„Du hast den Fernseher angemacht? Du kannst die Stimmung mal so richtig versauen.“
„Ja, oder vielleicht versaust du die gemütliche Stimmung mit deiner ewigen Sauferei und Telefonitis“, entgegnete Line.
„Wenn du jetzt so kommst, habe ich kein´ Bock hier zu sitzen.“
Line unternahm nicht mal den Versuch, ihn aufzuhalten. Sie wusste, wo er hinging. In seine Stammkneipe auf der Ecke, wo er Billard spielen und trinken konnte, ohne sich das Gerede von „meckernden Weibern“ anzuhören.
„Ja, dann hau doch ab“, sagte sie und wartete, dass er sich erhob. Aber das tat er zu ihrer Überraschung nicht.
„Nein, lass uns wieder lieb miteinander sein“, sagte er stattdessen. „Kannst du nicht ein wenig runterkommen, sodass wir einen gemütlichen Abend haben? Ich hatte einen harten Tag auf Arbeit.“
Here we go again, dachte Line und nahm das Glas Rotwein, das er ihr reichte, entgegen. Als Mikkel um 9.00 Uhr nach Hause kam, Lucas Mutter hatte ihn gefahren, war Jonas besoffen und Mikkel gegenüber überschwänglich. Während Line schon Zähne putzte, konnte sie Jonas hören, wie er Mikkel von seiner Trekkingtour mit Per und dessen großem Bruder durch Schweden erzählte. Sie ließ die beiden in der Küche sitzen, wohlwissend, dass Jonas in diesem Zustand nicht die beste Gesellschaft für ihren Sohn war, aber sie war einfach zu müde, Mikkel ins Bett zu schicken. Sie ging ins Schlafzimmer und fiel todmüde in den Schlaf.
Kapitel 9
Es war wieder so weit. Ich merkte mein stärker werdendes sexuelles Verlangen wie ein unwillkommenes Summen im Körper und wusste, ich musste es befriedigen. Oder besser befriedigen lassen.
Ich nahm mein Telefon hervor und rief die Nummer an, die ich unter S gespeichert hatte. S wie Sex. S für Sabrina. Sabrina in der Grünen Straße ließ mich immer ein und wandte mir ihren kleinen, strammen Hintern zu. So konnte ich mein Glied in sie stoßen, ohne, dass dabei anderer Körperkontakt vonnöten gewesen wäre.
Ich bekam einen Termin und fuhr mit dem Zug in die Stadt, dann musste ich meinen Wagen nicht vor dem Bordell am Hafen stehen lassen.
Ich klingelte, es wurde geöffnet und eine halbe Stunde später waren sowohl mein Geldbeutel als auch meine Hoden erleichtert. Einmal 800 Kronen. Und eine Ladung angestautes Sperma. Und ich selbst war zugleich ruhig und rasend.
Der Körper war ruhig. Das Gemüt rasend. Gedemütigt. Leer. Einsam. Es fehlte etwas. Ich hatte Freundinnen gehabt, das hatte nur nie lange gehalten. Sie drängten sich auf, wollten ein Teil meines Lebens sein. Wollten bestimmen, kamen mit gutgemeinten Vorschlägen und arrangierten Unternehmungen, an denen ich gar nicht teilnehmen wollte.
Die wollten Kinder. Und neue Gardinen. Und sonntags die Familie zum Kaffee einladen. Dann lieber allein sein. So geht es mir am besten. Trotz der Einsamkeit und dem Gefühl, dass mir etwas Wichtiges entgeht.
Kapitel 10
Am Mittwoch, den 9. März, gab es neue Informationen im Fall der vermissten Zwillingsmädchen aus Fredensborg. Ein 32-jähriger Mann aus Humlebæk rief um 17.33 Uhr die Polizei Nordseeland an und erzählte, er habe am Dienstag, den 1. März, um kurz vor halb zehn abends zwei Teenagermädchen gesehen, auf die die Beschreibung von Nanna und Nikoline passte. Die Wachthabende nahm den Anruf entgegen.
„Ich heiße Jan Sörensen und habe Informationen zu den vermissten Mädchen.“
Die Polizistin, die gerade an einem Kreuzworträtsel gesessen hatte und eine Tasse grünen Tee mit Pfefferminzgeschmack vor sich stehen hatte, griff nach einem Block und Kugelschreiber, um die Angaben des Mannes aufzuschreiben. Zuallererst dachte sie, dass all das wenig hilfreich sei und der Anrufer nur Aufmerksamkeit erregen wollte, schließlich waren bereits acht Tage vergangen, seitdem die Mädchen verschwunden waren. Dennoch musste sie Nachfragen stellen, um herauszufinden, ob er nicht doch mit nützlichen Informationen für die Nachforschungen aufwarten konnte. Sie nahm seine Daten auf und bat ihn fortzufahren.
„Ich war auf dem Heimweg von meiner Freundin in Tikøb, ich musste früh raus, um einen Flug nach Schottland zu bekommen. Darum bin ich bei meiner Freundin um kurz vor 9 Uhr losgefahren und habe noch einen Zwischenstopp bei meinem Bruder im Endrupweg gemacht, um mir einen Schlafsack zu holen. Das dauerte einige Minuten und dann bin ich von da wieder losgefahren. Ich sah zwei Mädchen, die ihre Fahrräder schoben auf dem Weg in Fredensborg, wo dieser Taxifahrer wahrscheinlich auch das Handy gefunden hat.“
„Ecke Wäldchenhügel und Christ Boecksweg?“
„Ja, also ich kenne die Straßennamen nicht, aber die Mädchen gingen am Wegesrand. Das war kurz, nachdem ich aus dem Kreisel gefahren kam.“
„Wie spät war es?“, fragte die Polizistin und nahm einen Schluck von ihrem Tee.
„Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber ich bin um kurz vor 9 Uhr bei Tina losgefahren, also war ich so gegen kurz nach bei meinem Bruder. Er gab mir den Schlafsack und wir haben noch kurz gequatscht. Dann bin ich los… Es wird so ungefähr Viertel nach gewesen sein, als ich die Mädchen sah.“
„Also 21.15 Uhr?“, präzisierte die Polizistin.
„Ja, ungefähr“, sagte Jan Sörensen und erklärte, dass er die ganze Woche durch Schottland gewandert sei. Er wäre um 13.30 Uhr in Kastrup gelandet, heimgefahren und hätte am Computer die Nachrichten der letzten Woche gelesen. Darum riefe er so spät an.
Die Wachthabende schätzte Jan Sörensens Angaben als glaubwürdig und wichtig ein. Außerdem hatte sie während des Gesprächs seine Personennummer überprüft und nichts gefunden. Sie sagte ihm, dass sie ihm Beamte für eine formelle Zeugenaussage vorbeischicke.
„Okay, ich bin zu Hause“, antwortete Jan Sörensen und legte auf.
Daheim in dem kleinen, zweistöckigen Fischerhaus, das er von seiner Mutter geerbt hatte, die fünf Jahre zuvor verstorben war, öffnete Jan Sörensen die Fenster in der Stube und genoss den frischen Wind, der ihm entgegenschlug. Er konnte das leise Plätschern des ziemlich ruhigen Öresunds hören, der auf der anderen Straßenseite lag und leise an den schmalen Strand schlug.
Jan Sörensen legte Holz in den Ofen und heizte ihn ein. Er machte auch einige Teelichter an und setzt Kaffee auf. Er hatte keine Milch im Kühlschrank. Er brauchte selbst keine und hatte keine Gäste erwartet. Wenn seine Freundin kam, sorgte er immer dafür, dass er Milch da hatte für ihren Kaffee und ihr morgendliches Müsli. Die tolle Tina aus Tikøb, die er über eine Datingseite vor einem halben Jahr kennengelernt hatte. Er musste lächeln und fühlte sich wie der glücklichste Mann auf Erden. Morgen würde Tina nach der Arbeit zu ihm kommen. Heute Abend war sie auf dem Geburtstag ihrer Mutter in Næstved und schlief dort. Aber glücklicherweise hatte sie am nächsten Tag früh Feierabend, also wäre sie bereits gegen 3.00 Uhr bei ihm. Er selbst hatte noch frei bis Montag. Und jetzt konnte er der Polizei vielleicht ein Stück weiterhelfen bei den Ermittlungen zu den vermissten Mädchen. Jan Sörensen fand noch eine Packung Cookies im Küchenschrank und legte sie in eine Bambusschale. Später würde er sich eine Pizza bestellen.
20 Minuten später klopften zwei Polizisten an seine Tür und Jan Sörensen wiederholte seine Angaben, während die Polizisten mitschrieben. Der eine lehnte Kaffee und Tee dankend ab, bat aber um ein Glas Wasser und nahm sich einen Cookie aus der Schale. Der andere trank schwarzen Kaffee und rührte das Gebäck nicht an. Jan selbst wärmte seine Hände an einer Tasse Tee und hoffte, dass seine Angaben der Polizei helfen könnten.
Er erzählte noch einmal die sparsamen Beobachtungen, die er an jenem Abend gemacht hatte und der eine Beamte fragte, warum er sich überhaupt erinnern konnte, die zwei Mädchen gesehen zu haben. Es war schon eine Weile her.
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