Frau Tina schüttelte betrübt den Kopf. Wenn der Hannes doch hören wollte, um was sie ihn bat: »Laß doch e Dächelche drüber ufschlaon!« Ausgelacht hatte er sie: wie konnte er wohl über so viel Bretter ein Dächelchen schlagen lassen? Bis Herbst waren die ja auch längst verkauft! Ein Schuppen hätte ihm freilich angestanden, vorzüglich fürs Chaischen, das jetzt notdürftig untergebracht war; aber wohin sollte er den setzen? Platz war nicht, gerade daß das Wohnhaus und der Stall sich eingequetscht hatten zwischen dem Bach und der Böschung der Landstraße; den Hofraum brauchten die Wagen, schwer genug war das Wenden zwischen Hauswand und Holzstapel. Als sie ihm den Platz vorgeschlagen, den das Gärtchen am Ende zur Not doch bot, war er heftig geworden.
»Ons’ schien Gärtche? Dat es mein Pläsier! Dat laoßen ech mer net verfumfeien!« Und er hatte wieder neue Rosenstöcke aus Trier kommen lassen und allerhand feines Gesäms, das nicht aufging.
Nein, die Rosen würden hier nie blühen! Tina ging in den Garten und richtete ein Stämmchen auf, das der Eifelwind umgestoßen. Sie suchte einen Bast, daß sie es anbinde, aber da wurde sie gewahr, es war eingeknickt, gebrochen in der Wurzel. Den Bast ließ sie fallen, und in einer plötzlichen Traurigkeit kehrte sie sich ab – dem half kein Anbinden mehr!
Die Sonne, die bis dahin noch geschienen, war hinter den Berg gesunken. Schatten düsterten im Tal. Wenn’s auch noch Sommer hieß, man dachte doch schon an Herbst. Fröstelnd ging die einsame Frau zwischen den Beeten auf und ab und suchte nach einigen Blumen. Viele fand sie nicht, die Beete waren verrast, Unkraut machte sich breit; das grüne, klammernde Moos, das so geschwind im Feuchten gedeih, fing schon an, den Pfad zu überziehen. Von der Brennenden Liebe, die sie im ersten Mai ihrer Ehe miteinander gepflanzt, blühte kein voller, rotglühender Busch mehr, nur noch ein einziger Stengel. Rasch knickte Tina den ab, er sollte vorm Muttergottesbild prangen.
Jesus, wie sah es hier bös aus! Geld genug hatte der Garten gekostet, aber da war keiner, der ihn in Ordnung hielt. Sie sah an sich herunter und streckte die schmalen Hände aus – graben und jäten, ja, das war keine Arbeit mehr für sie! Ach, seit einem Jahr nicht mehr! Die Geburt des kleinen Mädchens hatte sie schwach gemacht.
Sie mußte es doch dem Hannes sagen, daß der den Garten in Ordnung brachte – aber nein, nein, lieber nicht! In Ordnung bringen, das hieß für ihn: Arbeiter bringen, alles Alte herausschmeißen und Neues einsetzen lassen. Es mußte schon so bleiben.
Niedergeschlagen verließ die Frau den düstern Garten; sie hatte sich lange verweilt. Am Mühlengraben kam sie wieder vorbei – es rührte sich nichts – da hing noch immer das leblose Rad. Sie mochte es gar nicht mehr ansehen; ihr wurde so bang. Ein Lied, das sie oft in der Heimat gehört, schoß ihr auf einmal durch den Sinn:
»Da drunten in dem tiefen Tale,
Da steht eine Mühle zum mahle –«
und weiter?!
Mit einem scheuen Blick sah sie sich um.
»Das Mühlrad, das große, das Mühlrad blieb stehn,
Ach Gott, was ist in der Mühle geschehn?!«
Die Schatten dunkelten tiefer. Wie gejagt flüchtete die Frau in die Stube, wo das kleine Mädchen lag und greinte, setzte den Fuß auf die Schwinge der Wiege und brachte sie in Bewegung. Sacht schaukelte die hin und her und lullte das Kind wieder ein; aber die Gedanken der Mutter kamen so rasch nicht zur Ruhe.
Die Nacht sah finster zum Fenster herein. Wenn doch der Hannes bald wiederkäme! Tina hörte die Knechte endlich heimkehren, sie hörte deren Pfeifen im Hof; die Magd, die mit rasselnden Eimern zur letzten Melke ging, juchzte hell auf. Sie neckten sich. Kein Lächeln umspielte den Mund der jungen Frau.
Als alle schon lange schliefen, wartete sie noch immer auf ihren Mann. Die Stunden wurden ihr zu Ewigkeiten. Der Kuckuck hatte schon viele Male den Kopf aus seinem Uhrtürchen gesteckt, nun schrie er schier ohne Aufhören. Zuckenden Mundes zählte die Frau: Jesus, schon zwölf, Mitternacht! Wenn er doch käme, sie war ja so allein! Da, horch, rasselte nicht fern ein Wagen?! In der Stille der Einsamkeit meinte sie vertrautes Räderrollen zu erkennen. Nun litt sie’s nicht länger, ihr Herz klopfte. Hastig schlüpfte sie aus der Stube. Leise öffnete sie das Türgatter halb und lehnte sich lauschend hinaus. Nichts war mehr zu hören, auch nichts zu sehen, nur gerade ein Stück Landstraße, vom Licht der Sterne schwach beflimmert; dahinter eine dunkle Höhe. Vor Enttäuschung traten ihr die Tränen in die Augen – er kam noch nicht! Doch halt, war das nicht ein Tritt?! Wer schlich da noch herum?!
Eine Gestalt wurde sichtbar: ein langes, großes Frauenzimmer stand an der erhöhten Böschung der Straße, unbeweglich das Gesicht, das wie ein heller Fleck durchs Dunkel schimmerte, der Mühle zugekehrt. Auf wen lauerte die, gewiß auf einen Knecht?!
Als Frau Tina, die endlich in die Stube zurückgegangen war, noch einer halben Stunde wieder in die Tür trat, stand die unbewegliche Gestalt noch immer drüben auf der Landstraße. Tina wurde neugierig; sie faßte sich ein Herz und rief in die Nacht hinaus:
»’n Abend, auf wen wart’ Ihr dann hei?« – »Hä, uf mein Schatz!« – »Ach herrje!« Die junge Frau fühlte sich plötzlich hingezogen – warten, ach, das ist ein schlechter Zeitvertreib! »Geht nur heim, de Knecht schlafen als lang: Ech glauben, eweil kömmt keinen mieh heraus für zu karessieren!«
»Ech waarten aach uf ke Karessiere mieh!«
Das klang merkwürdig bitter; und dann folgte ein hartes Auflachen, das Tina erschreckte. Auf was wartete die denn sonst jetzt so spät noch, auf was anders als auf ein heimliches Stündchen, von dem niemand nichts weiß?! Die stand ja so erwartungsvoll, hatte die Arme übers Kreuz geschlagen und guckte unverwandt zum Haus hinüber. Tina glaubte den brennenden Blick jener Augen zu fühlen. Was wollte die denn? Ach, am Ende hatte der Schatz sie verlassen, und sie gedachte nun, ihm hier aufzulauern.
»Se sein all im Bett,« versicherte sie noch einmal treuherzig, und dann setzte sie teilnahmsvoll hinzu: »Jao, Jao, so sein die Mannsleut’! Ech raten Euch gut, laßt hän laufen. Ihr krieht en annern!«
»Spaort Eier Red’ – ech will ken annern!« Die Große fuhr auf und reckte sich, und dann streckte sie plötzlich den Kopf vor und schien mit geneigtem Ohr zu lauschen. »Dän Müller es net derhäm?« Sie fragte es, aber sie schien keiner Antwort zu bedürfen.
Tina stutzte. Der Müller, ihr Mann, freilich, der war nicht zu Haus, aber was ging das die an, warum fragte die? Eine plötzliche Unsicherheit übefiel sie, eine jähe Furcht – wovor, das wußte sie selbst nicht. Die Nacht war so düster, in den Lüften schien es zu seufzen; drohend ragte gegenüber der dunkle Berg, und die Große stand unbeweglich mit lauschendem Ohr.
»Gieht, gieht!« sagte die junge Frau hastig, »ech giehn eweil auch un legen mich hin.« Sie machte Anstalt, die Tür zu schließen, aber sie sah, die andere ging doch nicht weg. »Gieht heim, strolcht hei net mich herum. Ihr hatt hei nix verloren – gieht doch!« Ihre Stimme wurde scharf vor Ärger und Unruhe.
Die Große lachte wieder; kam dann ein paar Schritte näher. »Ech wünschen Eich en gude Ruh. Schlaoft wohl – allein!«
Trotz der Dunkelheit sah Tina ein paar wilde Augen funkeln, weiße, rollende Augäpfel und ein sprühendes Flackern. Angst kam sie an in der einsamen Nacht, sie stotterte: »Den Müller – den Müller – den is jao zu Haus, den liegt schons im Bett!«
»Ha, ha, wän’t glauwt! Ech net. Dän fährt eweil noch im Chaische. Läjt Ihr Eich eweil noren ganz kommod; ech waarten noch ebbes. On wann de Naacht drüwer zu End gieht, on de Sonn drüwer erufkömmt, on de Welt drüwer onnergieht« – die Worte überstürzten sich ihr –, »on wann alles kaputt gieht, on wann hän mech schlät – ech, ech haon noch en Rechnung met em ze maachen! On wann et währt bis zom Jüngsten Dag, heimgezaohlt krieht hän dat doch emaol. Wann net von mir, dann von’m annern! Waart dau«, – sie ballte die Faust und drohte in die Ferne – »waart!«
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