Anny von Panhuys - Um Gold und Glück

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Wie viel kann man für das eigene Glück riskieren? Mit dieser Frage beschäftigt sich dieser liebevoll geschriebene Roman von Anny von Panhuys. Die junge, hübsche Trude Berger kann sich mit dem Nähen von Kleidungsstücken für die Nachbarschaft gerade so über Wasser halten. Gerne würde sie hübsche Kleider und teuren Schmuck tragen. Doch das ist ein Traum, den sie sich wohl niemals wird erfüllen können. Oder vielleicht doch? Durch eine Verwechslung gelangt Trude an einen Brief, der eigentlich für ihre Mitbewohnerin Charlotte Bürger bestimmt ist. In diesem Schreiben bietet Charlottes wohlhabender Vetter der Cousine im Namen ihres Onkels an, zu ihnen zu ziehen. Denn Charlottes Cousine ist verstorben und der Onkel wünscht sich Charlotte als nahe Verwandte und Trost bei sich. Doch Trude will der Mitbewohnerin dieses Glück nicht gönnen und schmiedet einen Plan: Sie such die Familie auf und gibt nun sich selbst als Charlotte Bürger aus. Wird dieser Betrug auffliegen? Ein spannender Roman, der uns zeigt, dass das Glück jedem gehört und am Ende doch immer das Gute und die Liebe siegt.-

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Anny von Panhuys

Um Gold und Glück

Roman

Saga

Um Gold und Glück

© 1937 Anny von Panhuys

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711570111

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com

I

Trude Berger warf das wollene Kinderkleidchen, an dem sie noch eben emsig genäht hatte, in einem Anfall ganz schlechter Laune auf den Fußboden.

Es war gräßlich, so von morgens bis abends an der Nähmaschine sitzen zu müssen und für die Hausbewohner und die Frauen und Kinder der Nachbarschaft Blusen und Kleider zu nähen, nur um sich von der kargen Bezahlung notdürftig ernähren zu können. Wirklich nur notdürftig. Die Leute, die hier im östlichsten Osten Berlins wohnten, mußten mit jedem Groschen rechnen, die handelten um jedes Fünfpfennigstück.

Es klingelte draußen an der Korridortür. Anscheinend war die Inhaberin der Wohnung, Frau Klockow, nicht zu Hause, denn das Klingeln wiederholte sich.

Trude Berger verließ ihr schmales, nach dem Hof zu gelegenes Zimmer und überzeugte sich durch das Guckloch der Korridortür, wer draußen stand. Sie sah eine Postmütze und öffnete.

„Wohnt hier Fräulein Bürger?“ fragte sie ein Briefträger. Er sprach ein bißchen leise. Es war ein älterer, kränklich aussehender Mann.

Das junge Mädchen verstand anstatt „Bürger“ ihren eigenen Familiennamen „Berger“, und erwiderte hastig: „Die bin ich selbst.“

Sie nahm den Brief mit einer gewissen Erregung in Empfang. Wer schrieb an sie?

Sie vermochte es sich wirklich nicht zu denken, denn sie kannte niemand, der Interesse daran hatte, ihr zu schreiben. Verwandte besaß sie nicht mehr, sie stand mutterseelenallein in der Welt, und auch sonst fiel ihr niemand ein, der ihretwegen die Feder angesetzt haben könnte. Sie hatte keinen Freund, keinen Schatz, trotzdem sie doch hübsch war. Hübscher als manche andere, die nicht so fleißig war wie sie.

In ihrem Stübchen angekommen, riß sie mit der Spitze einer Schere den länglichen Briefumschlag auf und entfaltete den ziemlich großen Bogen.

Sie las zuerst „Frankfurt am Main“ sowie das Datum des vergangenen Tages, und dann: „Sehr verehrtes Fräulein Bürger, oder richtiger, liebe Kusine Lotte!“

Trude Berger ließ das Papier, ohne weiterzulesen, in den Schoß sinken. Na, da hatte sie ja eine nette Unannehmlichkeit für sich heraufbeschworen. Der Brief war gar nicht für sie bestimmt.

Sie betrachtete jetzt erst den Umschlag, den sie vorhin so überschnell geöffnet. Da stand ganz deutlich die Adresse: „Fräulein Charlotte Bürger.“

Trude hätte am liebsten geweint. Sie war heute gerade schon verstimmt genug, sie konnte Ärger entbehren.

Also Lotte Bürger gehörte der Brief! Lotte Bürger bewohnte ebenfalls ein Zimmer bei Frau Klockow. Aber eins nach der Straße zu. Sie war Klavierlehrerin und fast den ganzen Tag auf den Beinen, um ihren billigen Unterricht zu erteilen. Sie war elternlos, wie sie selbst. Von dem Geld, das sie mühsam verdiente, sparte sie sich noch die Miete für ein Klavier ab und nahm Gesangstunden, weil ihr von mehreren Seiten versichert worden war, sie besitze eine ungewöhnlich schöne Stimme.

Trude Berger beruhigte sich etwas über ihr Mißgeschick, lächelte mit einer Beimischung von Spott. Jetzt war es schon ganz gleich, jetzt konnte sie den Brief auch ruhig zu Ende lesen, denn die etwas merkwürdig anmutende Briefanrede hatte ihre Neugier angeregt.

Sie riegelte für alle Fälle die Tür ab. Man konnte nicht wissen, vielleicht kam Frau Klockow von ihren Morgeneinkäufen zurück und zu ihr ins Zimmer, wie sie es manchmal tat.

Nun setzte sie sich und las, nachdem sie noch einmal die Überschrift angesehen, das Folgende:

„Zuerst stelle ich mich vor, wie das wohl nötig ist. Ich, der Schreiber dieses Briefes, heiße Lothar Bürger, bin der Sohn von Ihrem Onkel Hubert Bürger, an den sich Ihr Vormund nach dem Tode Ihrer Eltern wandte durch Vermittlung der Behörden, die seinen Aufenthalt auskundschafteten. Vater, obwohl reich, lehnte damals schroff ab, Ihnen irgendwie zu helfen. Es spielte da eine alte Geschichte zwischen meinem Vater und dem Ihren. Eine Geschichte, die meinen Vater aus Deutschland fortgetrieben, die ihn hart gemacht.

Vor kurzem starb nun meine einzige Schwester. Sie war jünger als Sie, und dem Vater fehlt sie überall, mir auch. Meine liebe Mutter ist schon länger tot. Ich mußte jetzt aus geschäftlichen Gründen für meinen Vater nach Deutschland, und da schrieb er mir, ich solle Erkundigungen nach Ihnen einziehen, und wenn diese gut ausfallen würden, Ihnen den Vorschlag machen, zu uns zu kommen, er wolle Ihnen den Platz meiner toten Schwester Charlotte geben.

Wir wohnen in Tyssa, das früher deutsch-böhmisch war, jetzt zur Tschechoslowakei gehört. Ich ließ durch ein gutes Detektivbüro die gewünschten Erkundigungen einziehen und kann Ihnen danach jetzt den Wunsch und Vorschlag meines Vaters unterbreiten.

Erst wollte ich sofort zu Ihnen reisen, aber ich überlegte mir dann, es wäre wohl besser, Sie vorzubereiten, damit Sie bis zu meinem persönlichen Kommen Zeit haben, sich alles zu überlegen. Ich kann mir ja denken, daß Sie sich gar nicht so schnell zu einem ‚Ja‘ werden entscheiden können, weil mein Vater vordem jede verwandtschaftliche Unterstützung verweigerte. Aber wir wollen darüber sprechen, wollen uns, wenn ich dort sein werde, kennenlernen. Ich werde noch einige Tage, vielleicht eine Woche, hier in Frankfurt zu tun haben und mir erlauben, Sie dann zur persönlichen Rücksprache zu besuchen.

Antworten Sie mir ein paar Zeilen, ob Sie mich erwarten. Ich wohne hier im Hotel Bristol. Ich hoffe, Sie werden nicht nachtragend sein, und freue mich schon darauf, Sie kennenzulernen. In der Erwartung einer baldigen Antwort, grüßt Sie vielmals Ihr Cousin

Lothar Bürger.“

Truder Berger faltete den Brief wieder zusammen, und ihr schmales Gesicht färbte sich mit der Röte des Neides. „Welch ein Glück diese Klimperliese hat!“ durchfuhr es sie.

Der Briefschreiber erwähnte, daß sein Vater reich sei. Reich! Trude Berger empfand das Wort förmlich körperlich. Für sie gab es nichts Schöneres, nichts Erstrebenswerteres auf der weiten Welt als Reichtum.

Lotte Bürger würde nun in ein Haus des Reichtums kommen, und sie mußte hier weiter die Maschine treten, um für allerlei armselige Menschen armselige Blusen und Kleider zu nähen. Wenn es hoch kam, heiratete sie später irgendeinen Mann aus dem östlichsten Osten Berlins, so einen, der im Tagesfrondienst schaffte. Und nebenbei durfte sie weiter Maschine treten, treten, treten, treten bis an ihr Ende. Herrgott, warum hatte sie kein solches Glück wie Lotte Bürger?

Trude Berger faltete die Hände zu Fäusten. Ach was, sie gab den Brief gar nicht ab. Lotte Bürger wußte nichts davon, und Frau Klockow auch nicht, und wenn dieser Herr da in Frankfurt keine Antwort erhielt, nahm er wohl an, seine Cousine, an die man sich so plötzlich erinnerte, wollte nichts mehr von seiner Familie wissen.

Sie gönnte einer anderen kein Glück! Mochte sich Lotte Bürger nur so weiter plagen wie bisher. Ordentlich wohl war ihr bei dem Gedanken, die Macht in Händen zu halten über das Geschick eines anderen Menschen.

Nein, den Brief würde sie nicht aushändigen. Sollte wider Erwarten dieser Lothar Bürger eines Tages selbst antreten, so konnte sie das allerdings nicht verhindern, dann würde man eben annehmen, der Brief wäre verlorengegangen. Aber wahrscheinlich kam er nicht, glaubte, seine Cousine antworte absichtlich nicht.

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