Aber nicht nur Landscheids Seph warf sich diese Nacht hin und her auf ihrem harten Laubsack, auch die junge Müllerin fand keinen Schlaf in dem hochgetürmten Ehebett. Hannes schnarchte schon längst, da drehte und wendete sie sich noch in Herzensangst. Was war das für ein schwarzes Weibsbild gewesen mit bösen Augen?! Die war einmal ihres Mannes Schatz gewesen?!
»Och Jesus!« Sie stützte sich auf den Ellbogen und beugte sich so, halb aufgerichtet, fragenden Blickes über den Schlafenden. Der Mond warf ein falbes Licht in die Stube. Wenn sie doch jetzt in seinem Gesicht lesen könnte! Was war gewesen, was würde noch alles sein?! Sie seufzte. Ihn am Tage zu fragen, wagte sie nicht. Nicht, daß sie nicht zufrieden mit ihm gewesen wäre – o nein, es ging ihr ja sehr gut, das konnte sie ihrem Vater versichern in jedem Brief, das konnte sie sich selber versichern, und auch der lieben Mutter Gottes dort überm Weihwasserkesselchen – ihren Hannes wollte sie nicht verklagen, nein, der war nun mal so! Und doch machte ihr manches Sorge. Wenn der Hannes nur nicht so leicht mit dem Geld wäre! Neulich war er zur Dauner Kirmes gewesen, da hatte er Bekannte und Unbekannte traktiert: »trinken sollten sie, so viel sie wollten« – und das war viel – und hernach, als sie schrien: »Vivat dän Müller-Hannes! Hoch soll hän läwen hoch, hoch, hoch!« da hatte er noch ein paar Flaschen »Schambannijer« spendiert. So hatten sie es ihr erzählt; sie selbst fuhr jetzt nicht mehr mit auf die Kirmessen – ach je, ihr war es jetzt oft recht elendig! Die Brauttränen müssen geweint werden; die Braut, die sie nicht vor der Hochzeit weint, muß sie danach weinen – ach, sie hatte keine Brautträne geweint, keine einzige! Aber jetzt –?!
Seufzend zog sie die Stirn in Falten und drückte das Gesicht ins Kissen. Still nur, still! Sagen ließ er sich ja doch nichts. Und »das Weib hat’s Maul zu halten«, hatte ihr erst letzthin der Schwiegervater gesagt, als er kam und sie gerade saß und weinte.
Das junge Weib wühlte den Kopf immer tiefer ein; dann warf es sich rastlos.
Derweil träumte der Mann schön: ihm war der erste Sohn geboren, ein Knabe, groß und stark. Pfarrer Noldes von Maarfelden taufte ihn – »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes …« tauchte den Finger ins Taufbecken, bespritzte des Kindes Stirn – da schrie der Knabe so durchdringen auf und strampelte so mit den Beinen, daß der erschrockene Pfarrer zurückfuhr und alle Paten lachten. So ein Filou, wahrhaftig, der wußte schon, was ihm gebührte! Solch einen Jung’, einen Sohn vom Müller-Hannes, den tauft man nicht mit purem Wasser, aus dem dreckigen Bach, aus dem alle Leut’ schöpfen!
Als der Müller am anderen Morgen erwachte, stieß er sein Weib an, das erst bei Tagesgrauen Schlaf gefunden hatte, und erzählte lachend seinen Traum. Das war ein Jung’! Schon im voraus war der Vater ordentlich stolz auf ihn.
Da sagte Tina schüchtern:
»Wann’t äwer nur e Mädche is?!«
Er sah sie an, als verstände er sie gar nicht, und dann wurde er grob:
»Maach! Onnerstieh Dech! Ech will en Jong haon, ech muß en Jong haon! Hörste? Dän soll de Mühl’ ärwen!«
[ 2]. gout
Die Mühle lag am Bach, der sich aus den Abflüssen des Maares bildet und sich durch den schmalen Wiesenrain des engen Tales der Kleinen-Kyll zuschlängelt. Wenn das Maar hochstand und die Wiesen der Bauern überschwemmte, dann stürmte auch der Bach breit dahin, daß sich das große Mühlrad schwungvoll drehte. Aber wenn das Maar sich zurückgezogen hatte in seine geheimnisvolle Tiefe, eingesunken war wie ein Auge, das sich, alt und müde, schließen will, dann sickerte der Mühlenbach lässig dahin. Dann feierte das Rad. Der Herr feierte und die Knechte auch. Auf dem Lotterbett der Mahlstube dehnten sich die weißbestäubten Jungen, blinzelten träge nach den Mehlstäubchen, die im Sonnenlicht tanzten, und rissen gähnen das Maul auf. Es kam erst Leben in sie, wenn der Herr draußen rief: »Angespannt, ech faohren eweil!« Was? Der fuhr schon wieder aus?! No ja – die Burschen lachten sich zu – dann konnten sie ja auch im Dorfwirtshaus einkehren und die Seph karessieren, so sich die sehen ließ.
Wenn die runden Pferdchen mit dem leichten Wägelchen davongetänzelt waren und der Herr mit der Peitsche noch einmal lustig zurückgeknallt hatte nach dem verschlossenen Fenster der Wohnstube, stahlen sich auch die Knechte vom Hof; und die Magd folgte.
Einsam war die Mühle. Die starke Herrenstimme, die das Haus vom Giebel bis zum Keller füllte und muntere Nachklänge in allen Winkeln erweckte, tönte wo anders. Das leise Zittern und Schwanken der Dielen, das Schlagen und Pochen und Schaufeln des Rades hatte aufgehört: das Herz der Mühle stand still. Dann ging Frau Tina wohl hinaus aus der Stube, ums Haus herum bis zum Mühlgraben, stand mit hängenden Armen eine lange Weile und besah sich das stille Rad. So kolossal hing das da – ach, ihre Hände waren zu schwach, um in seine Speichen zu greifen! Sie konnte es nicht antreiben, es war ja so groß und schwer. Ach, wenn es sich doch wieder drehte! Wie anders sah es aus, wenn seine breiten Schaufeln wie rührige Hände ins Wasser faßten, immer wieder und wieder, und sich einen Gischt übergossen, einen perlenden Guß nach dem andern, der immer weißer und weißer wurde, leuchtend wie Schnee, hervorschäumend aus grünlichen Tiefen. Wie schön war das Rauschen und Brausen; die Musik, die hörte sie gern!
Daß mit dem Stillstehen des Rades auch das Surren und Brummen der Kreissäge verstummt war, schaffte ihr weiter kein Leid. Die machte ja keine Musik, wie das große Mühlrad im schäumenden Wasser, die schnurrte und kreischte ihr nur widrig in die Ohren.
Wenn nur die Kreissäge nicht wär’– die gab ihm immer die Ausrede! Bald mußte er zur Holzversteigerung – jetzt in den Gemeindewald, dann in den königlichen Forst – bald hierhin, bald dorthin; vor Morgengrauen brach er schon auf und kam längst nach Mitternacht erst wieder heim. Und dann mußte er hinunter an die Mosel, Aufträge einsammeln für seine Kreissäge, für das vielfräßige Ungeheuer mit den scharfen Zähnen; nie war genug Futter für das da! Bis an den Rhein gar, plante er, wollte er nächstens fahren, das Geschäft so erweitern. Jetzt blieb er schon Tage aus o je! – und dann am Ende gar noch länger! Und immer wurde getrunken. Das ist bei Geschäften nicht anders. Und immer war er der erste dabei, der Lustige, der Spendable!
Die junge Frau sah sich besorgt um: es lagen der Bretter so viele aufgestapelt, fast so hoch wie das Haus. Als wenn die alle schon einen Käufer gefunden hätten! In diesen schönen, glatten Brettern, die das weiße Fleisch der Bäume entblößt zeigten und noch den Duft des Waldes an sich hatten, steckte viel Geld, ein ganzes Kapital. Dabei hatte der Vater doch letzt geschrieben, heuer seien die Ernteaussichten schlecht an der Mosel; die Reblaus war drunten, es half kein Bespritzen und Gießen mehr mit dem und jenem, was der Herr Landrat verordnet hatte – da brauchten sie nicht viel Fässer.
Sie ging um die Stapel herum und betrachtete sie ängstlich unter hochgezogenen Brauen: wer sollte all das Holz kaufen?! Der Hannes hatte bar bezahlen müssen bei der Versteigerung – aber wer zahlte ihm? Die Kunden, die ihr Korn bei ihm mahlen ließen, zahlten meist nicht bar Geld, die gaben einen Molter vom Sack.
Ach, wenn der Hannes nur nicht so viel Holz kaufen möchte! Das wäre er seinem Renommee schuldig, sagte er, ordentlich einkaufen müßte man.
Sie fühlte hier an und dort an: hu, schon klamm, feucht! Und wenn all dies Holz nun hier liegen blieb, bis der Spätherbst kam mit seinen Regengüssen, und Berg und Grund vor Nässe trieften?! Wenn die durchdringenden Nebel alles bis ins Innerste aufweichten!? Wenn der endlos lange Eifelwinter kam, der weiter nichts kann als Schnee herunterschütten oder mit eisigem Frost alles zusammenpressen, daß es knackt und in sich reißt?! Wenn dann hier die Bretter Spalten und Fugen wiesen oder moderten und faulten, wer gab dann nur halb das Geld dafür, das sie gekostet?!
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