schwelle ihres Hauses mit sich selber und hatte dabei die Hände zwischen ihren Knien gefaltet und die Lider geschlossen. Mochte Teresina Margiotta denken, sie bete!
Übrigens — Teresina Margiotta hatte gut lachen. Ihre Augen hatten einst dem schönsten, wildesten Jungen das Herz verbrannt, der in den Bergen über Santa Croce je Geier jagte: dem Giulio Margiotta.
Nun war er schon dreizehn Jahre ihr Mann und war immer noch verliebt wie ein Tauber.
Da war kaum eins von den Mädchen der Dörfer in den Felsen, das nicht vor mehr als einem Dutzend Jahre heimlich von der Kraft und dem stolzen Mute jenes Jägers geträumt hätte. Alle hatte ihre Hoffnung zu Narren gemacht. Aber die schöne, übermütige Teresina nahm er sich zum Weibe — ausgerechnet die, die sich kaum einmal nach ihm umgeschaut hatte und immer tat, als gäb es gar keinen Giulio Margiotta, dem all ihre Gesellinnen die Hände unter die Füsse gelegt hätten.
Auch heute war er wieder droben auf den zackigen Gipfeln; denn wer sollte sonst in der grauen Dämmerung der Frühe geschossen haben, dort oben, wo die Geier pfeifen? Wer anders als der wilde, schöne Giulio Margiotta?
Und wenn Giulio des Abends heimkehrte und sich hinter dem Hause am Rande des Weingartens den kalten Bergbronnen über die sehnigen Arme und über das kupferbraune Gesicht laufen liess, da sass die schwarze, sternenäugige Teresina neben dem Quell auf dem Stein und hielt das weisse Tuch in ihren Händen, mit dem der Jäger sich trocknen sollte. Dabei sah er sie an, wie einer seine Liebste ansieht und nannte sie coccolina mia! Es war nicht zu glauben! Und — mio nini (mein Schatz!) kicherte die verliebte glückliche Teresina; und ihre Augen waren dabei voll von heissem Verlangen, und auf ihren Lippen lag eine Sehnsucht nach dem Kusse des wilden, herrlichen Giulio.
O, Teresina Margiotta!
Frau Nina Zeni hatte keinen, der ihre Sehnsucht sah.
So zerquälte sie sich das Herz um Teresina Margiotta und um ihre Sternenaugen und um ihren mutigen, schönen Giulio.
Auch in dieser Stunde, in der Teresina allein in ihrem Hause war und Pfannen scheuerte.
Dabei hatte Frau Nina immer die Hände zwischen den Knien gefaltet und die Lider geschlossen, und ihre Lippen bewegten sich wie bei einer Betenden.
Aber in ihrem Herzen dachte sie, wie sie sich der schönen, stolzen Teresina zum Ärger am Tage des heiligen Antonius schmücken wollte — ja, Nina Zeni wollte noch schön sein! Mit bunten Bändern wollte sie sich putzen und mit Perlen und Spitzen, so, wie die Frauen von Sonnino sich putzen — die schönen Frauen von Sonnino, von denen man in der Welt singt und unter denen Nina Zeni jung gewesen war.
Warum hatte sie das Schicksal aus Sonnino verschlagen?
Frau Nina stützte die Ellbogen auf ihre runden Knie und legte die Hände vor ihre geschlossenen Augen. Dann seufzte sie in ihrem komischen Schmerze hinein in diese Hände.
Die schöne Teresina warf einen Blick herüber. „Ei, Nina Zeni, führst du deine Gedanken wieder einmal spazieren wo du jung gewesen bist?“ Teresina kannte die Nachbarin in ihrem Behaben zu genau — sie kannte ihre Eitelkeit, ihren Neid, ihre Eifersucht auf die feuerhaarige Leonetta. Leonetta war Teresina Margiottas Kind. Und Nina Zeni hatte eine fünfzehnjährige Enkelin in ihrem Hause, das war die stille, frühverkümmerte Prisca. Dieser Prisca wünschte Frau Nina die Schönheit der Tochter des Geierjägers.
Wie Nina Zeni nun die Frage Teresinas hörte, die wie eine Schlange zu ihr herüberfuhr, zuckte sie zusammen. Aber sie schwieg und sass regungslos und dachte an das Fiebernest Sonnino ...
Weithin um die altersgraue, kleine Stadt dehnten sich die Pontinischen Sümpfe, wob an Sommerabenden ein blutrotes Leuchten. In den Niederungen, durch die in der heissen Zeit die Fieber krochen, lebten in den Tagen der Blüten und Früchte die Räuber von Sonnino ihr königliches Leben; und die Lieder der Jungen priesen noch heute den Ruhm jener Nonna, die einst mit eigener Hand dem Mörder ihres Verlobten den rächerischen Dolch ins Herz gestossen hatte. Sie war die letzte ihres Geschlechts gewesen, und mit ihr war die alte, starre Formel wohl ins Grab gesunken, mit der man dereinst zu Sonnino im Scheine mitternächtiger Feuer das Gelübde der Blutrache auf sich nahm ...
Mit geschlossenen Augen dachte Nina Zeni lange, lange der Herrlichkeiten ihrer Heimat. Wäre sie dort geblieben, wer weiss, wie freundlich der Stern ihres Glückes dann in dieser Stunde gestrahlt hätte! Vielleicht wäre sie dann längst nicht mehr die verwaiste Frau, die sich mit der Erinnerung an ein karges, flüchtiges Minneglück bescheiden musste.
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