Du liebe Zeit, — war’s denn nur möglich, dass so viel Glück und Freud’ unter einem einzigen Dach Platz haben?
Ausser Rand und Band ist alles gewesen, und gesungen und gejuchzt und getrunken ist worden, wie selbst damals zur Susei ihrer Hochzeit nicht.
Der Hiesel ist aber der Ausgelassenste gewesen, und hat sich einen Rausch getrunken wie vor langen Jahren, als er noch auf zwei gesunden Füssen gesprungen ist. Da ist ihm auch etwas passiert, was seit zehn Jahren nicht mehr vorgekommen ist, — der Hiesel und das Grünei haben sich in selber Nacht getrennt. Ersterer hat in seinem Kämmerlein halb auf der Holzbank, halb auf dem Schemel gelegen, das Grünei aber hat allein den Weg ins Bett gefunden, weil es der Alte justament noch einmal mit einem lallenden Juchzer in die Luft geworfen hatte. —
Gerad, wie alle in der grössten Fröhlichkeit waren und immer wieder das Wohl vom neuen Forstmeister und neuen Oberförster getrunken haben, wie die Jägerburschen, Forstläufer und sogar die Praktikanten dabei waren, das Fassl Bier, das ihnen der Schill spendiert, in den Garten, zur Holunderlauben, zu rollen, hat die Evi noch am Küchenfenster gelehnt und hastig ihren Teller mit Knödeln geleert, als urplötzlich eine Hand sie gezupft hat und eine Stimme wisperte: „Roseli, ich bin’s, der Wastl! Komm heraus zu den Tannen!“
Das Evi hatte überrascht den Kopf gewandt und im Mondlicht nach dem Wastl ausgeschaut, aber mit einem Schrei des Schreckens war es davongestoben und hatte geschrien:
„Naa, naa, das ist der Wastl nit — das ist sein Geist! Ich kenn’ ja den Wastl! Das war ein frischer, rotbraunwangiger Bursch! Aber der schaut so käsweiss aus wie ein Leichentüchl.“
Das Roseli verfärbte sich und zitterte an allen Gliedern.
„Er war’s nit“, stammelte es. „Der Wastl ist in München bei den Soldaten ...“
„Er ist’s nit? — Selber g’sagt hat er’s, und seine Stimm’ ist’s auch g’wesen!“
„Evi, dann ist er g’storben, dann hat er sich ang’meld’t, und was du g’sehen hast, war ein Gespenst!“
Roseli schrie laut auf vor Entsetzen und drückte sein erbleichtes Gesicht in die Schürze.
In demselben Augenblick trat der Toni in die Tür.
„Roseli!“ rief er atemlos, „wenn du wüsst’, wem ich jetzt die Hand druckt hab’!“
„Sein’ Geist? Dem Wastl, wie er leibt und lebt? Ach, Toni, mir wird nit gut vor Schreck. Ich mein’, es vergehn mir die Sinne, wenn ich dran denk’!“
„Wo hast ihn g’sehen? Am Friedhof?“ flüsterte die Zirblerin mit stockender Stimme.
„Warum nit gar! Sein’ Geist! Am Friedhof! — Haha! Zum Lachen ist’s! Ich könnt’ ja grad nit sagen, dass er ausschaut wies blühende Leben, aber lebendig ist er, das schwör’ ich, denn ich hab’ ihn essen und trinken g’sehn, und wenn’s auch nur Brot uns Käs war, so weiss ich doch, dass die Geister keinen Schnaps trinken!“
„Toni, ich bitt’ dich, sag’s! Tust mich auch nit foppen?“
„Niemals nit! Und b’soffen bin ich auch noch nit! Das kommt erst nachher in der Lauben draussen, wo s’ eben ein Fassel hinrollen. Gelt, Hiesel, da hol’n wir uns heut ein Räuscherl, ein gehöriges! Und nun sag’ ich dir, Roseli, pack’ dich zusammen und sag’ dem Wastl grüss Gott! Auf den Baumstämm’ bei den Tannen sitzt er und wart’ auf dich.“
Des Roselis erst so bleiches Gesicht glühte plötzlich wie Feuer. Es presste die Hände gegen den Brustlatz und atmete tief auf.
„Wahr ist’s? O du mein, grade aufjauchzen möcht’ ich vor Freud’!“ Und nicht mehr rechts und nicht mehr links blickend, stürmte das Dirnei durch die Tür, in den stillen, fein nebeldunstigen Herbstabend hinaus.
Atemlos stürmte es den Sandberg hinter der Oberförsterei herab, wo, kaum zehn Schritt weit, die Tannen den Berghang säumten.
Richtig, auf dem dicken, gefällten Baumstamm sah es die Gestalt eines Burschen sitzen, der sich bei seinem Anblick erhob, die Soldatenmütze schwenkte und einen Juhschrei ausstiess.
Ja, das war der Wastl, wenn auch seine Stimme matt und sehr, sehr viel schwächer klang als sonst. Er sprang seinem Schatz auch nicht entgegen, wie ehedem, sondern stützte sich auf seinen Bergstock und wartete.
Zitternd vor Freude und Aufregung erreichte ihn das Dirnei.
„Wastl! — Ja Wastl! — O du mein Herrgott, wo kommst du denn her?“
Er streckte ihm beide Hände entgegen und lachte, und das Roseli ergriff sie und schaute ihm in das Gesicht.
„Jessas!“ schrie es auf und riss entsetzt die Augen auf. „Wastl — bei allen Heiligen, wie schaust denn aus?“
Der Bursch tastete nach Stirn und Wange, über die sich eine blutrote Narbe zog, ganz besonders grell und auffällig zu sehen, weil das Gesicht bleich und hager, schier bis zur Unkenntlichkeit abgezehrt aussah.
„Ja, Roseli — gelt, so hast mich nit erwartet?“ gab er lächelnd zurück. „Einen feschen, strammen Bub hast dir denkt, und nachher kommt ein Krüppel und kümmerliches Leut, das kaum noch den Berg ’naufkraxeln kann!“
„Wastl, ich bitt’ dich um meiner Seel’ willen, was ist dir zug’stossen?“ jammerte das Dirnei auf und schlang die Arme um den Liebsten und drückte ihn so angstvoll an sich, als wolle es ihn jetzt noch vor allem Ungemach beschützen.
Wastl setzte sich erschöpft auf den Stamm nieder und zog die Sprecherin neben sich, nahm ihren Kopf zwischen die beiden, ehedem so kraftvollen Fäuste, die jetzt mager und farblos geworden waren, wie bei einem, der lange Zeit auf dem Siechbett gelegen, — und küsste seinen Schatz so recht voll inniger Zärtlichkeit ab.
Nicht mehr so ungestüm und feurig wie ehedem, aber dem Roseli deucht’s, mit viel mehr Lieb’ und Treue als sonst.
„Was mir zug’stossen ist“, wiederholte er endlich mit einem schnellen Lächeln und dem Versuch, zu scherzen. „Ei, der heilige Hieronymus hat sein Wort g’halten und hat mich freikommen lassen, grade so, wie wir’s erbitt’ haben!“
„Freikommen?“ Roseli schlug mit leisem Aufschrei die Hände zusammen. „Wahr g’macht hat er’s? Bist los und ledig vom Soldatenstand? Wastl, und so ein Wunder sagst mir nit gleich?“
„Ich sag’s ja schon! Und das Wunder ...“
„O mein, das gute, liebe Hieronymusl! Nun weiss ich aber gar nit mehr, was ich ihm dafür Gutes tun soll“, schluchzte Roseli und faltete im seligen Entzücken die Hände so inbrünstig, dass sie erzitterten.
Wastl nickte still vor sich hin, bis das Dirnei abermals seinen Arm fasste und aufgeregt fortfuhr: „Jetzt sag’, wie dir das g’schehen ist, ich kann’s ja nit begreifen.“
„Na, da schau mich nur an“, lächelte der Bursch mit einem leichten Seufzer. „Ein grosses Vergnügen ist’s nit gewesen für mich. Aber ich murr’ nit mehr und weiss jetzt, dass ich’s nit besser verdient hab’. Recht einen gehörigen Treff hat er mir gegeben, der Heilige, und hat mich vom Rössel g’stossen, dass ich g’meint hab’, es hat mir den Rest geb’n. Eine Attacke haben wir g’ritten, und eine Hitz’ und ein Staub ist g’wesen, dass man nit die Hand vor dem Aug’ g’sehen hat. Ja, wenn der Mensch seine Sünden soll abbüssen, dann lasst ihn nur so eine Attacke reiten, da braucht er kein Fegfeuer und keine Höll’ nit mehr! Und wie wir nit mehr g’wusst haben, wo’s Rössel hintritt, da ist schon ein Geknatter g’wesen, und die Soldaten und die Rösser sind übereinander g’schossen in einen Graben hinein. Ich bin zu unterst g’legen und hab’ noch einen Huf in mein G’sicht g’spürt, dass das Feuer mir ist aus den Augen g’stoben. Was nachher kommen ist, weiss ich nit mehr. Ich hab’ das Bewusstsein verloren und bin dag’legen wie tot.“
„Jessas! O du mein armes geplagtes Leut’!“ schluchzte Roseli und klammerte sich voll Entsetzen an den Sprecher. „Allen Heiligen sei tausend Dank, dass du noch lebst!“
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