1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Mögen die Philosophen, Ärzte, Dichter oder wer sonst immer nach neuen Worten dafür sinnen! Was ist der alte, brave, ehrbare Schulbegriff Liebe gegen den Zustand wilden Taumels, süßer Trunkenheit, gieriger Leidenschaft zugleich, der von einem Moment zum andern durch und durch Besitz von mir ergriffen und mit einem Schlage, wie durch ein grauenhaftes Wunder, den alten Menschen in einen neuen umgewandelt hatte! Die Urheberin aber der furchtbaren Zauberei, die mich in meinen Grundwurzeln vergiftete und mich sofort ein Ende mit Schrecken vorausahnen ließ, ohne daß ich auch nur eine Spur von Angst davor empfand — die unbewußte Urheberin also, die Anstifterin dieser dämonischen Besessenheit war ein achtzehnjähriges, schlankes, graziöses, wundervoll gewachsenes Geschöpfchen mit aschblondem Kraushaar, dunklen, feuchtschwimmenden Augen und milchweißen Schultern, das im Bühnenchor mit noch vier, fünf anderen Mädchen mitsang und zuerst durch eine süße, glockenhelle, wenn auch kleine Stimme meine Aufmerksamkeit erregt hatte.
Sie stand dabei etwas von den anderen Mädchen verdeckt, so daß ich nur aus dem Wohllaut ihres Tons auf ihre Erscheinung hatte schließen können. Aber dann bringt eine Wendung der Szene sie in den Vordergrund. Ein einziger entzückter, umfassender Kennerblick, und es ist um mich getan! Sie trägt, wie die Mitspielerinnen, ein kurz geschürztes, dünnes Ballettröckchen, das von ihren biegsamen Formen wenig mehr zu erraten übrig läßt. Ich sehe den blendenden Nacken, die durchsichtigen, zart marmorierten Schultern, den schwellenden Ansatz der Brüste, die prachtvoll modellierten weißen Arme, die hochgestellte, gertenhafte und zugleich so weich gerundete Figur, ich trinke die schwimmende Sehnsucht der großen dunklen Augen, die in die Ferne zu träumen scheinen, den unendlich keuschen und doch merkwürdig sinnlichen Liebreiz von Stirn und Wangen, an denen in gewissen Augenblicken, wenn sich der Kopf wie trunken zurückneigt, irgend etwas mich an die Leda- und Jogesichter der großen Italiener erinnert. Ich verfolge das gefällig hin und her bewegte Mädchen auf der Bühne mit neuem, immer steigendem Entzücken, denn jede Geste der schlanken, vornehmen Hände, jede Regung des biegsamen Körpers, jedes Neigen des schmalen feinen Kopfes enthüllt mir neue, noch ungesehene Reize oder zeigt mir die schon bekannten in immer anderer, wechselnder Beleuchtung.
Ich saß in meiner Loge vorgebeugt, mit angespannten Muskeln und, wie ich glaube, weit herausquellenden Augen, die lächerliche Verkörperung eines maßlos und über alle Begriffe hinaus Verliebten, der keinen Blick von dem angebeteten Mädchen wendet, als hinge Leben oder Tod daran.
Und schon begann die Eifersucht zu spielen. In der ersten Pause, die mir Zeit dazu ließ, sah ich mich argwöhnisch und feindselig um, und fand, daß die Nachbarlogen sich gefüllt hatten. Gegenüber bemerkte ich ein paar Herren, die ich für Offiziere in Zivil hielt. Sie beteiligten sich lebhaft am Klatschen und warfen der tief sich verneigenden Frau Direktor Blumen, Bonbons und Schokolade zu. Einige sehr ausdrucksvolle Kußhände schienen mehr den Chormädchen und besonders auch meiner Auserwählten zu gelten.
Ich fand dieses Benehmen rücksichtslos und empörend, obwohl ich es in anderen Fällen oft genug selbst so gehalten hatte. Aber an jenem Abend war das alles weit, weit von mir fort, als hätte ich geschlafen und sei plötzlich auf einem anderen Planeten erwacht. Mein ganzes bisheriges Leben erschien mir mit einemmal so fremd, schal, leer. Eine ausgepreßte Zitrone, die ich hinter mich warf! Ich begriff nicht, wie ich so viele Jahre hatte essen, trinken, schlafen, atmen, leben, vegetieren können, da doch meine wahre Existenz soeben erst begonnen hatte! Wie war es nur möglich gewesen, diese unendliche Zimmerflucht aneinandergereihter, gleichförmiger, graugetünchter Lebenstage zu durchwandern, ohne daß je ein Strahl von der Sonne mich beschienen hatte, die jetzt blendend in meine Augen brach und mich mit niegekannter Seligkeit erfüllte? Hatte ich die Stunden, Tage, Jahre meines Daseins bis zu diesem Augenblick nicht heruntergehaspelt, wie eine Betschwester die Perlen ihres Rosenkranzes sinn- und gedankenlos durch die Finger gleiten läßt? Plötzlich aber öffnet sich der Himmel über ihr, das Wunder steigt herab! Da bricht sie in die Knie, weiß nichts mehr, fühlt, sieht nichts mehr, als daß ein Wunder geschah und daß sie jetzt erst lebt, nie vordem gelebt hat!
Ruhe, meine Seele! Fassung, leidenschaftliches und gemartertes Herz, das noch jetzt, so manches Jahr hernach, stärker an seine Wände klopft bei der Erinnerung an den Frühlingsglanz, der an jenem Schicksalsabend in mein herbstelndes Leben kam und durch die Schuld der Sterne und meine eigene nun für immer dahin ist!
Irgendwo habe ich bei einem Dichter einmal gelesen, daß die Liebe, die uns beim ersten Anblick eines Wesens unvorbereitet, unangemeldet, wie eine Naturkatastrophe überfällt, nichts anderes sei, als das blitzartige Rückerinnern an eine frühere Seelenwanderungsexistenz, in der wir mit eben jenem Wesen schon einmal, vielleicht schon viele Male vorher, in Liebe und Haß verbunden gewesen wären. Möglich, daß diese Hypothese den meisten lächerlich und phantastisch erscheinen wird. Man muß sie wohl am eigenen Leibe erlebt und erfahren haben, um sie ganz zu verstehen. Nun denn! Ich, der, wie man sieht, ein Wörtchen in der Sache mitreden kann, ich bin von ihrer Richtigkeit überzeugt. Ich glaube daran wie an mich selbst. Nur werden wir, wenn wir vordem waren, notgedrungen auch nachher sein. Ohne Postexistenz keine Präexistenz, und umgekehrt. Eines bedingt das andere.
Was ich hier erzählt habe und noch zu erzählen gedenke, wäre also nur eine einzelne Phase und Episode aus dem in Ewigkeit währenden Ringen zweier unlöslich auf der Galeerenbank zusammengeschmiedeter Seelen, und ich hätte Chancen, den Kampf zwischen Mann und Weib, in dem ich für diesmal zugrunde gegangen bin, unter anderen Sternen, in fernen Regionen und ungedachten Zeiten noch einmal, vielleicht noch oftmals und dann mit glücklicherem Ausgang zu bestehen.
Die Vorstellung nimmt ihren Fortgang. Die Frau Direktor und ihre Mädchengarde singen, werfen die Beine, teilen Kußhändchen aus und erwidern sie. Der Herr Direktor, ein aufgedunsener Komiker mit einer fettig krähenden Kapaunstimme, sorgt für die Belustigung des Parterres, indem er über seine eigenen Beine stolpert, unter Tischen verschwindet und wieder zum Vorschein kommt, und mit Stühlen zusammenbricht. Die Offiziere gegenüber klatschen immer lebhafter. Sträußchen werden geschleudert, Blicke getauscht. Nach dem vorletzten Bild die pièce de resistance. Der Frau Direktor als Benefiziantin werden, im Auftrag der Offiziere, ein riesiger Lorbeerkranz, ein Pelzmuff und ein Vogelbauer mit einem Harzer Kanarienvogel auf die Bühne gereicht. Der Kanarienvogel beginnt im Lichtschein der Bühne aus voller Kehle zu schmettern, und eine rauhe Stimme aus dem Garten ruft unter schallendem Gelächter dazwischen: „August, kick mal, was die für ’n großen Vogel hat!“
Das Wort schlägt bei mir ein. Ich habe immer die gefährliche Eigenschaft besessen, sogar in der höchsten Aufregung und im stärksten Affekt, mich selbst wie einen Wildfremden beobachten und zerlegen zu können. Während ich also mit dem Publikum mitlachte, sagte ich zu mir: „Und du? Was für einen Vogel hast du? Anstatt wie ein verliebter Primaner dazusitzen und die Kleine da oben auf der Bühne anzuschmachten, wovon sie nichts hat, vielleicht kaum etwas merkt, solltest du dich lieber beeilen, ein Billetdoux hinter die Szene zu schicken und sie zu einer Cliquot bei De Crignis einzuladen, ehe es zu spät wird und vielleicht einer von den Offizieren sie dir wegschnappt.“
Aber indem von der einen Seite der Tatmensch so zu mir redet, flüstert von der andern der Stubenhocker, der Grübler und Zauderer: „Wozu dir einen Korb holen! Das Püppchen hat längst seinen Abnehmer gefunden. Du bist ein Narr! Begnüge dich mit dem Bilde als Bild und frage nicht, ob es von Leinwand oder Pappe ist. Geh hübsch nach Hause und träume davon, und morgen machst du dich aus dem Staube und siehst sie nie wieder. So bleibt sie dir eine Sehnsucht dein Lebelang. Ein holder Klang, vom Wind verweht. Das ist das Höchste, was uns beschieden ist.“
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