Dagfinn richtet sich in seinen neuen Kleidern gar prächtig vor ihnen auf. Sie betrachten ihn. Um sich sogleich noch mehr in Achtung zu setzen, wirft er eine Banknote auf den Ladentisch: „Komm mit einer Rolle Tabak, du Friesack!“ — „Mit einer ganzen Rolle?“ — „Mit der grössten Rolle, die du in deinem Geschäft hast ...“ So gewaltig wurde Dagfinn Enge. Er befasst sich nicht länger mit Kleinigkeiten. Sondern er setzt sich auf den Ladentisch und baumelt mit seinen Beinen, dass alle Welt die gelben Schuhe bewundern kann.
„Was ist das für Geld, du Dagfinn? Soviel ich davon verstehe, muss es ein ausländischer Schein sein“, sagt der Krämer Friesak. „Das dort — ei beim Hunde, das ist natürlich eine Zehndollarnote — da hab ich mich in der Hast vergriffen. In meinen Taschen steckt doch so vielerlei ausländisches Papier, dass ich mich bald selber nicht mehr darin auskenne. Gib ihn nur wieder her, du Friesak — hier sollst du gleich ein paar brave norwegische Kronen mit Löchern haben ... Und ich wundere mich bloss, wie viel Silber noch in diesen Kronen ist, sie sind so schwarz ...“
Grossartig. Der Zehndollarschein geht von Hand zu Hand. Wahrlich dieser Sohn Dagfinn kehrte nicht mit leeren Taschen aus der Ferne zurück.
„Seid so gut — greift zu!“ sagt Dagfinn, strahlend aufgelegt.
Die Tabakrolle wird aufgedreht; auch sie geht von Hand zu Hand. Ein jeder beisst ein gutes Stück davon ab. Oh, es wird schon mehr als grossartig ... Vor einigen kleinen Jahren noch, zur Zeit des Glanzes, wäre in diesem Kramladen kein Mensch vor einer fremdländischen Banknote und einer Tabakrolle in die Knie gesunken; erst später wurden die Leute wieder schlicht in ihren Seelen.
Es hebt alsbald ein grosses Kauen und Spucken an. „Ja, du Dagfinn — du Dagfinn!“ rufen sie und stöhnen vor Wohlbehagen. „Es heisst, in Amerika seien gute Zeiten“, sagt einer. Dagfinn wälzt sich auf dem Ladentisch. Es ist ihm herrlich wohl in der Flut der allgemeinen Aufmerksamkeit und Anerkennung. „Wer das sagt, sagt es nur pro forma! Die Zeiten sind in der ganzen Welt so elend, dass sie überhaupt nicht mehr elender sein könnten ...“ — „Aber du hast doch alle Taschen voll Geld, du Dagfinn ...“ — „Ho — sie sind nicht völlig leer, meine Taschen — nein.“ — „Das kann hier nicht mancher von sich behaupten!“ ruft einer. Hierauf schweigen sie in Zerknirschung.
Bald beginnt Dagfinn aufs neue: „Ich bemerke rundherum am Strande neue Gebäulichkeiten ... Haha — das war doch einmal Mons Bauges Merkurfabrik ...“ „Die ist total kaputt und fertig, mausetot“, lachen sie. „Ohne Maschinen und alles — ein Reich der Schatten und der Ratten.“ Zwar die Spinnerei AG. lebt noch und auch die Ziegelei lebt noch — aber wie ... Nein, das Leben ist nicht länger leicht an diesem Strande ...
„Dass ihr das alles so schnell aus der Hand fallen liesst“, tadelt Dagfinn Enge, indem er seinen Kopf hin und her wiegt, als wisse er selber manchen Rat und Weg, eine Besserung in den Verhältnissen herbeizuführen. Und jetzt holt er endlich die Zigarette vom Ohr und brennt sie an. Es ist wirklich ein hervorragender Anblick, wie Dagfinn so, mit allem Erdenklichen ausstaffiert, auf Friesaks Ladentisch liegt und von Zeit zu Zeit die dicke Golduhr mit dem Deckel funktionieren lässt.
Die Leute vom Solböstrande haben scharfe Augen; wenn sich etwas Neues unter ihnen zeigt, betrachten sie es genau. Sie entdeckten zur rechten Zeit auch die Perlennadel. Und dadurch kamen sie zu Geschichten mit Blut und Schauern im Rücken. An diesem Tage liefen die Menschen wahrlich nicht umsonst im Kramladen zusammen.
Freilich bleiben Menschen überall Menschen — wenn ein anderer im strahlendsten Glück steht, hält es stets schwer, ihm lauteren Herzens den Segen zu gönnen, insbesondere wenn man es selber nicht gut hat. Wenn aber ein Bursche wie Dagfinn mit Geld um sich wirft und fast platzt vor Überfluss, so hält es doppelt schwer. Es war in der Tat ungerecht von der Vorsehung, einem Lügenhals und Windhund sämtliche Taschen mit ausländischen Reichtümern anzufüllen, während hier am Strande mancher ehrliche Familienvater darben sollte. —
Aber sonst — welch ein gesegneter Schwatz! „Noch mehr Tabak, gutes Volk?“ fragt Dagfinn, der Spender. „Nur keine Umstände ... Hol noch eine Rolle her!“ kommandiert er. Kein Mensch wundert sich, dass Dagfinn Enge den mächtigen Krämer duzt und wie seinesgleichen behandelt. „Da kann man es wieder sehn, wohin es manchmal führt, wenn einer in seiner Jugend hinauszieht in die Fremde“, sagen sie und nicken beifällig.
Auf diese höchst angenehme Weise naht die Mittagszeit heran. Dagfinn verfällt auf eine neue Idee und lädt die ganze Gesellschaft zum Essen ein. „Auch du kannst für dieses eine Mal mithalten“, wendet er sich vermessen an Friesak. Aber nein, der Krämer will sich doch nicht so völlig wegwerfen und gemein machen mit allem Volk. „Nein, danke!“ sagt er. Und er sagt es kurz, bestimmt, abweisend.
„Wie du willst“, sagt darauf Dagfinn. „Hast du Kuchen?“ „Ich habe Biskuits.“ — „Und Brauselimonade hast du wohl auch? Komm mit fünf Flaschen ... Komm mit zehn Flaschen!“ — „Zehn Flaschen — jawohl!“ wiederholt Friesak begeistert. „Hast du Eier?“ — „Ganz frische Eier sind da — acht Ör das Stück.“ — „Das ist — der Hund pfeife mir — billig!“ ruft Dagfinn. „Leider, ich für meine eigene Person kann nur die Eier von weissen Hennen vertragen ...“
„Was erzählst du da?“ wundert sich der Krämer mit hoher Stimme. „Wie sollte ich nur die Eier von weissen Hennen herausfinden?“ „Ho — kannst du das vielleicht nicht?“ fragt Dagfinn Enge mit viel Erstaunen in der Stimme. „Nein — ob ich jemals im Leben dergleichen gehört habe ...“, sagt der Krämer. „Komm also her mit deiner ganzen Eierkiste — ich will sie dir schon auslesen helfen.“
Friesak stellt lachend die Kiste auf den Tisch: „Suche nur! He he — welch ein Humbug!“ lacht er. Dagfinn Enge aber nimmt es ernsthaft und sucht gewissenhaft — er sucht die grössten Eier heraus und verteilt sie, rundhändig, wie er ist, an die Gesellschaft. Oh, die Leute von Solbö freuen sich kolossal. Und diesmal lachen sie aufrichtig. „Ist es nun aber auch sicher, dass es nur die Eier von weissen Hennen sind?“ fragt Friesak wütend. „Das ist vollkommen sicher und gewiss“, entgegnet Dagfinn Enge. „Oder willst du nachträglich das Gegenteil behaupten — du, der sie doch gar nicht voneinander unterscheiden kann? ...“ Dagfinn hackt mit einem unerhört feinen Taschenmesser zwei Löcher in die Eierschale und lehrt das Volk vom Solböstrande, wie man in Amerika frische Eier austrinkt.
Hernach spaziert er hinaus zu Birger Vaarda, wo die Landungsbrücke gebaut wird. Birger Vaarda ist doch Dagfinn Enges Jugendfreund. Aber Birger — dieser Jüngling hat zur Stunde keinen andern Gedanken im Kopf als sein grosses Werk. Er wälzt mit Hilfe zweier Taglöhner schwere Steine den Hang hinab.
„Hallo, Birger — alter Knabe!“ ruft Dagfinn welt- und seemännisch schon von weitem. „Hol mich der Teufel — du allein machst in dieser Gegend Fortschritt und Weiterentwicklung. Ja, du bist der einzige am ganzen Strande, der noch eine Hand zu heben wagt ...“ Worauf Birger Vaarda das Hebeisen zur Erde und sich selber auf ein schmales Rasenflecklein zwischen den Felsen sinken lässt. Dagfinn setzt sich neben ihn. Und sie beginnen mit der Unterhaltung. Sie führen Gespräche, wie alte, gute Kameraden, während sie den Fortgang der Arbeit, mit Taucher und Luftblasen, munteren Blickes verfolgen.
„Wie breit und braun du geworden bist!“ staunt Birger Vaarda. „Mich hingegen hat die See auf einmal ganz kaputt gemacht. Und ich gehe jetzt herum und bin marode ...“ — „Sagst du das?“ Jawohl, die gefrässige See hat diesen Birger nicht nur durch ein paar Rippenbrüche gezeichnet, sie schlug ihm auch noch alle oberen Vorderzähne aus. Birger Vaarda öffnet den Mund, lässt die Sonne hinein scheinen und zeigt den erlittenen Schaden dem Jugendfreunde. Eine ganz verteufelte Lücke, mit je einem spitzen Eckzahn auf den Seiten.
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