»Muttichen, ist mein Puppenwagen nicht mitgekommen?« erkundigte sie sich.
»Aber Suschen, du bist doch fast zwölf Jahre, da spielt man doch nicht mehr mit Puppen«, lachte die Mutter. »Der Puppenwagen ist mit andern Spielsachen ins Waisenhaus zur Weihnachtsbescherung für arme Kinder gewandert.«
»Na ja,« meinte Suse nachdenklich, »die armen Waisenkinder brauchen den Puppenwagen ja auch nötiger als ich. Ich wollte ihn eigentlich nur für meine Piccola haben. Sie sollte darin schlafen, und ich wollte sie damit ausfahren.«
»Du hast ja 'n Triller mit deiner Katze«, ließ sich Herbert liebevoll vernehmen. »Wozu hat sie denn ihre vier Pfoten, wenn sie gefahren werden muß.«
»Für dein Kätzchen ist gesorgt, Suschen.« Die Mutter wies in eine Ecke. Da stand ein weißes Körbchen mit rosenroter Decke. Und wer blinzelte da heraus? Grasgrüne Katzenaugen. Piccola hatte noch vor Suse von ihrem neuen Reich Besitz ergriffen.
»Ach, Muttichen, ich danke dir vielmals, daß du alles so schön für mich hergerichtet hast.« Dankbar umarmte Suse ihre Mutti.
»Nun wißt ihr doch, weshalb ich euch nicht gleich vor vier Wochen aus Freiburg mitgenommen habe. Eure Zimmer sollten eine Überraschung sein.«
»Dabei hast du gesagt, wir störten dich bloß beim Einrichten.«
»Das außerdem«, antwortete die Mutter lächelnd.
»Wegen meiner Stube hättest du gar nicht so geheimnisvoll zu tun brauchen, Mutti. Das lohnt gar nicht. Sie ist lange nicht so schön wie Suses.« Herbert schien enttäuscht.
»Ich kann dir doch kein zierliches Mädchenstübchen einrichten, Herbert, das paßt doch nicht für einen Jungen. Du hast ein sehr nettes Zimmer.«
»Na, es geht«, räumte Herbert ein, um nicht gar zu undankbar zu erscheinen. »Komm, sieh dir's mal an, Suse. Nicht durch die Tür – über den Balkon gehen wir.«
Ein gemeinsamer Balkon zog sich an den Fenstern der Zwillinge entlang. Man hatte von dort einen wunderhübschen Blick hinunter in das Saaletal. Suse stand und schaute. Wie lustig bunt das Laub ringsum schimmerte. »Dort drüben sind Weinberge, Mutti, purpurrot sehen die Blätter aus. Ach, und wie schön, daß man den ollen rauchenden Vesuv hier nicht sieht!«
»Komm weiter, Suse.« Herbert zog die Schwester am Ärmel.
»Und nächstes Frühjahr pflanzen wir hier auf dem Balkon bunte Winden und Primelchen, die habe ich so gern. Und im Garten, Mutti – – –«
»Na, vorläufig ist doch erst Herbst. Du hast gar kein Interesse für mein Zimmer«, beschwerte sich ihr Zwilling mit Recht.
Auch Herberts Stube hatte die Mutter liebevoll eingerichtet. Sie hatte dunkle Möbel und ein kleines Ledersofa. Am Fenster stand ein Arbeitspult. Aber merkwürdig, obgleich Herbert erst eine halbe Stunde im Hause war, sah es schon nicht mehr tadellos ordentlich aus. Mantel und Matrosenmütze hatte er auf das Ledersofa geschleudert. Seine Botanisiertrommel lag auf einem Stuhl und der Rucksack mitten auf dem Tisch.
»Du mußt von Anfang an Ordnung halten, Herbert. Sonst hast du keine Freude an deinem Zimmer.« Die Mutter begann die herumliegenden Sachen fortzuräumen.
»Ich habe mehr Freude, wenn es liederlich aussieht, dann fühle ich mich hier viel wohler«, beteuerte der Sohn.
»Ich komme immer zu Besuch zu dir, Herbert, und dann räume ich auf«, versprach seine Zwillingsschwester. »Und du mußt mich auch besuchen. Dann sitzen wir auf meinem kleinen Rosensofa. Aber Bubi darf nicht mit rein. Der zerfetzt alles. Und außerdem hält er keinen Frieden mit Piccola.«
»Ohne meinen Bubi komme ich auch nicht«, brummte Herbert. »Sieh mal, hier soll mein neues Terrarium stehen. Ich fange mir bestimmt eine Schlange dafür. Der Großpapa hat gesagt, es gäbe hier viele Kreuzottern im Thüringer Wald.«
»Muttichen, ist das wahr?« Suses hellbraune Augen sahen erschreckt drein.
»Nicht mehr als allenthalben in den Bergen.«
»Na, dann bin ich zum ersten und zum letzten Male in deinem Zimmer gewesen, Herbert. Und die Tür riegele ich ab. Mutti, können Schlangen durchs Schlüsselloch kriechen?« fragte Suse ängstlich. »Ach, und der Balkon geht von einem Zimmer ins andere. Da muß Vater eine Wand ziehen lassen«. Suse blickte so angstvoll, als ob die Schlange bereits in Sicht sei.
»Meine Schlange kriecht über jede Wand«, rühmte sich Herbert. »Jeden Abend lasse ich sie in dein Zimmer.«
»Pfui, Herbert, du sollst die Suse nicht immer ärgern«, gebot die Mutter, ernst werdend.
»Ich muß ihr doch die dumme Furcht abgewöhnen. Dazu bin ich als ihr Zwilling verpflichtet.«
»Als ihr Zwilling bist du dazu verpflichtet, lieb und nett mit ihr zu sein wie früher. Die Großeltern in Freiburg wollten euch gar nicht zusammen dabehalten, weil ihr immer miteinander Streit hattet. Ich habe mich wirklich geschämt.«
»Ach, Mutti, da brauchen wir uns doch bloß zu schämen. Aber Suses Katze ist schuld an allem. Sie läuft immer hinter Bubi her. Und wenn der sie mal ein bißchen zaust – er kann sie nun mal nicht leiden, weil er Deutscher und sie Italienerin ist –, dann wird Suse gleich frechdachsig zu mir. Als du Bubi mit nach Jena genommen hattest, Mutti, haben wir uns wieder sehr gut vertragen.«
»Na, dann weiß ich ja, was ich zu tun habe. Wenn ihr euch wie Hund und Katze benehmt, werden die beiden einfach abgeschafft«, drohte die Mutter.
»Was – Bubi?«
»Meine süße Piccola?« Die Kinder trauten ihren Ohren nicht.
»Freilich – aber ich hoffe, das wird nicht nötig sein. Ihr wart doch früher so lieb miteinander. So, nun wollen wir unser Sternenhaus weiter anschauen. Hier ist unser Schlafzimmer. Auf dem Balkon steht Vaters Fernrohr. Dort das Badezimmer und das Fremdenzimmer, wenn jemand aus Freiburg zu Besuch kommt.«
»Oder aus Berlin«, sagten die Zwillinge wie aus einem Munde. Denn sie bangten sich schon nach ihrer »kleinen Omama«, der Mutter ihres Vaters, die sie anderthalb Jahre nicht gesehen hatten und an der sie mit großer Liebe hingen.
»Oben ist der Boden. Da ist noch ein Mansardenzimmer für die neue Minna.«
Natürlich mußten die Kinder bis in den äußersten Bodenwinkel hineinkriechen und alles durchstöbern.
»Na, wie gefällt es meinen Kindern im neuen Sternenhaus?« erkundigte sich der Vater unten.
»Fein ist es, Vatichen.«
»Du hast ja noch gar nicht Muttis Wohnzimmer und Vatis Arbeitszimmer gesehen.« Herbert war mit seiner Führung noch nicht zu Ende.
»Ach, wieder alle die großen Sternkarten an den Wänden wie in Berlin«, sagte Suse, erfreut in Vaters Zimmer Umschau haltend. »Was ist denn das für 'n komisches Ding? Ist das unser Radio?«
»Nein, das ist ein neuer Messapparat hier aus den optischen Werkstätten von Zeiß, den ich erproben soll. Herbert – Junge – laß die Finger davon. Das ist kein Spielzeug. Die geringste Veränderung bringt falsche Angaben.«
»Unsern Radio lege ich ganz allein an, Suse, da darf auch keiner ran, sonst funktioniert er nicht«, spielte sich Herbert auf. Er konnte es nun mal nicht vertragen, zurechtgewiesen zu werden.
»Habt ihr denn nun alles gesehen, Kinder?« fragte die Mutter.
»Die Küche, wo ist denn die Küche?« fiel es Suse als künftige Hausfrau ein.
»Die ist unten im Souterrain. Auch die Waschküche, die Speisekammer und die Zentralheizung sind dort untergebracht.«
»Au, die muß ich sehen.« Herbert wollte spornstreichs die von der Diele herabführende Treppe hinunter. Da hemmte er den Schritt. »Was sind denn hier noch für Zimmer?« Er versuchte eine nach der andern Seite des Hauses führende Tür zu öffnen. Sie war verschlossen.
»Was ist denn da drin, Mutti?«
»Ein Geheimnis«, gab diese lächelnd zur Antwort.
»Das hört sich ja ganz graulig an. Als ob Blaubart dahinter wohnt.« Suse machte schon wieder ängstliche Augen.
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