„Das hat nichts auf sich“, bemerkt Dagfinn Enge. „Draussen in der Welt hab ich noch ganz andere Sachen gesehn.“ — „Ja, ja — das hast du sicherlich“, nickt Birger und schliesst seinen defekten Mund wieder. — „Und Zähne kannst du dir doch jederzeit einsetzen lassen, soviele du nur willst und Lust hast.“ — „Ja, das könnte ich wohl ...“ — „Und du kannst dir sogar goldene Zähne einsetzen lassen ...“ — „Kann ich das?“ — „Ja, das darfst du mir schon glauben ... Und wenn die Landungsbrücke hier fertig ist, dann musst du selbstverständlich sogleich einen Kramladen starten ... Oder soll denn der gefrässige Haifisch Friesak von Solbö euch alle verschlingen und das gesamte Geld des Strandes in seine Tasche scharren ...? Später musst du noch ein Postkontor bekommen. Und ich soll dich grüssen von Margit ...“
Birger Vaarda wird hiermit glatt überrannt und überwältigt und derart verwirrt in seinem Kopfe, dass er alles untereinandermengt. „Margit — wie?“ murmelt er, wird gefährlich dunkel im Gesicht und beginnt das arme Gras um sich her auszurupfen. „Wie hat sie es denn? Wo lebt sie? — Und denk nur, ich habe doch früher oft mit ihr getanzt ... in der letzten Nacht noch, ehe ihr davonzogt ... O du! Und heute bin ich also derart marode ... Wie aber soll ich ein Postkontor bekommen? Und meinst du es wirklich ernst mit dem Kramladen? — Gott sei mir gnädig! Ich selber wäre doch niemals darauf verfallen ... Ja, wenn du es nun so sagst und ich es recht bedenke ... Aber Zähne! Salze mich — nein! — Neue Zähne ... Nein, du, das geht allerdings nicht ...“ — „Geht es vielleicht nicht?“ — „Verdammt nein! — Die sind wohl so höllisch teuer ... Und ich muss doch jetzt mein ganzes Geld für diese Landungsbrücke hergeben ... Kommt Margit nie wieder heim? — Ach nein, du — das tut sie gewiss nicht ... Sie hat schon längst einen reichen Liebhaber gefunden ...“ Oh, es ist eine heillose Verwirrung in Birgers Kopf entstanden. Er muss jetzt auf die Beine springen und eine Zeitlang rund im Kreise laufen, derart plagen ihn die vielen neuen Gedanken.
Doch wäre auch in dieser Angelegenheit Dagfinn Enge der rechte Mann und wie dazu geschaffen, alles wieder ins sichere Gleise zu bringen. — Fortschritt? Und Möglichkeiten? ... Birger Vaarda muss einen Kramladen beginnen — das steht fest! Warum sollte dieses denn unmöglich sein? „Das wäre noch schöner!“ ruft Dagfinn, ernstlich empört. „Und wenn du Geld brauchst, dann komm nur zu mir!“ — „Ja — aber was denn?“ stottert Birger, setzt sich wieder zwischen die Felsen und fährt fort, das Gras auszurupfen.
Da wird aber Dagfinn Enge von seiner eigenen Grösse hingerissen. „Sieh einmal her, mein Lieber! Hier, diese Uhr zum Exempel — was glaubst du — die wird wohl schon ihren Wert haben. Wieviele von eueren elenden Lochkronen müsstet ihr dafür geben? ... Hahaha! Euer Geld — ihr könnt es ja auf Schnüre ziehen und um den Hals tragen ... Auch die Chinesen haben Geld mit Löchern drin ... Und wenn ich gründlich nachschaue in meinen Taschen, werde ich schon noch ein paar ausländische Scheine für deine Zukunft finden ... Fang du also nur ruhig an mit deinem Handel ...“ — „Soll ich anfangen? — Ich weiss wirklich nicht ...“ — „In des Herrn Namen, mein lieber Kamerad! — Und fühl nur einmal den Deckel ... wie dick er ist, und ganz massiv von Gold ... kenne das Gewicht in deiner Hand! — In Amerika nennt man sie Watsch ...“
„Watsch?“ Birger Vaardas Augen glänzen feucht — Kinderaugen, die ein unbegreifliches Wunder schauen. Wie ungeheuer wuchs doch der Jugendfreund empor. — „Über dem Gangwerk ist eine zweite Glasscheibe ... sie geht auch noch unter dem Wasser ...“ Dagfinn öffnet seine märchenhafte Uhr mit seinem märchenhaften Messer. Und da findet man also wirklich ein Glas. Alles funkelt in der Sonne des Nordens und strahlt Herrlichkeit und Reichtum aus.
„Du hast es gut getroffen, du Dagfinn“, sagt Birger anerkennend. — „Ho — warte nur, bis ich erst meine Kisten und Koffer öffne! ... Und das mit dem Postkontor ist doch die einfachste Sache von der Welt. Zuerst muss man eine Liste machen ...“ — „Nein, du — jetzt versprichst du aber zuviel!“ — „Überlass das mir ... Soll man vielleicht in einem anständigen Kulturland zwei Stunden weit laufen, wenn man einen gewöhnlichen Brief in den Kasten werfen will? Ja, das dürfte nur fehlen ... Überlass es getrost mir, sag ich! — Du solltest nur wissen, wie es in dieser Beziehung dort unten in der Welt steht. Ja, dort unten haben sie einen Briefeinwurf an jedem Haus. Und manche sind rot gemalt, und einige sind sogar vergoldet ...“ — „Unmöglich! — Wieso denn vergoldet?“ — „Du musst doch begreifen, Mensch, dass es in jenen Ländern viel mehr Gold und viel weniger Steine gibt als hier oben bei uns. Und wenn sie vor Überfluss gar nichts mehr anzufangen wissen, dann streichen sie das Gold überall herum ... Ja, ich kann dir sagen — hier bei uns ist noch alles so klein und jammervoll, dass es mich in meiner Seele ganz elend macht. Ich weiss wahrlich noch nicht, ob ich diesen Anblick lange aushalten und ertragen kann ... Ja, vielleicht bleibe ich nur, bis mein Schiff, der Zehntausendtonner, in Hamburg gelöscht und geladen hat — denn es ist doch gar zu erbärmlich, nachdem man all das Grossartige in der Welt draussen erlebt hat, mein Lieber.“
„Du darfst nicht wieder fortreisen!“ ruft Birger schnell und verzweifelt. „Warte nur — mit der Zeit wird es dir bei uns auch wieder besser gefallen.“ — „Das kommt wahrlich sehr darauf an“, seufzte Dagfinn, den Blick in die Ferne gerichtet. Aber bald setzt er wohlwollend hinzu: „Nun, fürs erste bin ich ja noch da — was morgen geschehen wird, weiss niemand. Vieles ist möglich ...“
Birger Vaarda vergass über dem allen seine Landungsbrücke. Nun erhebt er sich. „Komm mit mir hinauf. Ich bin sicher, dass die Mutter schon einen starken Kaffee für uns gekocht hat. Verschmähe es nicht! Es ist ja, bei Gott, nichts, einem Mann, wie dir, das anzubieten. Aber du wirst dich noch erinnern, wie das Leben an diesem Strande geführt werden muss.“ — „Mach dir nur keine Kosten“, entgegnet Dagfinn Enge, immer noch leutselig. „Nein, das ist nicht notwendig, du; denn ich komme ja eben vom Mittagessen.“ — „Wie magst du so etwas sagen, Dagfinn!“
Mutter Inga hatte den feinen Gast schon längst bemerkt. Als Birger die Tür öffnete, strömte auch schon der Kaffeeduft heraus.
„Hast du Papier und Tinte im Haus?“ fragt Dagfinn Enge. „Dann will ich gleich eine Liste schreiben.“ — „Ist es Margits Absicht, ihr ganzes Leben im Süden zu bleiben?“ fragt Birger. „O ja — das will sie sicher, und sie hat uns andern hier oben wohl längst vergessen. Auch Margit wird jetzt an grössere Verhältnisse gewöhnt sein.“ — „Margit? Nein, ich weiss nicht ... Aber wenn du schon davon sprichst, könnte ich ihr ja gelegentlich schreiben. Bring mir noch ein Blatt Papier, sogleich schreibe ich ihr.“
Dagfinn setzt sich hin und schreibt an seine Schwester Margit mit flotten Zügen und vielen Grüssen von Birger Vaarda. Und Nyheimen sei ein grosser Gaard, ungeheuer viel Wildmark gehöre dazu, der ganze Taakefjell. „Was aber den Vater anbetrifft, so kann ich dir nur so viel melden, dass er immer noch der alte und der gleiche ist. Er hat sich nach dir erkundigt; und wenn ich es richtig verstehe, möchte er dich gerne wieder im Hause haben ...“ Dieser Dagfinn Enge war doch von jeher der reine Teufelskerl, wenn es sich darum handelte, mit Worten umzuspringen oder einen Brief aufzusetzen. Nicht für nichts hat er in seiner Jugend die vielen Bücher gelesen.
„Und jetzt musst du selber noch einen persönlichen Gruss dazu setzen“, wendet er sich an Birger Vaarda. „Nein du — soll ich das wirklich?“ fragt Birger überrascht und froh und verzagt zugleich. Schon wieder bekommt er dunkle Wangen. „Am Ende wird sie es übel auffassen — was meinst du? Ja, wenn ich nur wüsste ...“ — „Was bist du doch für ein Feigling geworden!“ scherzt Dagfinn gutmütig. „Früher warst du ein so kecker Bursche — hast jede rechtschaffene Schlägerei mitgemacht.“ — „Ja, früher“, seufzt Birger. „Aber jetzt, wo ich so marode bin ...“
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