Der Sprecher, John Wesley, war fünfzig Jahre alt, neun Jahre älter als Andrew. Mit seinen ein Meter achtundsechzig war John schlank und sein langes kastanienbraunes Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Sein offenes Gesicht mit den vollen Lippen und seiner langen dünnen Nase war häufig Gegenstand von spöttischen Bemerkungen seiner Gegner. Aber dieser Lehrer aus Oxford hatte zusammen mit seinem Bruder Charles England aufgewühlt. Ihre Lehre erschütterte die Grundfesten der anglikanischen Kirche. Die Wesleys hielten jedoch an der etablierten Kirche fest und hofften, dass die Tausende, die sich bei ihnen bekehrt hatten und ihre Gottesdienste besuchten, irgendwie ihren Platz in dieser Kirche fanden.
Jedoch gab es so gravierende Unterschiede zwischen Wesley und der etablierten Kirche, dass John manchmal beinahe verzweifelte, wenn er eine solche Versöhnung sah. Er lehnte sich nun zurück und sagte: »Ich musste gerade an die Zeit denken, als du, Charles und ich nach Savannah gingen.«
»Ich denke auch viel an diese Zeit in Amerika, Mr Wesley.« Andrew Wakefield war durchschnittlich groß und noch immer so schlank wie vor zwanzig Jahren. Sein dunkelblondes Haar war kurz geschnitten und umrahmte seine intelligenten blauen Augen, seine gleichmäßigen Gesichtszüge, die breite Stirn und seinen sehr ausdrucksvollen Mund. Er lächelte Wesley an und seine graublauen Augen funkelten amüsiert. »Ich glaube, wir haben jeden Fehler gemacht, den ein Missionar nur machen kann.«
Wesley runzelte die Stirn, denn er wurde nicht gern an seine Fehler erinnert, aber sein ihm angeborener Sinn für Humor siegte und er lachte. »Du hast recht, Andrew! Wir haben es gut gemeint, aber ich weiß noch, wie ich in mein Tagebuch schrieb: ›Ich bin nach Amerika gegangen, um die Heiden zu bekehren – aber wer wird mich bekehren?‹«
Wesley gegenüber saß ein dritter Mann, Gareth Morgan. Mit seinen knapp zwei Metern Größe und dem vom Arbeiten in den Kohlenbergwerken kräftigen Körperbau war er ein Hüne von einem Mann. Seine schwarzen, lockigen Haare, die dichten Augenwimpern und das ausdrucksvolle Gesicht ließen ihn sehr gut aussehen. Er ergriff das Wort: »Würdet Ihr gern wieder nach Amerika gehen, Mr Wesley?«
»Das würde ich allerdings! Aber das ist wohl nicht nötig«, bemerkte Wesley nachdenklich. »George Whitefield hat Amerika zu seinem Missionsfeld erklärt.«
»Ich habe gehört, dass dort Großes geschieht«, meinte Andrew.
»Er ist der beste Prediger, den ich je gehört habe«, erwiderte Wesley. Er hielt inne und fügte dann hinzu: »Und er hat auch ein sehr sanftes Wesen.«
Gareth und Andrew sahen sich an, denn sie wussten sehr wohl, dass Wesley und Whitefield sehr heftige Auseinandersetzungen in Bezug auf ihre Auslegung der christlichen Lehre geführt hatten. Sie sagten nichts, aber Wesley fing ihren Blick auf und sprach weiter. »Sicher, George und ich hatten über bestimmte Punkte unsere Differenzen … aber trotzdem bewundere ich seinen Charakter und seine evangelistischen Fähigkeiten.«
»Ich glaube, in Bezug auf George habt Ihr recht. Ich erinnere mich, wie er mich unterstützt hat, als ich in Oxford war«, bemerkte Andrew.
Gareth fügte hinzu: »Wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich sicher aufgegeben und wäre nach Wales zurückgekehrt.«
Die drei Männer unterhielten sich noch eine Weile, bis Wesley schließlich zu Andrew sagte: »Wie hast du es geschafft, in der anglikanischen Kirche zu bleiben, Andrew? Das konnte ich nie verstehen. Ich darf in keiner Kirche in London predigen.«
Andrew schüttelte den Kopf. »Ich glaube, sie kennen mich nicht besonders gut. Dies ist eine so kleine Gemeinde in einem kleinen Pfarrbezirk. Soweit ich weiß, verkündige ich dasselbe Evangelium wie Ihr, aber sobald Euer Name genannt wird, gerät alles in Aufruhr.« Er lachte über seine eigenen Worte. »Dieses Leben gefällt mir. Ich war nie dazu bestimmt, eine große Rolle im Drama dieser Welt zu übernehmen.«
»Du bist des Herrn Diener hier in Cornwall, und ich bin Gott dankbar, dass du noch immer der Kirche von England angehörst.« Wesleys Worte verklangen, während er wehmütig aus dem Fenster sah. »Ich möchte keine Teilung«, fuhr er fort. »Ich habe nicht die Absicht, irgendjemanden der Kirche von England zu entfremden.«
Gareth wartete, bis Wesley fertig gesprochen hatte. »Ich glaube, dies ist Euch von Gott in den Weg gestellt worden, Sir«, meinte Gareth. »Ich habe es zwar nie miterlebt, aber ich habe oft gehört, dass Ihr, wenn man Euch nicht erlaubte, in Eurer kleinen Kirche in Epworth zu predigen, nach draußen gegangen seid und vom Grabstein Eures Vaters aus gepredigt habt.«
Wesley lachte. »Ja, das habe ich tatsächlich getan. Vielleicht steckt doch ein klein wenig Arroganz in mir. Ich bin ziemlich anfällig für solche Dinge.«
»Sagt so etwas nicht«, meinte Andrew schnell. Er liebte John und Charles Wesley von ganzem Herzen, und häufig war er versucht gewesen, aus der etablierten Kirche auszutreten und sich Wesley anzuschließen, wie Gareth es getan hatte. Aber irgendwie hatte Gott ihm gezeigt, dass sein Platz in der Gemeinde in Cornwall war. Er sprach seine Gedanken aus. »Ich denke, dass auch ich eines Tages aus der Kirche von England austreten werde, aber bis dahin werde ich hierbleiben. Die Leute haben alles, was ich weiß, schon hundertmal gehört.«
»Sie brauchen nichts anderes zu hören als Jesus«, sagte Wesley auf einmal. »Wenn du ihnen von ihm erzählst, Andrew, wie du es sicher tust, dann hören sie, was sie hören müssen.«
Gareth blickte auf, als seine Frau die Tür öffnete. »Was ist, Sarah?«
»Das Essen ist fertig.«
Die drei Männer erhoben sich sofort und Wesley verließ das Arbeitszimmer als Erster. Als sie das Esszimmer betraten, fragte Andrew: »Wo sind die Jungen?«
»Sie sind von ihrem Tutor noch nicht nach Hause gekommen«, erwiderte Dorcas. »Wir werden ohne sie anfangen. Ich bin sicher, sie werden bald kommen. Mr Wesley, wenn Ihr Euch vielleicht hierher setzt …« Mit den fünf Erwachsenen um den Tisch wirkte das Zimmer noch kleiner.
Dorcas hatte eine ausgezeichnete Mahlzeit zubereitet. Auf dem Tisch standen Schüsseln mit den köstlichsten Speisen: ein gebackener Fisch, ein schmackhaftes Stew, eine Platte mit einem knusprig gebratenen Hühnchen, Schüsseln mit Brotpudding, gewürzt mit Korinthen und Muskatnuss und eine große Schüssel geschnittener Äpfel mit Kürbisstreifen.
»Ihr seid vielleicht der Ansicht, dass Cornwall ein hartes Pflaster ist«, bemerkte Wesley. »Ich frage mich –«
Die Tür flog auf und die Zwillinge stürmten herein.
»Ihr seid spät!«, sagte Dorcas streng.
»Mr Cummings hat uns länger als gewöhnlich beim Schreiben festgehalten, Mutter«, erklärte Paul höflich.
»David!« Bethany, die neben ihrem Bruder Ivor in einer Ecke des Zimmers auf einem Hocker saß, sprang nun auf und rannte durchs Zimmer zu David. Die Erwachsenen konnten David und Paul häufig nicht auseinanderhalten, doch Bethany Morgan hatte mit ihren drei Jahren diese Probleme nicht. Instinktiv schien sie David zu erkennen, weil er mehr Zeit mit ihr verbrachte als sein Zwillingsbruder und mehr auf sie einging. Bethany klammerte sich an ihn und bettelte: »Liest du mir was vor?«
»Nachher, Bethany«, erwiderte David liebevoll. Er bückte sich und gab ihr einen Kuss.
»Nun kommt, wir haben euch noch ein wenig Fisch und vielleicht einen Hühnchenschenkel übrig gelassen. Wollt ihr Mr Wesley nicht begrüßen?«
Gehorsam begrüßten beide Jungen den Besucher. »Ihr gleicht einander wie ein Ei dem anderen«, meinte Wesley erstaunt. »Wie kann man euch nur auseinanderhalten?«
»Ich bin der Böse, Mr Wesley«, sagte Paul mit einem schelmischen Grinsen. »David ist der Gute.«
Wesley lachte leise und meinte: »Dann brauchst du also nur lieb zu sein, und deine Eltern werden glauben, du bist der Gute?«
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