Die Infrau tat es nicht unter einem feinen Kranz von Zitternelken, die kunstvoll aus Silberdraht und Flittern hergestellt waren, damit schmückte sie ihr lieb’s, wunderkräftig’s Bildstöckel; das Roseli konnte so viel nicht anlegen, aber es kränzte seinen Hieronymus mit frischen Blumen und hing ein Wachsherzl bei ihm auf, für den Wastl. Und es vergass nicht, für den Schatz zu beten, dass er zum Herbst schon möge frei kommen, wenngleich es manchmal doch bei aller Zuversicht recht beklommen aufseufzte und selber vermeinte, solch eine schwere Bitt’ sei gar unbescheiden, und ein Fürtüchel und eine Henn’ wären schon eher zu beschaffen, als so ein kecker Eingriff in des Königs Regiment.
Wie freu’ ich mich! Wie freu’ ich mich!
(Die lustigen Weiber.)
Eine so herrliche Zeit hatte man schon lange nicht zuvor verlebt, vollends als die gräflichen Herrschaften wieder ihren Einzug auf Schloss Kochenhall gehalten und trotz viel städtischen, vornehmen Besuchs doch häufig in dem Forsthaus vorsprachen. Nichts amüsierte die Gräfin mehr als des Friedels absonderliche Kinderfrau mit dem Stelzfuss, und sie lobte des Hiesels ehrliche Treue und Fürsorge und meinte, einen zuverlässigeren Wärter könne Frau Susei niemals für ihren Kleinen finden.
Es war reizend anzusehen, wie die beiden Knäblein zum erstenmal einander gegenübergesetzt wurden, auf dem weichen, duftigen Rasen, über den die gräfliche Kinderfrau zuvor noch vorsichtshalber ein dickes Wollplaid breitete.
Der Hiesel sah das mit Staunen, denn sein Friedel rutschte zumeist ohne solch feines Tuch im Gras herum und freute sich daran, die Blumen und Gräser zu raufen; aber was war auch sein Bübli für ein strammes, fesches Mordsmannerl, gegen das blasse, feingegliederte Grafensöhnchen mit den grossen, ernsten, klugen Augen! So auf den ersten Blick mochte man den derben, drallen Friedel um vieles älter halten als den kleinen Eckbrecht, denn er wog wohl um acht Pfund mehr und war in all seinen Bewegungen viel fixer und kräftiger als der bedächtige kleine Graf. Wenn man aber wiederum in die Gesichtchen der Knaben schaute und den klugen, verständigen Ausdruck in Eckbrechts Augen sah, während des Friedels blanke Schelmenaugen wohl viel Lebensfreude, aber keinerlei Nachdenklichkeit verrieten, dann ward man doch zweifelhaft und taxierte das Söhnchen der Schlossherrin um ein bedeutendes älter, als es war.
Die beiden Kleinen fanden ein sichtliches Wohlgefallen aneinander und ergänzten sich in glücklichster Weise, denn wenn Eckbrecht gar zu still und träumerisch die Blumen und Steinchen umeinander drehte, dann warf sie Friedel desto ungestümer umher, lachte und patschte den Spielkameraden an, bis dieser von seiner Heiterkeit angesteckt wurde und sich bemühte, es dem wilden kleinen Schelm im Kriechen, Purzeln, Lachen und Krähen nachzutun. Und wiederum blickte Friedel voll Interesse auf Eckbrecht, wenn dieser es verstand, sich lange Zeit mit einem Spielzeug trefflich zu unterhalten, und er ahmte es ebenfalls nach, untersuchte seine Hirsche und Rössl’n genauer als bisher und drehte sie auch in den Händchen wie sein Freund, wenngleich ihm der Reiz eines solch geduldigen Spiels nicht ganz verständlich schien.
Der Hiesel hatte für das fremde Bübli sogleich das beste Gamsböckel aus dem Reservefond seiner Truhe herausgeholt und es dem kleinen Grafen geschenkt, denn der Stolz schwellte sein Herz, dass Eckbrecht ein gar zu grosses Entzücken an dem Tierchen fand.
So verlief das Leben sorgenlos und voll schönster Harmonie, und es erreichte an einem frischen, sonnigen Spätherbsttag des Glückes Höhepunkt. War es doch zuvor schon allen aufgefallen, dass der Oberförster viel Geheimes mit dem Seehofer zu tuscheln hatte und verschiedene grosse Dienstbriefe schrieb, so erstaunte es männiglich im Forsthause noch mehr, als an besagtem schönen Herbsttag das offene Jagdwägelchen zur Bahnstation rollte, um ein paar hohe Vorgesetzte aus der Residenz, die dem Oberförster von früher her bekannt und befreundet waren, abzuholen.
Die Zirblerin und das Susei hatten voll höchsten Eifers ein gar treffliches Mahl hergerichtet, und als die Tafel besonders festlich mit Tannengrün und den leuchtendsten Herbstblumen geschmückt war, da eilte die junge Frau davon, sorgsamer geschmackvoller als je Toilette zu machen. Sie trug sonst mit Vorliebe die bayrische Gebirgstracht, wenn sie daheim war, heute aber legte sie das elegante, dunkelgrüne Tuchkleid an, das ihre blonde, rosige Schönheit ganz besonders zur Geltung brachte, und sah so blühend und jung und schlank, und doch so kraftvoll schick darin aus, dass die Zirblerin voll stolzer Zufriedenheit nickte: „Wenn mir jetzt wer saget, Ihr wäret die Gräfin selber, ich tät’s glauben.“ Und dann kamen die beiden Herren, ein Oberforstmeister und ein Forstrat, von Leutnant Seehofer begleitet, und man sass nach einem kräftigen Imbiss in dem Arbeitszimmer Schills zusammen und führte lebhaft und eifrig die Unterhaltung.
Bei dem Mittagessen aber erhob sich der Oberforstmeister und brachte einen gar überraschenden Trinkspruch aus.
Sein erstes Hoch galt dem König, sein zweites dem Forstmeister Schill, und sein drittes dem neuernannten Oberförster Seehofer.
Welch eine Freude, welch eine Aufregung in dem ganzen Forsthaus!
So etwas hatte sich ja keiner vermutet. Nur der ältere Forstpraktikant strich sich sein dunkles Schnurrbärtchen gewichtig empor und meinte: „Es war wohl an der Zeit, dass Schill avancierte, und der Feldjäger hat seine Oberförsterei auch verdient. Nun bin ich nur gespannt, in welche Stadt der Schill versetzt ist, und wen wir an seine Stelle herbekommen!“
Die Worte übten eine furchtbare Wirkung. Wie ein Wassersturz dämpften sie all die himmelhoch schlagenden Flammen der Freude.
Fort von hier? In die Stadt hinein? So etwas war ja gar nicht auszudenken!
Die Zirblerin sass auf der Herdbank wie gelähmt, denn ein Abschied von ihren Heimatsbergen deuchte ihr schlimmer als der Tod, und wiederum ein Trennen von der Familie ihres Brotherrn war ein Unding, — eh löst man einen Rettich mit allen Wurzeln und Faserchen aus seinem Erdboden, eh’ man die Zirblerin von ihren Lieben trennt.
Welch ein böser, schrecklicher Blick in die Zukunft! Auch der Hiesel sass, als sei ihm die ganze Ernte verhagelt, und ’s Roseli und die Evi lamentierten, dass sie nun auch gar keine Freude mehr an den neuen Titeln der beiden Herren hätten! Erst am Abend, als der neue Forstmeister die Herren zur Bahn brachte, und die Susei freudeglühend in die Küche stürmte, die Zirblerin noch einmal so recht mit ungenierter Wonne zu umhalsen, und als sie statt lachender Gesichter all die niedergeschmetterten Mienen sah, da schlug sie schier übermütig die Hände zusammen und gab Bescheid.
„Der Vater,“ sagte sie, „hat niemals eine Freude am Stadtleben gehabt und hängt an seinem Dörfel und den Bergen hier mit derselben Lieb’ und Treue wie ihr. Nur mit grossem Unmut hat er daran gedacht, dass man ihn nun bald zum Forstmeister machen werde, was ja seine Versetzung zur Folge haben musste. Allzu rüstig ist er auch nicht mehr, ihr wisst, dass er’s leicht mit der Atemnot bekommt, vollends in der Stadtluft. — Na, da hat er den Entschluss gefasst, sich zur Ruhe zu setzen, und weil sie ihm in der Residenz gar wohl gesonnen sind, und auch meinem Oswald stets ein grosses Wohlwollen entgegengebracht haben, da ist die Sache nach Vaters Wunsch geregelt worden.
Er setzt sich zur Ruhe und nimmt seine Pension, und Oswald bekommt an seiner Statt hier die Oberförsterei, — dann wohnt der Vater bei uns und braucht sich nicht von uns und seinen lieben Bergen zu trennen, und wir alle bleiben hinfort beisammen — und brauchen nicht wieder Abschied zu nehmen; seht ihr, das war’s, was der Vater jüngst gemeint hat!“
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