Wer war der älteste Nationalspieler?
Im Frühjahr 2014 vermeldeten die Nachrichtenagenturen, dass ein 20 Jahre alter Rekord gefallen war. Seit der WM 1994, an der er als 42-Jähriger für Kamerun teilnahm, galt Roger Milla als ältester Nationalspieler eines afrikanischen Landes. Doch am 13. April 2014 lief der Stürmer Kersley Appou im Alter von 43 Jahren und 354 Tagen für Mauritius gegen Mauretanien auf und stieß Milla sozusagen vom Sockel. Als die BBC dies meldete, fügte sie hinzu, dass Appou damit „nicht an MacDonald Taylor Sr. von den Amerikanischen Jungferninseln heranreicht, der mit 46 Jahren und 217 Tagen den Weltrekord hält“.
Doch hier war die BBC ungenau. Zwar hält Taylor Sr. seit 2004 den Rekord für den ältesten Spieler, der an einem Qualifikationsspiel zur WM teilnahm, doch wenn es um gewöhnliche Länderspiele geht, dann liegen noch einige Kicker vor ihm. Einer von ihnen kommt sogar aus Europa und nahm an einer EM-Endrunde teil: der Grieche Georgios Koudas. Als er am 20. September 1995 sein 43. und letztes Länderspiel bestritt, war er 48 Jahre und 301 Tage alt. (Und das war, noch bevor Otto Rehhagel griechischer Nationaltrainer wurde, der ja gerne auf erfahrene Spieler setzte!)
Vor Koudas liegt nur noch ein Mann namens Richard Barrie Dewsbury, der im Alter von 52 Jahren bei den „Island Games“ für die Kanalinsel Sark spielte. Bei dem Turnier handelt es sich um einen Wettbewerb unter autonomen Inseln wie Jersey oder Guernsey, aber auch Gibraltar oder den Färöern. Im Gegensatz zu den letzten beiden Teams ist die Fußballauswahl von Sark nicht Mitglied der UEFA oder der FIFA. Es bleibt also dem Leser überlassen, ob er Dewsbury als ältesten Spieler akzeptiert oder diese Ehre lieber Koudas zugesteht.
Über den ältesten deutschen Nationalspieler herrschte übrigens kurzzeitig Verwirrung. Als der kicker 2008 das Sonderheft 100 Jahre Deutsche Länderspiele veröffentlichte, landeten zwei Spieler in der Liste der ältesten Akteure vorne, bei denen das falsche Geburtsjahr zugrunde gelegt worden war (Hermann Lux und Erich Pohl). So ist der deutsche Fußball-Methusalem in Wahrheit Lothar Matthäus, der mit 39 Jahren und 91 Tagen zum letzten Mal das Adlertrikot trug.
Welcher Fußballer kam am weitesten herum?
Der englische Torwart John „Budgie“ Burridge ist in seinem Heimatland für eine Menge Dinge bekannt. So spielte er Anfang der 1980er Jahre zum Beispiel einmal für die Wolverhampton Wanderers gegen Newcastle United in einem Superman-Kostüm. (Er tat das, um eine Wette mit Kevin Keegan zu gewinnen. Der Schiedsrichter meinte, er habe keine Einwände, solange Burridges Outfit den Regeln entsprechend deutlich von den Trikots der Feldspieler zu unterscheiden sei. Und das war es weiß Gott.) Vor allem aber spielte der Keeper in seiner langen Karriere für 29 verschiedene Klubs, davon nicht weniger als 15 im englischen Profifußball.
Diese 15 waren: Workington Town (1969-71), FC Blackpool (1971-75), Aston Villa (1975-78), Southend United (1977-78), Crystal Palace (1978-80), Queen’s Park Rangers (1980-82), Wolverhampton Wanderers (1982-84), Derby County (1984), Sheffield United (1984-87), FC Southampton (1987-89), Newcastle United (1989-91), FC Scarborough (1993), Lincoln City (1993/94), Manchester City (1994-95) und FC Darlington (1995/96).
Burridges Wanderlust war so groß, dass er auch in Schottland spielte, und zwar für den FC Aberdeen, FC Dumbarton, FC Falkirk, Hibernian Edinburgh und Queen of the South (ein Klub aus Dumfries). Nachdem er seine Handschuhe an den Nagel hängte – und eine schwere Depression überstand –, wurde er Torwarttrainer im Oman und entdeckte Ali Al-Habsi, der später in Europa spielte, etwa für Lyn Oslo und Wigan Athletic. Al-Habsi sagte mal: „Nach Gott ist John Burridge die wichtigste Person.“
Und doch wirkt Burridge geradezu bodenständig, wenn man ihn mit Deutschlands Antwort auf Jules Vernes Weltumrunder Phileas Fogg vergleicht. Die Rede ist natürlich von Lutz Pfannenstiel. Der gebürtige Niederbayer sieht zwar ein wenig aus, als habe er eine Karriere als Rock-Gitarrist oder Pornodarsteller hinter sich, doch er ist der einzige Mensch, der von sich sagen kann, in allen sechs Kontinentalverbänden der FIFA als Berufsfußballer aktiv gewesen zu sein, also in Afrika, Asien, Europa, Nordamerika, Ozeanien sowie Südamerika.
Pfannenstiel, der nur im U-17-Bereich Nationalspieler war, begann seine wendungsreiche Karriere als Torwart in Bad Kötzting, einem Kneippheilbad östlich von Regensburg, unweit der tschechischen Grenze. Nur drei Jahre später, da war er gerade 20, wechselte Pfannenstiel, der unbedingt so schnell wie möglich Profi werden wollte, ans andere Ende der Welt, zu Penang FA in Malaysia. Dort blieb er zwar nur sieben Monate, aber die Blaupause für sein Nomadenleben war damit erstellt: In den knapp 20 Jahren, die Pfannenstiel zwischen den Pfosten verbrachte, war er bei mindestens 27 Vereinen in 14 verschiedenen Ländern unter Vertrag, darunter die Orlando Pirates (aus Johannesburg in Südafrika), Dunedin Technical (ein neuseeländischer Klub), die Calgary Mustangs (Kanada) und Atlético de Ibirama (Brasilien), womit er alle FIFA-Kontinentalverbände abgeklappert hatte. Übrigens lautet der korrekte Name des Klubs aus Ibirama „Clube Atlético Hermann Aichinger“. Er wurde nach dem österreichischen Architekten benannt, dem der Verein sein Stadion zu verdanken hat.
Mit der Mischung aus Neugier und Gottvertrauen, die man eher mit Entdeckern des 19. Jahrhunderts verbindet, hütete Pfannenstiel in Albanien, Armenien oder Namibia das Fußballtor und wurde unter dem Verdacht der Spielmanipulation in Singapur festgenommen – obwohl er das fragliche Spiel gewonnen hatte. („Der Staat sorgte sich um sein Saubermann-Image und brauchte Erfolge“, schreibt Pfannenstiel in seiner Autobiografie. „Ich wurde in einem völlig lächerlichen Prozess zu einer Haftstrafe verurteilt.“ Er teilte sich eine Zelle „mit zehn Drogenschmugglern, Mördern und Vergewaltigern“.)
In der Ukraine kam er vermutlich mit der russischen Mafia in Kontakt, weshalb er bis heute verschweigt, für welchen Verein er dort spielte. „Vor dem Klub, bei dem ich dort war, vor dem habe ich einen Heidenrespekt, ja sogar Angst“, sagte er vor einigen Jahren der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung . „Das war alles ziemlich rau dort, und ich bin sehr froh, dass ich da heil rausgekommen bin.“
Fußball gegen den Klimawandel. Weltenbummler Lutz Pfannenstiel im Trikot des Global United FC.
Trotz all seiner Stationen schaffte Pfannenstiel nie in einer der großen europäischen Ligen den Durchbruch. Am nächsten kam er einer „richtigen“ Karriere wohl in England, wo er zunächst beim FC Wimbledon unter Vertrag stand und dann Ersatzkeeper bei Nottingham Forest war. Doch Bekanntheit erlangte er in England nicht etwa wegen seiner Fangkünste, sondern weil er bei einem Spiel mit dem Fünftligisten Bradford Park Avenue an Weihnachten 2003 mit einem Gegner zusammenstieß, das Bewusstsein verlor und dreimal durch Mund-zu-Mund-Beatmung wiederbelebt werden musste.
Das war wahrscheinlich die gefährlichste Erfahrung seiner Karriere, die wohl enttäuschendste machte er ausgerechnet in seinem Heimatland: Sein Engagement beim Regionalligisten Wacker Burghausen brach er 1999 ab, weil seine indonesische Freundin von Rassisten bedroht wurde. „Am Anfang habe ich gedacht, das ist ein Witz. Oder dass irgendein Wahnsinniger versucht, etwas Spaß zu haben“, sagte Pfannenstiel in einem Interview. „Das Ganze wurde jedoch von Woche zu Woche schlimmer und später auch ein Fall für die Kriminalpolizei.“ Er packte seine Koffer und zog mit seiner Familie nach Singapur. (Wo er dann, wie schon erwähnt, im Knast landete.)
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