Professors Zwillinge im Sternenhaus
Professors Zwillinge
im Sternenhaus
Band 4
© 1928 Else Ury
© Lunata Berlin 2020
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
Über die Autorin
1. Kapitel
Wie die Zwillinge ihren Einzug halten
Der letzte Septembertag hatte alles Sonnengold des Sommers noch einmal zusammengerafft. Goldene Lichter warf er in die krummen Straßen der alten Universitätsstadt hinein und putzte die Fensterscheiben an den trotz ehrwürdigen Alters die Berghänge hinaufkletternden Häuschen, daß sie nur so blitzten. In jeden noch so vergessenen Winkel streute er eine Handvoll Sonnengold. Das bunte Herbstlaub der Berggärten ließ er metallisch erflimmern. Am meisten aber hatte er's auf die Saale abgesehen, der letzte September. Das silberne Flussband, das sich durch Wiesen und Anhöhen schlängelte und Jena anmutig umgürtete, sprühte von lauter Diamanten und Smaragden. Es war, als könne die alte Stadt sich heute nicht schön genug machen.
Das hatte auch seinen guten Grund. Denn über den lindenbestandenen Marktplatz, auf den Studenten Stühle und Tische aus dem verräucherten Kneiplokal hinausgetragen hatten, um noch einmal Sommer zu feiern, ratterte ein Wagen. Bunte Studentenmützen flogen in die Luft.
»Professor Winter – er holt sich endlich seine Kinder nach Jena – na, Zeit wird's, daß er Wohnung bekommen hat – habt ihr die netten Kinder gesehen?« so schwirrte das an den Studententischen noch hin und her, als der Wagen längst schon durch den Spitzbogen des alten Johannistores verschwunden war.
Drinnen aus dem Viersitzer schauten vier neugierige Kinderaugen, ein Paar blaue und ein Paar braune, heraus.
»Jena ist eine sehr häßliche, alte Stadt – Neapel ist viel schöner.« Da war die noch nicht zwölfjährige Weisheit bereits mit ihrem Urteil fertig.
»Ich denke, mein lieber Junge, du wirst deine Ansicht wohl noch ändern und gern hier sein in der ehrwürdigen Musenstadt, in der bereits dein Großvater und dein Vater die schönsten Studentenjahre verlebt haben«, meinte der Professor lächelnd.
»Mir gefällt unsere neue Heimat.« Die hellbraunen Augen des Töchterchens wanderten in all die Gässchen und Winkel. »Es ist so lieb, so traulich und gemütlich hier, überall Blumen an den Fenstern. Mir ist's, als ob wir jetzt erst richtig in Deutschland sind.«
»Freiburg im Breisgau, wo wir vier Monate bei den Großeltern gewesen sind, gehört auch zu Deutschland«, verbesserte sie ihr Zwillingsbruder.
»Na ja, da waren wir doch aber bloß zu Besuch, nicht richtig daheim«, verteidigte sich die Schwester.
»Wenn du so schlecht Geographie kannst, wirst du nicht in der Quarta mitkommen«, fuhr der Junge trotzdem unbeirrt fort.
»Hier habe ich gar keine Angst vor der Schule. Es sind ja alles deutsche Kinder und deutsche Lehrer. Nur in Italien war mir bange, wo alles so fremd und anders war.«
»Dir ist immer bange«, entschied der um zwei Stunden ältere Bruder. »Hast du nicht Angst vor dem niedlichen Berg da drüben? Er könnte am Ende Feuer speien wie der Vesuv.«
»Laß das Suschen in Frieden, Herbert«, mischte sich jetzt der Vater belustigt hinein. »Müßt ihr euch denn immer herumkabbeln. Früher habt ihr euch doch so gut vertragen. Gar nicht mehr, als ob ihr Zwillinge wäret.«
»Ist ja bloß Spaß«, verteidigte Suse ihren Zwilling. Dieser wurde rot, denn er hatte wirklich das Gefühl, jetzt nicht immer nett zu seiner Schwester zu sein. Schnell ablenkend, fragte er: »Warum ist Mutti nicht mit zur Bahn gekommen?«
»Es gab noch allerlei im Hause zu ordnen. Auch rückt möglichenfalls die neue Minna schon heute ein, da morgen Sonntag ist. Die sollte nicht vor verschlossenen Türen stehen. Paßt auf, jetzt begrüßt die Alma mater euch Professorenkinder.« Der Vater wies auf einen stattlichen Bau, der von einem Turm gekrönt war. »Das ist die neue Alma mater, die alte – – –«
»Wo – wo? Ich sehe sie ja gar nicht.« Herbert erhob sich, obgleich das Gebäude wirklich groß genug vor ihm lag.
»Alma – was für 'ne neue Alma? Ich denke, unser neues Mädchen heißt Minna«, erkundigte sich Suse verwundert.
Schallendes Gelächter antwortete. Der Vater lachte, daß er sich die Augen mit dem Taschentuch wischen mußte. Herbert stimmte natürlich sogleich mit ein. Er lachte wiehernd. Und das war gemein von ihm. Denn im Grunde war er auch nicht klüger als die Suse.
Die saß mit langem Gesicht da. Was hatte sie denn Dummes gesagt? Nicht viel hätte gefehlt, dann hätte sie ihren Einzug in Jena mit Tränen gehalten.
Da klopfte der Professor aber schon besänftigend dem Töchterchen die Wange.
»Ist nicht schlimm, Herzchen. Obgleich du als Professorenkind und Enkelin die Alma mater kennen mußt. Nun, mein Herr Sohn, erkläre du's der Suse. Du scheinst ja gut Bescheid zu wissen, da du dich so über ihre Unwissenheit belustigst«, wandte sich der Vater an den Jungen.
Der wurde ziemlich verlegen. Aber nur nicht zeigen, daß man nichts wußte, bloß nicht ausgelacht werden. So sagte Herbert möglichst selbstbewußt: » Mater heißt auf lateinisch Mutter – madre im Italienischen, das könntest du eigentlich auch wissen, Suse.«
»Na, und alma und was bedeutet alma, Herr Lateiner?« Der Vater ließ nicht locker.
»Alma ist nur ein Mädchenname – billig, Alma mater heißt natürlich ›Almas Mutter‹«, sagte Herbert großartig.
Der Vater zog ihn am Ohr. Diesmal lachte er nicht. »Daneben geschossen! So muß es allen Besserwissern ergehen, Herbert. Warum gestehst du's denn nicht ein, daß du es nicht weißt? Das ist doch keine Schande. Man hat nie ausgelernt, selbst große Leute nicht. Aber unwahr ist es und lächerlich, sich aufzuspielen, als ob man alles wisse.« Das war gleich eine ernste Rüge in der neuen Heimat.
»Na, was heißt denn alma?« knurrte Herbert.
»Die Nahrunggebende. Die nährende Mutter heißt Alma mater, und man versteht darunter die Universität, die ihren Söhnen, den Studenten, geistige Nahrung spendet. Als neue Bürger der alten Studentenstadt Jena müßt ihr das wissen. So – und nun schaut einmal dort hinüber. In diesem Garten, Prinzessinnengarten heißt er, liegt das Planetarium, die neue Wirkungsstätte eures Vaters. Seht ihr die große, runde Kuppel dort durch die Bäume schimmern? Das ist das Planetarium.«
»Vater, laß halten, bitte bitte, laß halten, daß wir es gleich ansehen können«, rief Herbert aufgeregt.
»Nein, mein Junge, dazu brauchen wir Zeit. Ihr sollt einen richtigen Eindruck von dieser großartigen Einrichtung bekommen. Nächste Woche halte ich dort einen Vortrag mit Vorführungen der Gestirne unseres Heimathimmels. Ich freue mich schon darauf, was für ein gewaltiges Erlebnis das für euch sein wird.«
»Wir wollen es lieber gleich erleben. Bis nächste Woche ist noch schrecklich lange hin. Da können wir noch zehnmal tot sein. Auf das Planetarium habe ich mich am allermeisten gefreut hier in Jena«, versuchte Herbert noch einmal sein Heil.
»Die Mutter wartet daheim mit dem Kaffee auf uns. Jetzt ist das Planetarium überhaupt geschlossen, mein Junge.«
»Na, wenn du der Direktor bist, Vater, mußt du doch die Schlüssel dazu haben«, beharrte der Junge eigensinnig. Aber es nützte ihm nichts. Wenn der Vater mal etwas gesagt hatte, dann blieb es dabei.
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