„Wohin du willst!“
Auf der Fahrt in das elegante Eßlokal erklärte Peter noch in allen Einzelheiten, warum er zu dem Rendezvous am Nationaltheater nicht kommen konnte.
„Ich war ganz verzweifelt“, sagte er, „aber was sollte ich machen? Zu Hause hast du kein Telefon, und in der Kanzlei wollte ich nicht anrufen . . .“
„Es war blöd von mir, so beleidigt zu reagieren“, gestand Sabine. „Ich hätte mir gleich denken sollen, daß etwas Geschäftliches dazwischengekommen ist.“
„Was hast du dir denn gedacht?“
Sabine senkte den Blick. „Ich weiß nicht. Dieser Erich Krüger hat so komische Bemerkungen gemacht . . .“
„Das sieht ihm ähnlich! Er kann die blöden Witze nicht lassen! Ich glaube, dem werd’ ich mal Bescheid geben müssen.“ Peter Hartmann zog den roten Porsche rasant durch eine Kurve. „Aber ansonsten ist er ein guter Junge. Man darf ihn bloß nicht ernst nehmen.“
„Ihr seid Freunde?“
„Na, wie man’s nimmt. Ich habe am Anfang meines Studiums ein Jahr lang mit ihm in der gleichen Bude gehaust. Sowas verbindet.“
„Ich war ziemlich abweisend zu ihm. Glaubst du, er wird mir das übelnehmen?“
„Ach was! Mach dir darüber keine Gedanken! Das werd’ ich schon wieder einrenken.“ Er legte den Arm um Sabines Schulter und drückte sie liebevoll an sich. „Ich bin so froh, daß ich diesen Abend doch noch mit dir verbringen kann. Freust du dich auch?“
„Ja, Peter“, sagte sie und kuschelte ihren Kopf an seine Schulter.
„Viel mehr Sorgen macht mir deine Mutter. Sie ist nicht gerade gut auf mich zu sprechen . . .“ Er nahm die zweite Hand wieder ans Lenkrad.
„Auf keinen Mann.“ Sabine wurde plötzlich ernst. „Aber das ist mir egal!“
Eine kleine Pause entstand. Dann sagte Peter mit veränderter Stimme: „Sabine, vielleicht hältst du mich jetzt für verrückt . . . Aber ich . . . ich meine es ernst mit dir . . .“
Sie hielt den Atem an, ihr Herz begann wild zu pochen. Sprich weiter! flehte sie im stillen. Liebster, sprich bitte weiter . . .
Peter starrte durch die Windschutzscheibe. „Du bist die erste Frau, die mir etwas bedeutet.“
Er trat auf die Bremse, brachte den offenen Sportwagen am Bordstein zum Stehen und nahm Sabine, ohne sich um die Passanten zu kümmern, in die Arme. „Sabine, ich liebe dich! Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt!“
Ihre Antwort, das selige Geständnis ihrer Liebe zu ihm, erstickte in seinem Kuß . . .
Das Restaurant „Die Kanne“ in der Maximilianstraße war mehr als gut besetzt. Es ist ein berühmtes Feinschmeckerlokal und wird von Künstlern, Wissenschaftlern, Medizinern und von Verliebten besucht. Der Ober führte Peter und Sabine zu einem freien Tisch, auf dem eine goldene, nach Honig riechende Kerze flackerte.
Peter ließ sich die Speisekarte bringen. „Auf was hast du Lust?“ fragte er. „Vielleicht Schnecken als Vorspeise? Magst du Schnecken, Sabine?“
Er blickte von der Speisekarte auf, wurde plötzlich blaß unter der braunen Haut.
„Was hast du?“ fragte Sabine erschrocken.
„Mein Vater . . . Bitte, dreh dich nicht um. An dem Tisch schräg hinter dir sitzt mein Vater mit Geschäftsfreunden!“
„Und?“ fragte sie. Dann las sie in Peters Augen das drohende Unheil, und ihr Körper verkrampfte sich. „Was ist?“ flüsterte sie angstvoll.
„Er hat uns gesehen. Er steht auf . . . Er . . . er kommt an unseren Tisch!“
Sabine wagte nicht, sich umzusehen, dem näherkommenden Mann entgegenzublicken. Unwillkürlich zog sie den Kopf zwischen die Schultern. Sie starrte in Peters bleiches Gesicht.
Er stand auf und sagte mit beherrschter Stimme: „Guten Abend, Vater!“
Der Schatten des großen Mannes fiel zwischen die Liebenden.
Paul Hartmann verzichtete auf jeden Gruß. „Ich habe mit dir zu sprechen.“
Peter hielt dem Blick seines Vaters stand. „Du siehst, daß ich nicht allein bin“, sagte er gefaßt. „Darf ich dich mit Fräulein Sabine Kortner bekannt machen?“
Jetzt erst sah Paul Hartmann die Freundin seines Sohnes an. Aus seinen dunklen Augen – so ähnlich denen seines Sohnes und doch so anders – glänzte eisige Kälte. Sein Gesicht verriet die zwingende Kraft eines Mannes, der seit Jahren gewohnt war zu befehlen.
Sabine erhob sich zögernd und wußte im gleichen Augenblick, daß es falsch war – eine Dame steht nicht auf, wenn ihr ein Herr vorgestellt wird. Sofort setzte sie sich wieder – und machte so ihren Fehler nur krasser. Sie reichte Peters Vater auch nicht die Hand.
Für Sekunden herrschte eine peinliche Stille. Sabine saß wie erstarrt auf ihrem Stuhl. Paul Hartmanns Mundwinkel verzogen sich verächtlich.
„Fräulein Kortner und ich“, sagte Peter, um die Peinlichkeit zu überspielen, „wir waren zusammen im Lift eingesperrt. Ich habe dir doch davon erzählt, Vater.“
Paul Hartmann wandte sich mit einer brüsken Kopfbewegung seinem Sohn zu. „Du bist mir über die Art, wie du deine Bekanntschaften machst, keine Erklärung schuldig. Du weißt, ich habe immer Verständnis für deine Eskapaden gehabt . . .“
„Du mißverstehst die Situation!“ erwiderte Peter. Seine Wangenmuskeln spannten sich unter der Anstrengung, beherrscht zu bleiben.
„Das ist nicht meine Schuld“, sagte sein Vater eiskalt. „Die Situation ist brüskierend, nicht nur für mich, sondern vor allem für die Herren vom Chemiekonzern. Darf ich dich daran erinnern, daß du dich nach der Vertragsverhandlung heute abend mit einer fadenscheinigen Ausrede verabschiedet hast? Jetzt treffen wir dich hier in Gesellschaft einer . . .“
Er zögerte, ließ sich deutlich anmerken, daß es ihm schwerfiel, das Wort, das er schon auf der Zunge hatte, nicht auszusprechen. „ . . . eines Mädchens“, erwiderte er schließlich.
„Ich kann nichts Unrechtes darin sehen“, gab Peter zurück.
„Dein Benehmen ist eine Beleidigung. Für mich und für unsere Geschäftsfreunde.“ Herr Hartmann verneigte sich kurz und verächtlich vor Sabine, wandte sich ab und schritt zu seinem Tisch zurück.
Peter legte seine Hand beruhigend auf Sabines Arm. „Komm“, sagte er, „gehen wir! Die Atmosphäre hier gefällt mir nicht!“ Er drückte dem Kellner, der herankam, um die Bestellung entgegenzunehmen, ein Trinkgeld in die Hand und zog Sabine mit sich zum Ausgang.
„Lassen wir den Wagen stehen“, sagte er, als sie draußen auf der Straße standen, „und gehen wir zum Hofbräu. Wenn wir Glück haben, bekommen wir einen Tisch im Garten.“
Sabine ließ sich widerstandslos mitziehen, aber sie wagte nicht, Peter anzusehen. „Ich habe mich dumm benommen“, sagte sie leise. „Ich war der Situation einfach nicht gewachsen.“
Er drückte ihre Hand. „Wie solltest du auch? Wer konnte denn damit rechnen, daß sich ein erwachsener Mann wie ein Verrückter benimmt.“
Peter schritt kräftig aus. Er spürte das Bedürfnis, seine Erregung durch körperliche Bewegung abzureagieren. Sabine hatte Mühe, auf ihren hohen Absätzen mit ihm Schritt zu halten.
„Es tut mir so leid“, sagte sie atemlos und strich sich mit der freien Hand das seidige aschblonde Haar aus der Stirn. „Meinetwegen bist du jetzt mit deinem Vater aneinandergeraten.“
„Mach dir nichts daraus. So etwas kommt in den besten Familien vor. Im übrigen . . . ich bin sicher, daß es meinem Vater jetzt schon wieder leid tut. Er ist nämlich ein anständiger Kerl. Wir sind bisher einigermaßen gut miteinander ausgekommen.“
„Um so schlimmer“, sagte Sabine.
Sie waren von der Maximilianstraße in die schmale Gasse eingebogen, die zum Hofbräuhaus führt.
„Was willst du damit sagen?“ Er verhielt so plötzlich seinen Schritt, daß sie fast ins Stolpern geriet.
„Machen wir uns doch nichts vor“, sagte sie tapfer. „Dein Vater hat deutlich gezeigt, was er von mir hält. Er akzeptiert mich einfach nicht!“ Sie blickte auf das Straßenpflaster. „Peter . . . ich möchte nicht, daß du dich meinetwegen mit deinen Eltern überwirfst.“
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