„Wie ich wieder zu mir kommen bin und hab’ einen Essenz auf der Zunge g’schmeckt, ist mir alles ganz fremd g’wesen. In einem Stüberl bin ich g’legen, und ein Frauensleut, mit einem G’sichtl, wie die heilige Genoveva so fromm, hat sich über mich beugt und mich ang’schaut.
‚Gott sei Dank, er lebt!‘ hat’s g’wispert, und dann, wie ich auch die Doktors g’sehen hab’, hab’ ich g’wusst, dass ich im Lazarettl bin. Na, ich fass’ mich kurz: Schau, Roseli, der heilige Hieronymus hat Wort g’halten, aber ein bisserl grob ist er mir schon kommen dabei. Möglich, dass nit anders hat g’schehn können. Mein G’sicht war vom Huf ganz g’spalten, und dass ich nit ’s Augenlicht verloren hab’, ist ein grosses Wunder. Die Rippen sind mir auch eindruckt g’wesen, und alles in allem war ich zerschunden, dass s’ mich haben zusammeng’flickt wie eine lederne Hosen. G’schehen ist das Unglück am Frohnleichnamstag — und jetzt erst bin ich wieder so weit, dass ich mich am Stock kann fortschleppen.“
Wieder unterbrach das Roseli die Erzählung durch lautes Lamentieren, streichelte das blasse Gesicht mit der mächtigen Narbe, auf dessen hageren Wangen die Bartstoppeln kräftig aufschossen, und drückte und küsste den Herzliebsten ab, als sei er ihr in Wahrheit neu geschenkt worden.
„Und frei bist kommen, und hier bleibst?“ fragte es dazwischen und lachte unter Tränen. „Das ist bei all dem Herzleid die einzige Freud’!“
„Das ist’s. Zum Felddienst taug’ ich nix mehr,“ nickte der Wastl voll leiser Wehmut, „und wenn ich auch nit ein Krüppel bin, so kann ich doch nit so bald aufs Besserwerden denken, und das kümmert mich schon recht viel!“
„Red’ nit, dein Mutterl tragt dich auf den Händen und pflegt dich und denkt Tag und Nacht nix andres als Liebes und Gutes für dich. Dann kommst schnell wieder zu Kräften und raffst dich zusammen, dass du bis Weihnachten ganz der alte Wastl bist!“ Und dann schlug die Trösterin plötzlich wieder die Hände vors Gesicht und schluchzte: „Nur kränkt’s mich vom Hieronymus, dass er dir so ein Unglück g’schickt hat! Das war nit gut von ihm, und ich hab’ ihm doch alle Tag’ frische Blümerln bracht ...“
Der Wastl legte den Arm sanft um die Weinende. „Trotz’ mir nit dem heiligen Mannerl,“ sagte er leise, „grade recht g’schehen ist mir, dass er mich so zusammeng’schlagen hat! Schau, Roseli, dir allein vertrau ich’s. Ich bin ein schlechtes Leut’ g’wesen und hab’ nit zum Heiligen bitt’ fein demütig und bescheiden, wie sich das g’hört, sondern ich hab’ aufbegehrt und trotzt und ihm droht, dass ich ihn wollt’ blamieren. So was aber ist eine Sünd’ und verdient eine Straf’. Die hab’ ich kriegt und trag’s geduldig und dank’ dem lieben Heiligen, dass er noch so gut mit mir g’wesen ist!“ Er beugte sich näher und zog tief aufatmend die Mütze von dem krausen Blondhaar. „Siehst, Roseli, alleweil haben sie mich einen Flank und Loderer g’nannt, weil ich ein trotziges Gemüt g’habt hab’ und kein Pfund Lumpen wert war, ich weiss das, widersprich mir nit! Nix ist mir so recht heilig g’wesen auf der Welt, und ich hab’ alles veracht’ — und nur du, mein liebes Dirnei, hast zu mir g’halten und nit drauf g’hört, wenn sie dir zug’red’t haben, dass du unklug bist — denn wenn ich auch ein Häuserl, Vieh und ein paar Streifen gutes Ackerland vom Vater hätt’, das tät’ ich verludern und zugrund’ richten. Du hast nit drauf g’hört, mein Roseli, und darum bist du’s, für die ich hundert Leben gebet, und du bist es, die mich halt, wenn ich vermein’, es ist alles aus! Siehst, allein dir zulieb’ hat der heilige Hieronymus mich gar so grob herunterg’worfen, dass ich Zeit hätt’ zum Nachdenken und zum Besserwerden. Ein ganz schlechtes Leut’ bin ich nie nit g’wesen, aber so recht ein gutes will ich jetzt erst werden, meiner Seel’! Und ich bleib nun zu Haus und werd’ ein Bauer und verwalt’ meine Sach’, wie es mein Mutterl sich alleweil g’wünscht hat, und will arbeiten für zwei, wenn ich erst wieder zu Kraft kommen bin. Bis dahin schnitzl ich mir selber alles neu, was im Häuserl vom Hausrat im Verfall ist, und zu Drei-König hol’ ich mir die Hochzeiterin — das bist nur du, mein Roseli, mein liebes Dirnei du!“
Was das Roseli geantwortet hat, wusste es selbst nicht, auch die stillen, duftenden Tannen, die leise die Zweige über ihnen neigten, hörten es nicht, denn jeder Laut verstarb in den jauchzenden Küssen, mit denen der Wastl seines Schatzes kirschfarbenen Mund verschloss. Die Nebel wallten wie feine, klare Silberschleier im Tal, und hinter den schneeigen Alphäuptern tauchte der Mond empor und goss sein bläuliches Licht über das zauberstille Tal.
Aus den Eichwipfeln am Berg droben funkelten die Lichter von Kochenhall wie ein Märchengebild, und aus der Holunderlaube im Garten der Oberförsterei schallten Jubel und Gelächter, frische Schnadahupfln und manch ein bierseliger Juhschrei, der vom Dorf herauf und von der Alm herunter nicht minder keck und „g’mütlich“ erwidert wurde.
Um das Bildstöckel des heiligen Hieronymus in des Roselis Kämmerlein aber rankten die herrlichsten Zyklamen und ein kleiner Buschen Edelweiss, den ein Waldläufer heut dem Roseli heimgebracht und den es morgen, zum Sonntag, an der Brust tragen wollte, als gar einen seltenen Schmuck, — jetzt aber legte es ihn mit bebenden Fingern vor seinem Schutzpatron nieder und sagte nur schluchzend: „Weisst’s ja, wofür ich dank’!“
Und der Heilige lächelte ihm zu und wusste es.
Er pflanzte Seit’ an Seite
Ein Reis und noch ein Reis,
Die wuchsen ganz verschieden,
Eins blühte rot, eins weiss, —
Erasmus Hill.
Jahre waren vergangen. In der Oberförsterei war gar manches anders geworden, aber nicht zum Schlimmen, sondern zum Guten, und der Geist des Frohsinns und der Heiterkeit herrschte nach wie vor unter dem spitzen Giebeldach, wenn auch schwere Tage nicht ausgeblieben waren und das rosige Gesicht der Susei würdevoller dreinschaute wie ehedem, und der Scheitel der Zirblerin immer silberner erglänzte.
Sonst war sie noch rüstig und rührig und waltete ihres Amts in Haus und Hof wie zuvor, nur mit dem Augenlicht hatte es ein wenig nachgelassen, so dass sie nunmehr eine grosse, runde Hornbrille auf die Nase setzte, wenn es galt, eine Arbeit genau zu sehen, oder aus „dem Himmelschlüssel“, ihrem lieben, alten, schon gar abgegriffenen Büchlein, zur Sonntagserbauung zu lesen.
Einzig unverändert war der Hiesel geblieben, ebenso hager, braun und sehnig wetterfest wie ehedem, allweil fidel und aufgelegt, „ein bisserl grantig“ und dickköpfig, und dabei so herzensgut und kreuzbrav, dass es nicht allein der Friedel war, der ihm mit Leib und Seele anhing, sondern alle im Haus den Alten aufrichtig gern hatten.
Was hatte er nicht mit dem Friedel geteilt in den frohen, langen, bangen Jahren, bis aus dem Bübli ein Grosses geworden war! Der Friedel war und blieb sein alles, und als auch nacheinander fünf andre kleine Hascherln in der Wiege lagen, da sass er wohl dabei und wehrte ihnen die Fliegen ab und schnitzelte ihnen Rössln und Gamsböck, aber der Friedel war und blieb sein Augapfel, auf den hielt er die grössten Stücke, und der Bub wiederum kannte keinen bessern Freund als den Hiesel, — dem vertraute er alles an, selbst die losesten Streiche, und an denen mangelte es beim Friedel niemals.
So sehr wie Friedel äusserlich das Ebenbild des Vaters war, so sehr hatte er wiederum den Charakter der Mutter geerbt.
All die sonnige Heiterkeit, Sorglosigkeit und Lebensfreude, die auch jetzt noch aus der Susei Augen lachten und ihr die Herzen gewannen, waren auch des Sohnes Erbteil, und dazu hatte der Friedel noch ihren praktischen Sinn, der überall das Brauchbare herausfindet und sich jedwede Situation nutzbar macht.
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