„Nein. Danke.“ Sie befreite sich, aber sie ging nicht weiter.
„Nun seien Sie doch nicht so! Sehen Sie mich mal an! Ich bin doch schließlich auch nicht übel. Und Peter, na ja . . .“
„Bitte“, sagte Sabine, sie konnte nur noch mit Mühe die Tränen zurückhalten, „bitte, lassen Sie mich in Ruhe.“
„Ich mein’s doch nur gut mit Ihnen.“ Wieder erfaßte er ihren Arm.
„Sie interessieren mich nicht!“ rief Sabine plötzlich außer sich. „Begreifen Sie doch endlich . . . Lassen Sie Ihre Hände von mir!“
Erich Krügers Augen bekamen einen gefährlichen grünen Schimmer. „Sie sind ja hysterisch“, sagte er böse.
„Denken Sie von mir, was Sie wollen, doch hören Sie endlich auf, mich zu belästigen!“
Sie lief einfach davon. Der Rock ihres blauen Kleides schwang um ihre schlanken Beine, ihr aschblondes Haar wehte wie eine Wolke um ihren Kopf. Sie sah bezaubernd aus, noch in ihrer Erregung.
Aber der Blick, mit dem Erich Krüger ihr nachsah, zeigte keine Bewunderung, sondern kalte Wut. Eine Wut, die aus Neid erwuchs, aus gekränkter Eitelkeit und aus Rachsucht . . .
„Schon zurück?“ fragte Frau Kortner, als Sabine eine halbe Stunde später nach Hause kam. Es fiel der Mutter schwer, ein Lächeln der Genugtuung zu unterdrücken.
„Bitte, Mutti . . . bitte, frag mich nicht.“
„Na, ich kann es mir auch selber zusammenreimen. Hat dich sitzenlassen, der feine Kavalier!“
Sabine warf ihr einen flehenden Blick zu.
„Schon gut . . . Kein Wort mehr darüber“, sagte Frau Kortner hastig. „Dieser Mann ist es nicht wert. Ja, einem armen Mädel den Kopf verdrehen, das kann er, aber dann . . . Entschuldige bitte, ich bin schon still. Ich werde jetzt schnell das Abendessen richten und . . .“
„Danke, Mutti, ich habe keinen Hunger.“ Sabine schluckte krampfhaft.
„Kind, ich verstehe ja, wie unglücklich du jetzt bist . . .“
Sabine lief in ihr Zimmer, drückte die Tür hinter sich zu. Sie warf sich über das Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Sie hat ja recht, hallte es in ihrem Kopf, hämmerte es in ihrem Herzen. Dieser Erich Krüger hat es auch gesagt . . . Ich bin nur ein Spielzeug für Peter. Es kann nicht anders sein. Ich bin ja nur ein kleines, unbedeutendes Mädchen . . .
Leise öffnete sich die Tür, und ihre Mutter kam herein.
„Wein doch nicht, mein Kind“, sagte Frau Kortner. „Dieser Mann ist es gar nicht wert. Die wollen doch alle nur das gleiche. Und die armen Mädchen landen dann im Mütterheim . . .“
Der Vertrag mit den Vertretern des Chemiekonzerns wurde kurz vor acht Uhr unterschrieben. Es ging um ein Bauprojekt, das nach vorsichtiger Schätzung etwa 95 Millionen Mark verschlingen würde.
Paul Hartmann legte den unterschriebenen Vertrag sorgfältig in eine Ledermappe und sah dann lächelnd auf. „Ich glaube, meine Herren, dieser Abschluß sollte gefeiert werden. Ich habe bereits ein entsprechendes Programm zusammengestellt, das Ihren Ansprüchen gewiß gerecht werden wird . . .“
Peter Hartmann blickte auf seine goldene Armbanduhr. Er hatte während der ganzen Verhandlung unentwegt an Sabine denken müssen. Es war nicht aufgefallen, denn sein Vater hatte das schwierige Gespräch mit den Chemieleuten ganz im Alleingang geführt.
Ich muß sie sehen! beschloß er. Sabine, mein Liebes...
Peter erhob sich und flüsterte seinem Vater zu, aber so, daß es zwei der Herren auch hörten: „Entschuldige mich bitte. Mir ist nicht gut . . . Eine Grippe, glaube ich . . .“
Ohne die Antwort seines Vaters abzuwarten, hastete er aus dem Konferenzzimmer, rannte zu seinem Sportwagen, den er auf dem Parkplatz im Hof abgestellt hatte. Er fuhr in die Goethestraße.
Peter hatte Sabines Bitte, sie nicht zu Hause aufzusuchen, zwar nicht vergessen, aber sie schien ihm bedeutungslos. Einmal muß ich mich der Mutter ja doch vorstellen, sagte er sich. Warum nicht heute?
Zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte er die ausgetretenen Treppen des düsteren Hauses hinauf und klingelte an der Wohnungstür.
Frau Kortner öffnete. Sie trug ein einfaches Hauskleid. Ihr Haar, schon von grauen Strähnen durchzogen, war straff zurückgekämmt.
„Guten Abend“, sagte Peter höflich. „Ich möchte Fräulein Sabine Kortner sprechen!“
Frau Kortner kniff die blaßblauen Augen mißtrauisch zusammen.
„Ich bin Peter Hartmann . . .“
„Ach so. Sie sind das!“ Abwehr lag in Maria Kortners Stimme.
„Würden Sie wohl bitte Ihrer Tochter sagen, daß ich da bin?“
„Ich weiß nicht . . .“
Peter Hartmann drückte einfach die Tür auf und trat in die kleine Diele.
Frau Kortner war so verdutzt, daß sie fast gegen ihren Willen sagte: „Bitte, kommen Sie ins Wohnzimmer.“
Das Wohnzimmer war ein freundlich eingerichteter Raum, der gemütlich hätte wirken können, wenn er nicht so überaus aufgeräumt gewesen wäre. Jeder Stuhl, jedes Kissen, jedes Ding hatte seinen ganz bestimmten Platz. Es sich hier bequem zu machen, hätte einer Entweihung geglichen. Die Möbel waren weder alt noch neu, durchaus nicht häßlich, aber unpersönlich, als wären sie nach dem Katalog eines Versandhauses bezogen worden. Es gab einen üppig wachsenden Gummibaum, dessen glänzende Blätter verrieten, daß sie jeden Tag abgestaubt wurden.
Über der Couch dominierte das Bild einer bayrischen Landschaft in Öl. Auf einem Büfett standen zahlreiche Familienfotos, sorgfältig gerahmt und hinter Glas: Sabine als Baby, Sabine als Schulkind, Sabine als Teenager, Sabine und immer wieder Sabine. Ein größeres oval gerahmtes Foto zeigte das Brustbild eines blonden Herrn mit lustigen Augen. Peter Hartmann war sicher, daß es sich um Sabines tödlich verunglückten Vater handelte.
Er hatte Zeit genug, sich umzusehen, denn es dauerte eine ganze Weile, bis Frau Kortner, die die Tür sorgfältig hinter sich geschlossen hatte, wieder eintrat.
„Sabine kommt gleich“, sagte sie, und in ihrer Stimme klang äußerste Mißbilligung.
„Hübsch haben Sie es hier“, erklärte Peter Hartmann, dem daran lag, Sabines Mutter für sich zu gewinnen.
„Es ist sicher nicht so elegant, wie Sie es von zu Hause gewohnt sind“, gab Frau Kortner spitz zurück. „Wir sind einfache Leute . . .“
Eine peinliche Pause entstand. Peter Hartmann fiel beim besten Willen nichts ein, womit er dieses Gespräch hätte fortsetzen können. Er war unendlich erleichtert, als die Tür sich öffnete und Sabine ins Zimmer trat. Ihre Augen waren vom Weinen etwas gerötet, ihr hübsches blaues Leinenkleid war leicht zerknittert.
„Sabine!“ Peter trat mit einem raschen Schritt auf sie zu. „Sabine, sei mir nicht böse, daß ich dich so überfalle, aber ich habe es einfach nicht ausgehalten. Ich mußte dich heute noch sehen!“
Bei diesen impulsiven Worten schmolz der letzte Rest von Erbitterung und Groll in ihrem Herzen dahin. „Peter“, sagte sie strahlend, „ich bin ja so froh!“
„Warst du sehr enttäuscht? Es hat mir so leid getan, aber mein Vater . . .“
„Du brauchst mir nichts zu erklären“, sagte Sabine mit einem Seitenblick auf ihre Mutter.
Peter Hartmann verstand sofort. „Du hast recht, wir wollen nicht mehr darüber sprechen. Wir fahren jetzt irgendwohin zum Essen. Nachher vielleicht ein bißchen tanzen . . . Sie haben doch nichts dagegen, Frau Kortner?“
„Meine Tochter ist erwachsen, Herr Hartmann. Sie kann tun und lassen, was sie für richtig hält.“ Frau Kortner ließ zwischen ihren Worten deutlich durchblicken, wie sehr sie Sabines Verhalten verurteilte.
Sabine überhörte es. „Dann bis nachher, Mutter“, sagte sie und drückte ihr einen herzlichen Kuß auf die Wange. „Komm, Peter! Ich hab’ wirklich Hunger!“
„Dann fahren wir in,Gustl’s Kanne‘. Einverstanden?“
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