Vor dem Haus spürte sie wieder diesen leichten Druck an ihrer Wade. Die Katze stand dort und starrte hilflos aus ihren funkelnden Augen zu ihr hoch. Ihre weiche Nase schnupperte vorsichtig an Rebeckas Jeans herum.
Rebecka bückte sich und hob das Tier wieder hoch.
»Du armes Vieh«, sagte sie. »Dann musst du eben mit reinkommen. Hast du vielleicht Hunger? Isst du gern Chips?«
Unter dem feuchten schwarzen Fell vibrierte ein leises Schnurren, als sie die Katze die Treppen hochtrug.
Sie atmete auf. Ließ den Pinsel liegen. Er triefte vor Farbe. Ihr wurde schlecht.
Mit dem aufgekrempelten Hemdsärmel wischte sie sich den Schweiß aus der Stirn und schaute über das Grundstück. Feucht und morastig war es dort, weich und sumpfig. Egal, wie lange die Sonne schien oder wie warm es war. Nie reichte die Wärme bis hierhin, es gab nur Nässe und noch mehr Nässe. Ihre Stiefel versanken bis zu den Knöcheln im Boden, es schwappte und saugte. Das Wasser gelangte überallhin und nahm die Toten mit sich.
Sie hatte das getan, wozu sie gezwungen gewesen war. Aber danach hatte sie nicht schlafen können. Obwohl es nicht ihre Schuld war. Sie hatte ja geglaubt, nicht gewusst, aber war sich fast sicher gewesen. Jetzt wurde sie verfolgt von Träumen, die sie nicht loslassen wollten. Ab und zu legte sie den Kopf auf das gestreifte Kissen des Ausziehsofas, hatte aber Angst vor dem Einnicken. Solange sie wach war, hatte sie Kontrolle über das Unkontrollierbare, aber wenn sie einschlief, glitt ihr alles aus der Hand. Wie schon vorher, wie ein abrupt gekappter Faden. Nichts war noch so, wie es sein sollte, aber sie konnte nichts mehr daran ändern, und deshalb spielte es keine Rolle. Sie musste mit dem weitermachen, womit sie angefangen hatte.
»Nicht die Schuhe ausziehen.«
»Wieso nicht?«
»Es ist so verdammt kalt hier drinnen.«
»Ha. Das glaubst du doch selbst nicht.«
»Es ist auch staubig.«
»Ist es überhaupt nicht. Hier gibt es nicht ein einziges Staubkorn. Warum kannst du nicht einfach zugeben, dass du die Schuhe schrecklich findest?«
»Dann mach wenigstens nicht solchen Krach damit. Du weckst sonst das ganze Haus.«
»Und wer ist das ganze Haus? Deine Mutter vielleicht?«
Tobias gab keine Antwort, sondern sprang immer zwei Stufen auf einmal die Wendeltreppe hoch. Seine engen Jeans. An diesem Hintern gab es kein Gramm Fett, an seinem Bauch auch nicht. Er war einfach wunderbar schmal gebaut. Mit ein wenig Muskeln an den Oberarmen wäre er perfekt. Aber man konnte schließlich nicht alles haben. Andrea seufzte und stieg hinter ihm her die Treppe hoch.
Seine Mutter schien zu schlafen, jedenfalls lag sie nicht oben auf der Lauer. So, wie Andreas Mutter das machte. Er schob die Tür zu einem Zimmer zu, bei dem es sich offenbar um das Schlafzimmer seiner Mutter handelte, und öffnete die Tür gegenüber.
»Mein Zimmer«, sagte er, nahm sie am Arm und zog sie hinein. Dann schloss er auch diese Tür. So leise und vorsichtig er konnte, also mit einem leisen Knall. Tobias war niemand von der leisen Sorte.
Er ließ sich auf das Bett sinken, auf dem eine beige Tagesdecke mit kleinen Karos lag. Sie setzte sich neben ihn, einen Meter von ihm entfernt, nicht zu nah.
»Bestimmt hat deine Mutter das Bett gemacht.«
»Nee, das war ich.«
Tobias starrte mit leerem Blick die Wand an, wo ein Plakat hing, etwas Großes, Schwarzes, vielleicht ein Gesicht. Darunter war das Bild eines roten Motorrads befestigt. Er sprang wieder auf, lief zum CD-Player, drückte auf einige Knöpfe, und plötzlich dröhnte es aus den Lautsprechern.
»Himmel, wird sie denn jetzt nicht wach?«
»Ich hab doch die Tür zugemacht.«
Er mimte einen Gitarristen und verdrehte die Augen zur Decke, schob die Hüfte vor und trat mit dem Absatz den Takt. Dann riss er plötzlich die Augen auf, als sei ihm etwas eingefallen, drehte die Musik ab, blieb stehen, starrte sie an.
»Verdammt«, sagte er.
»Was denn?«
Er trat auf sie zu, streckte eine Hand aus, wie um ihre Schulter zu berühren. Ließ aber die Hand auf halber Strecke in der Luft hängen.
»Du hast verdammt tolle Schuhe«, sagte er.
»Ja«, sagte sie.
»Scheiße, darin kann man sich ja spiegeln. Wie heißt das noch?«
»Lack. Weißt du das nicht?«
Sie saßen schweigend und mit geraden Rücken nebeneinander. Sie sah seinen Mund an, der passte nicht so richtig in sein Zimmer, in ein typisches Scheißjungenzimmer, mit einem Computer auf dem Tisch vor dem Fenster und einer E-Gitarre auf dem Boden und einer schmutzigen Unterhose unter dem Bett, das hatte sie schon gesehen.
Plötzlich drehte er sich zu ihr um, legte ihr die Hände auf die Schultern, presste seinen Mund auf ihren und dann war seine Zunge in ihrem Mund, drückte ihre Lippen auseinander, während er ein leises Keuchen ausstieß. Seine schweren und ein wenig trägen Hände waren auf ihre Brust hinuntergeglitten, hatten schon ihren Pullover hochgeschoben und wollten weiter. Er hatte den BH aufgehakt, ohne dass sie es auch nur gemerkt hatte, und jetzt spürte sie, wie der BH sich öffnete und wie seine Finger da waren und in ihre Brustwarzen kniffen. Au, hätte sie gern gesagt, aber das kam ihr jetzt fehl am Platz vor, es hätte einfach nicht gepasst. Er drückte sie aufs Bett, ließ sich neben sie gleiten, lag dann halb auf ihr, sie spürte etwas Hartes an ihren schwarzen Jeans und plötzlich fürchtete sie sich ein wenig, obwohl es auch zwischen ihren eigenen Beinen pochte, wusste nicht so ganz, ob sie das wirklich wollte. Er hatte ihr den Pullover über den Kopf gestreift, ihre langen Haare knisterten elektrisch, und jetzt würde wohl auch noch ihre Wimperntusche verschmiert werden.
Sie wandte sich von seinem Mund ab, der schrecklich weich war, hatte das Gefühl, als sei ihr ganzes Gesicht mit Spucke beschmiert. Sie kicherte, begriff selbst nicht, woher dieses Kichern kam.
»Du«, sagte sie.
»Ja«, sagte er ein wenig atemlos und mit dem plötzlich so großen Mund ganz dicht an ihrem. Ehe sie noch mehr sagen konnte, hatte er seine Lippen wieder auf ihre gepresst und sie spürte, wie seine eine Hand sich unter ihren Hosenbund schob. Es wäre besser gewesen, zuerst die Knöpfe zu öffnen, aber das sagte sie nicht.
Es war eng in ihrer Jeans und seine Hand wühlte sich mühsam vor. Sein Mund stand immer noch offen, als habe er plötzlich vergessen, dass er sie gerade küsste, sein Atem stank nach Bier. Ein Finger hatte sich zwischen ihre Beine geschoben, hatte dort aber kaum Platz.
Dann fing der Finger an zu drücken und zu bohren. Sie schaute zur Decke hoch, und die Kanten der Tapeten waren grün. Sie war schweißnass. Himmel, er machte immer noch weiter, wollte er denn nie mehr aufhören. Auf der Fensterbank stand eine Grünpflanze, bestimmt hatte seine Mutter sie dort hingestellt.
»Wie ... wie ist das?«, fragte er leise an ihrem Ohr und holte tief Luft.
»Was denn?«, fragte sie und ließ ihren Blick von der Topfblume zu seinem Gesicht wandern. Dann starrte sie seinen Unterarm an, der auf merkwürdige Weise in ihrer Hose verschwand. Verdammt, da hatte sie einen Fleck, sicher Senf. Blöd, dass sie vom Kiosk keine Serviette mitgenommen hatte.
»Wieso was denn? Ist das schön, will ich wissen!«
Sie zögerte, sah wieder den Fleck an.
»Sicher«, sagte sie dann. »Aber du, ich hab einen Fleck auf der Hose.«
»Was?«
»Einen Fleck. Vom Senf.«
»Vom Senf?«
»Ja, mir ist ein ganzer Liter Senf auf die Wurst gefallen und ...«
»Denkst du jetzt etwa ans Fressen?«, fragte er und setzte sich auf.
Ihm sträubten sich die Haare, standen nach allen Seiten ab. Sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, obwohl sie wusste, dass das nicht der richtige Zeitpunkt war. Er sah sie verwirrt an, sah aus, als wäre er eben aufgewacht, seine Augen waren zu Spalten zusammengekniffen.
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