»Ja Sir, genau das tue ich.« Paul warf David einen Blick zu. »Aber David ist niemals ungezogen, darum kann er auch niemanden täuschen.«
»Das reicht jetzt!«, sagte Dorcas streng. »Ich werde euch einen Teller fertig machen. Ihr könnt euch zu Ivor und Bethany setzen.«
Sobald die Jungen ihren Teller hatten, suchten sie sich einen Platz und begannen hungrig zu essen, während die Erwachsenen ihre Unterhaltung fortsetzten. Bethany zog ihren Hocker so dicht wie möglich an David heran und stellte ihm eine Frage nach der anderen, wobei sie ihn immer am Ärmel zupfte, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen.
Die Erwachsenen blieben noch eine Weile am Tisch sitzen und tranken ihren Tee, während die Zwillinge ihre Mahlzeit beendeten. Plötzlich wurde heftig an die Tür geklopft. Dorcas fuhr nervös zusammen. »Wer schlägt denn da die Tür kaputt?«
»Ich werde nachsehen«, erbot sich Andrew. Er erhob sich, ging zur Tür und öffnete sie. »Ach, Mr Beddows –«
»Mr Wakefield, ich bin wegen Eurer Jungen gekommen!« Saul Beddows trat ein. Er war ein großer, stämmiger Mann von Mitte sechzig, dessen Hände von der Arthritis leicht gekrümmt waren, doch ansonsten war er noch gesund und kräftig. »Es geht um den Diebstahl, den sie begangen haben!«
Andrew starrte den alten Mann an. »Ich verstehe Euch nicht, Sir«, erwiderte er ruhig.
»Ihr werdet sehr schnell verstehen, wenn ich Euch sage, dass einer Eurer Jungen einige meiner Äpfel gestohlen hat.«
»Ich wäre sehr traurig, wenn ich annehmen müsste, dass meine Jungen so etwas tun würden.«
»Ihr könnt ruhig traurig sein, Pastor, denn ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Ich hätte ihn beinahe geschnappt.«
Andrew betrachtete das Gesicht des Mannes. Er wusste, dass Beddows sehr leicht erregbar war, aber er war auch ein gutes, gottesfürchtiges Mitglied der Kirche. Ein wenig schwierig im Umgang vielleicht, doch sehr treu. »Ihr seid sicher, dass es einer meiner Jungen war?«
»Ganz sicher!«
Andrew drehte sich um und rief die beiden Jungen. Als sie neben ihm standen, fragte er leise: »Paul, hast du Mr Beddows’ Äpfel gestohlen?« Es war bezeichnend, dass er Paul fragte, denn nicht in seinen wildesten Träumen konnte er sich vorstellen, dass David so etwas getan hätte.
Paul riss die Augen auf. »Nein, Vater! Ich habe seine Äpfel nicht gestohlen!«
Andrew blinzelte und warf schnell einen Blick auf Dorcas, die nervös mit ihren Händen spielte. Dann wandte er sich an David und stellte ihm dieselbe Frage. »David, hast du Mr Beddows’ Äpfel gestohlen?«
David leckte sich die Lippen. Er hatte befürchtet, dass so etwas passieren würde, und nun waren seine schlimmsten Befürchtungen eingetroffen! Er verfügte über eine sehr lebhafte Fantasie und konnte bereits den Stock auf seinem Rücken spüren. Er wollte seinen Bruder nicht verraten, doch als er murmelte: »Nein, Sir …«, wirkte er sehr schuldbewusst.
»Er war es!«, brummte Mr Beddows. »Seht ihn Euch nur an. Schuldbewusst durch und durch.«
Dorcas stellte sich neben ihre Jungen, die bald so groß sein würden wie sie. Als sie die beiden ansah, wusste sie auf einmal, wie sich der Zwischenfall abgespielt hatte, ohne dass sie dabei gewesen war. »David hat Eure Äpfel nicht gestohlen, Mr Beddows.«
»Aber seht ihn Euch doch nur an! Er hat es getan und muss den Stock zu spüren bekommen.« Beddows ließ seinen Stock durch die Luft sausen. »Ich weiß, Ihr werdet niemals zulassen, dass ich Eure Söhne züchtige, Reverend, aber Ihr würdet sehr in meinem Ansehen sinken, wenn Ihr es nicht selbst tun würdet.«
Andrew fühlte sich schrecklich elend. Er nahm Beddows den Stock aus der Hand und blickte David an, der schuldbewusster denn je dreinblickte. »Es tut mir leid, dies tun zu müssen, David, aber –«
»Ich habe seine blöden Äpfel genommen«, sagte Paul. Er schob das Kinn vor und starrte den alten Mann an. »Ich habe drei Stück genommen. Was ist schon dabei?«
Das Verhalten des Jungen war so herausfordernd, dass die Erwachsenen im Raum entsetzt waren. Paul wusste, dass er gestraft werden würde, doch er hielt den Kopf hoch und zeigte keinerlei Furcht.
»Ich verstehe«, erwiderte Andrew langsam. »Komm mit … aber erst entschuldigst du dich bei Mr Beddows.«
»Ich habe Eure Äpfel genommen, und es tut mir leid, dass Ihr mich erwischt habt«, sagte Paul ohne Reue.
»Paul!« Dorcas war entsetzt. »So solltest du nicht mit Mr Beddows sprechen.«
Aber Paul Wakefield presste die Lippen fest aufeinander und folgte seinem Vater nach draußen. Bald war zu hören, wie der Stock auf den Rücken des Jungen niedersauste. »So etwas habe ich noch nicht erlebt«, sagte John Wesley erstaunt. »Ich fürchte, Euer Sohn ist ziemlich eigenwillig, Schwester.«
»Er hat in der Tat einen sehr ausgeprägten Willen.«
»Er muss gebrochen werden«, erwiderte Wesley sanft. »Auch ich hatte einen sehr ausgeprägten Willen und Gott musste hart mit mir ins Gericht gehen. Ich werde für Paul beten.«
»Vielen Dank, Sir«, erwiderte Dorcas leise.
Als die beiden Jungen später in ihrem Zimmer saßen, sagte David: »Ich habe es dir ja gesagt; du hättest es nicht tun sollen, Paul.«
Paul, der noch immer die Schläge seines Vaters spürte, verzog das Gesicht. »Es hat Spaß gemacht! Ich werde irgendwann abends hingehen und einen ganzen Sack voll holen!«
Die Stockschläge hatten bei Paul keinen Eindruck gemacht. Am folgenden Tag, bevor sein Vater mit Reverend Wesley zu einem etwas weiter entfernten Dorf ging, um dort zu predigen, erhielt er eine weitere Ermahnung. Andrew legte die Hand auf Pauls Schulter und sagte: »Es tut mir leid, dass ich dich schlagen musste, Paul. Das hat mir bestimmt keine Freude gemacht.«
Paul sah seinen Vater an und erwiderte: »Mach dir nur keine Gedanken, Vater. Es war nicht deine Schuld, sondern meine.«
Andrew betrachtete seinen Sohn und meinte nachdenklich: »Ich weiß, es waren nur drei Äpfel und das erscheint dir eine Lappalie zu sein – nur ein Jungenstreich. Ich habe auch solche Streiche gemacht, als ich in deinem Alter war.«
»Tatsächlich, Vater?«, fragte Paul lächelnd und interessiert. »Welche?«
Andrew lachte. »Ich werde dir ein anderes Mal davon erzählen. Alle Jungen machen so etwas.«
»David nicht«, sagte Paul und legte den Kopf zur Seite. »Ich glaube nicht, dass er in seinem Leben jemals geschlagen wurde, dafür habe ich für uns beide Schläge eingesteckt.«
»Vergleiche dich nicht immer mit deinem Bruder. Gott hat euch beide erschaffen«, sagte Andrew sanft. Es hatte ihm wehgetan, Paul mit dem Stock schlagen zu müssen, und ihm war daran gelegen, seinem Sohn dies klarzumachen. »Wir haben viele Gespräche geführt, Paul, und ich weiß, dass du der Meinung bist, ich würde viel von dir verlangen, aber ich mache mir Sorgen um dich. Es waren nur drei Äpfel, aber es war sehr eigensinnig, dich zu weigern, dich bei Mr Beddows zu entschuldigen. Und das hat mir zu schaffen gemacht. Du scheinst kein Gefühl für Recht und Unrecht zu haben.«
»Na ja, wie du schon sagtest, Vater, es waren nur drei Äpfel. Er hat Tausende.«
»Aber es waren seine Äpfel«, betonte Andrew. Und als er bemerkte, wie Paul wieder störrisch wurde, fuhr er schnell fort: »Wir wollen die Sache jetzt auf sich beruhen lassen. Ich werde heute Abend erst sehr spät wiederkommen und Mr Wesley setzt seine Reise fort.«
»Halte ihnen eine gute Predigt, Vater.«
Andrew musste unwillkürlich lächeln. Sein rebellischer Sohn konnte unglaublich charmant sein, wenn er es darauf anlegte. »Vielen Dank, mein Sohn«, erwiderte er. »Ich werde mich bemühen.« Er wollte den Jungen umarmen, aber Paul mochte so etwas nicht besonders. Da Wesley wartete, nahm Andrew seinen Hut und seinen Mantel, und nachdem er sich von seiner Frau und David verabschiedet hatte, ging er. Wesley und er nahmen die Pferde, da es zu dem Dorf, in dem sie erwartet wurden, zu weit zu laufen war. Andrew winkte seiner Familie noch einmal zu, als sie losritten. Wesley sagte: »Ich bewundere deine Familie, Andrew. Du hast eine prächtige Frau. Eine sanfte Frau. Und dein Junge erinnert mich an George Whitefield. Ein so sanfter Geist! Der andere«, fügte er nachdenklich hinzu, »ist anders.«
Читать дальше