Die Herren nicken sich zu und lächeln, die Uhr verkündet die zweite Stunde — und der Graf füllt eigenhändig die Tasse des Arztes mit dem starken Kaffee, den er vorläufig dem Sekt vorzieht.
Draussen glitzern die Sterne, und der Mond wirft spiegelnde Bilder über die schneeige Pracht des Gebirges, und die Rehe im Park schrecken plötzlich zusammen und fliehen in schützendes Tannengebüsch — —
Ein Böllerschuss kracht von dem Schloss — noch einer — und abermals einer —
Und wie ein Jauchzen und Jubeln geht es durch das Schloss: Ein Sohn! Ein Sohn! — Es rollt in den Bergen und weckt das schlaftrunkene Echo — ein Schuss — noch ein Schuss — und die Leute im Dorfe drunten, die zuerst erschreckt aus den Kissen gefahren, lächeln und drehen sich behaglich auf die andre Seite.
„Auf Kochenhall ist ein Sohn geboren! Du liebe Zeit, wie wird sich die Gräfin freuen!“
Behagliches Dämmerlicht herrscht in dem eleganten Salon der Gräfin Theodora.
Kochenhall ist ein uralter Bau und kennt nicht die zierlichen Boudoirs moderner Villen und Paläste, in seinen Mauern dehnen sich grosse, weite, viereckige Gemächer, mit getäfelten Decken, die meist so niedrig sind, dass man Mühe hatte, die Kronleuchter aufzuhängen. Nur im Waffensaal, der Ahnengalerie und dem grossen, neu ausgebauten Speisesaal hat man die Decken um eine ganze Etage emporgerückt, und die kleinen, gewölbten Fenster mit den zwölffach geteilten und in Blei gefassten Scheiben zu hohen, hellen, kirchenartigen Bogen erweitert.
Die altertümlichen Gemächer hat man jedoch in ihrem charakteristischen Burgstil belassen, und Gräfin Theodora hat sich ein grosses Eckzimmer zu ihrem Salon gewählt, das durch einen achteckigen Giebelausbau, der gleich einem Schwalbennest an den Mauern über der steil niederfallenden Felswand schwebt, etwas ganz besonders Behagliches und Trauliches bekommt.
Giebel und Erkerchen, Türmchen mit trutzigen Zinnen sind überall an dem winkligen Gemäuer angeklext und gewähren zumeist die herrlichste Rundsicht über das Tal und das Hochgebirge, das seine imposanten Schneehäupter hoch in die Wolken hebt.
In dem offenen, altmodisch überdachten Kamin flammt ein gewaltiges Holzfeuer, dieweil der unentbehrliche „Amerikaner“, hinter hohem Eisengitter versteckt, dieses „Dekorationsfeuer“ durch wohltuende Wärme nachdrücklich unterstützt.
Wohl prangen an den Wänden alte Gobelins und geschnitzte Wappentafeln, schmiedeeiserne Leuchter und dunkelgebräunte Paneele, — auch mächtige Sitztruhen, uralte Sessel und Schränke füllen die Ecken, aber dazwischen hat man dennoch bequeme und moderne Möbel geschoben, ohne die eine verwöhnte Dame kein wahres Behagen finden kann.
Der vortreffliche Geschmack der Gräfin hat allerdings diese neumodischen Eindringlinge möglichst in den Rahmen der alten Bergfeste hineingepasst, hat die Bezüge der einzelnen Polsterstücke in denkbar ältesten Brokatmustern und -farben herstellen lassen, und es ist ihr gelungen, trotz der Verschiedenartigkeit eine entzückende Harmonie zu schaffen, die den Zauber des alten Burgzimmers in nichts zerstört und dennoch den Ansprüchen der Gegenwart Rechnung trägt.
Gräfin Theodora war stets eine auffallend schöne Frau gewesen, für manchen Geschmack freilich etwas zu marmorkühl und regelmässig, wie eine klassische Statue, die von ihrem Sockel herabgestiegen, zwischen Menschen zu wandeln, — jetzt aber, als ihr der heissersehnte Sohn im Arme lag und sie wieder und wieder mit langem, forschendem, beinahe prüfendem Blick sein kleines Gesicht umfasste, jetzt erst schien wahres Leben in ihren Adern zu pulsieren und ihre Schönheit voll erblüht zu sein.
Ein ganz neuer Ausdruck triumphierenden Stolzes lag auf dem ehedem so kühlen und gleichgültigen Gesicht, eine jauchzende Genugtuung, ein brennendes Interesse, das warmen Purpur in ihre Wangen trieb.
Die dunklen Augen leuchteten seelenvoller, befriedigter als zuvor, und um die Lippen spielte ein Lächeln sieghafter Freude, wie bei einem Menschen, der nach langem, ungeduldigem Harren endlich die Kampfbahn betreten kann, an deren Ende das heissersehnte Ziel winkt. Die junge Mutter lag bequem auf einem Diwan gebettet, in per eleganten, von Spitzen und Bändern umwogten Matinee schier königlich anzuschauen, und sie reichte der harrenden Kinderfrau mit strahlendem Blick ihren Sohn zurück, noch einen langen, beinahe weihevollen Kuss auf die kleine Stirn drückend.
Und dann, als man den Kleinen zum Schlaf hinaustrug, lehnte sie wie in träumerischem Sinnen das Haupt zurück, und ihr Blick flog hinüber zu der schlanken, vornehmen Gestalt ihres Mannes, der vor wenig Augenblicken den Platz an ihrer Seite verlassen, um in den kleinen Erker zu treten.
Die Hände lässig in die Taschen seiner Joppe versteckt, ganz leise eine heitere Melodie durch die Zähne pfeifend, stand Graf Alexis und blickte voll innigen Behagens in die herrliche, weissverschneite Landschaft hinaus.
Der Sturm pfiff und schrillte um die Mauern und Söller, Schneeflocken wirbelten in tollem Tanz durch die Luft, und drunten im Dorf blitzten die ersten Lichter auf, hier und da tönte ein schwacher Klang der Betglocke vom Schlossturm, und vom Wald herauf rauschten die Wipfel wie ferne Meeresbrandung.
„Weisst du, Liebling, dass ich Kochenhall im Winter schön finde, schöner beinahe als im Sommer?“ sagte er plötzlich und trat wieder neben den Diwan der Gräfin zurück. „Etwas so Urgemütliches wie solch ein ‚Verschneitsein‘ gibt es kaum wieder! Es ist einmal etwas andres, so ganz andres um diese Stille und Einsamkeit, als wie in der Residenz daheim! Theater und Konzerte gibt’s freilich nicht — und doch ist solch ein Winterbild im Hochgebirge auch ein Schauspiel, wie es majestätischer kaum zu finden ist, und der Schneesturm ist ein Konzert, das kein Kapellmeister in gleicher Grossartigkeit zustande bringt. — Solch ein Winteridyll auf Kochenhall ist wundervoll! Wirkt wie Karmelitergeist, der den Magen stärkt und Hunger macht! Was meinst du, Theo, wie das Leben nachher in M. schmecken wird? Herrlich! Man hat an allem, was einem mit der Zeit langweilig geworden, wieder neue und doppelte Freude! Und darum will ich dir einen Vorschlag machen: wir wollen jedes Jahr bis nach Weihnachten hierbleiben! Als Medizin und Lebenselixier! Und last not least als ein Wintermärchen, das wir als verzauberte Königskinder träumen! In M. muss ich dich mit einer endlosen Schar von Verehrern teilen, hier aber gehörst du mir allein, Theodora, und darum liebe ich Kochenhall als Schutzwarte meines Glücks.“
Der Sprecher küsste voll zärtlicher Galanterie die weisse, brillantenblitzende Hand, die in der seinen lag, und die Gräfin neigte das Haupt lächelnd gegen seine Schulter.
„Gut, Alexis, dein Wunsch soll mir Befehl sein, ich will dir jedes Jahr in Kochenhall neue Rosen der Liebe und des Glücks aus Schnee und Eis erblühen lassen, ich will gern bis nach Weihnachten hierbleiben und dir jedwedes Opfer bringen, das die Einsamkeit von mir verlangt — aber, ich verlange dafür eine Gegenleistung, die du, lieber Schwärmer, mir hoffentlich nicht versagst ...?“
Der Graf blickte lebhaft auf, sein Auge leuchtete, beinahe ungestüm drückte er die Lippen auf ihr Antlitz.
„Endlich, endlich einmal ein Wunsch!“ lachte er. „Gott sei Dank, Theodora, dass du mir auch einmal Gelegenheit gibst, Wachs in deinen Händen zu sein!“
„Wenn man alles hat, bleibt kein Wunsch mehr!“ scherzte sie. „Du hast mich mit allem, was das Herz begehrt, derart überschüttet, dass ich bisher nur deiner Generosität wehren musste!“
„Nun, und jetzt?“
„Jetzt möchte ich nur deiner Güte zuvorkommen und bitten, ehe du gewährst!“
„Alles, Herzliebste, alles!“
Sie sah plötzlich ernst zu ihm auf und drückte seine Hand fester. „Es ist ein seltsamer, ja ich möchte wohl sagen, ein ungebührlicher Wunsch, den ich äussern möchte,“ sagte sie leise, „denn ich weiss, dass ich mit ihm in deine Rechte eingreife! Dennoch versuche ich es und hoffe auf deine Zustimmung.“ — Sie zögerte momentan und blickte forschend in seine etwas erstaunt schauenden Augen. „Es betrifft unsern Sohn. Du weisst, wie unaussprechlich ich mir den Knaben wünschte, wie meine ganze Seele an dem Verlangen, einen Stammhalter zu besitzen, krankte. Nun ist mein Sehnen gestillt, er ist mein geworden! Mein und dein! — Man hat mir stets gesagt, dass ich viel Talent zum ‚Regieren‘ besitze —“
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