»Nein, das war zu keinem Zeitpunkt eine Option«, log Diana. »Und jetzt haben wir Aufwind«, fügte sie mit jenem breiten Lächeln hinzu, das sie bei unzähligen misslungenen Versuchen aufgelegt hatte, vermögenden Männern mittleren Alters Geld aus der Tasche zu locken.
»Und wer liefert jetzt die Kohle? Wo kommt denn das viele Geld her?«, wunderte sich Peter und versuchte Diana unter ihrer überdimensionierten Kapuze in die Augen zu schauen.
»Kein Kommentar!«, erwiderte Diana und versuchte zu lachen. »Ach, du weißt doch. Es gibt immer Leute mit zu viel Geld. Die gerne und großzügig abgeben, aber immer um ihren Ruf besorgt sind. Auflage ist, dass sie nicht im Rampenlicht erscheinen und wenn, dann nur im richtigen Licht. Wenn wir erfolgreich sind.«
»Verstehe«, nickte Peter, der schon so viele lichtscheue Millionäre getroffen hatte, dass er Dianas Notlüge glaubte. »Du kannst mit mir rechnen, ich mische mich nicht in Geldangelegenheiten ein, und mich interessiert auch unser Reiseziel nicht weiter. Um die Kampagne kümmert ihr euch. Und was den Zweck unserer Reise angeht, bin ich auch nicht so skeptisch wie andere Besatzungsmitglieder. Ich sorge nur dafür, dass wir heil dort ankommen.«
Die Wachliste ermöglichte ein erstes gemeinsames Abendessen an Bord. Karen beobachtete Diana, die ein Glas Rotwein zur Feier des Tages erhob, ihre langen Wimpern waren dunkel getuscht. Karen hat sie beim Schminken erwischt und selbst auch eine extra Schicht dunklen Lidschatten aufgelegt.
»Zum Wohl, meine Freunde! Lasst uns auf eine erfolgreiche Kampagne anstoßen!«, sagte Diana feierlich.
Eines schönen Tages wird sogar Diana ein kleines bisschen Vertrauensvorschuss bekommen müssen, sagte sich Karen. Immerhin hatte sie es geschafft, das Geld für die Bootsreparatur zu beschaffen, es musste ein Vermögen gewesen sein. Diana war wahrhaftig eine Zauberin von Rang.
»Zum Wohl!«, erklang es in unterschiedlichen Tonlagen und Akzenten.
Was diese Reise anging, war Diana so redebereit gewesen wie ein Silberfisch, fand Karen. Alles hing von diesem Trip ab, entweder würde es ein geglücktes Comeback werden oder ein totales Fiasko. Trotzdem hatte Diana darauf beharrt, sie alle über den Zweck der Reise im Ungewissen zu lassen. Der Tag für eine Anerkennung war noch nicht gekommen.
»Um was für eine Kampagne handelt es sich eigentlich? Gibt es noch andere außer mir, die nicht wissen, worum es hier geht? Ist es überhaupt eine Kampagne? Wie lautet dann die Zielsetzung? Aber vielleicht ist es gar keine Kampagne, sondern eine Vergnügungsreise, von der mir nur niemand erzählt hat«, meldete sich Karen zu Wort und versuchte Diana mit einem Blick aus ihren schwarzumrandeten Augen zu durchbohren.
»Das ist alles noch nicht so klar«, gab Diana zu und ließ ihren Blick über die versammelte Mannschaft gleiten. Wie eine unsichere Referendarin in der Schule, fand Karen. »Es ist doch so«, fuhr Diana fort, »wir müssen offen sein, oder? Wir fahren an die Front der internationalen Forschung, niemand weiß, was dabei herauskommen wird. Der Ballon, um den es geht, ist der größte, der jemals zuvor so hoch im Norden losgelassen wurde. Die ganze Guillemot hätte darin Platz, neben einer Autofähre, so groß ungefähr. Stellt euch den Millennium Dome vor!«
»Der Millennium Dome war ein Fiasko«, warf Karen ein und sah dabei auf ihre schwarz lackierten Nägel.
»Kannst du mich bitte aussprechen lassen? Ich meinte seine Ausmaße, die Größe des gesamten Projekts. Ich fang mal von vorne an. Die Forscher wollen den Gehalt an Fluormethan in der Atmosphäre messen. Das ist einer der abscheulichen Verursacher der Klimaveränderung, sechstausend Mal schlimmer als Kohlendioxid, sechs null null null mal so viel! Es handelt sich um ein Perfluorkarbon, noch dazu der schlimmste Vertreter aus dieser erbärmlichen Familie. Eines der sechs Gase, auf die sich das Kyoto-Protokoll konzentriert hat. Und zwar auch auf die Fragen nach Interessen und Geld, die daran geknüpft sind. Beinahe das gesamte Fluormethan, das in die Atmosphäre gelangt, stammt aus Aluminiumschmelzöfen.« Diana klammerte sich an die Leiste, die um den Tisch lief, als das Boot krängte. »Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn für Serve Earth nichts dabei herausspringt!«
»Die Umgebung ist sehr visualisierbar.« Klaus bekräftigte seinen Kommentar mit Kopfnicken. »Ich habe mich im Internet schlaugemacht. Die Gletscher, die ins Meer kalben, ihr wisst schon, diesen Quatsch, und dazu die Antennen und Seilbahnen und was es da so gibt. Bei Bildern muss man ja einfach denken. Aber Gas, was soll das denn? Das kann man nicht filmen! Nicht wahr? Aber mit einem Ballon, der so groß ist wie das Olympiastadion in München. Das ist hübsch, das ist effektiv. Dann, Schnitt zu einem Eisbären oder irgendeinem anderen großen Tier, das es als erstes erwischt. Kein Eis, kein Eisbär! Kaputt!« Klaus hatte rote Wangen nach seinem Vortrag. Je mehr er sich in Fahrt redete, desto mehr deutsche Wörter rutschten ihm dazwischen.
»Aber können die nicht woanders ihre Messungen machen? Wo es ein bisschen wärmer ist?«, protestierte Vanessa.
»Ja, solche Messungen werden auch in den Alpen vorgenommen. Aber um nach Österreich zu kommen, hätten wir durchs Schwarze Meer fahren müssen.«
» Keine Eisbären in Österreich!«, warf Klaus ein. Karen wusste nicht, ob das als Scherz oder ernst gemeint war.
»Okay, wir haben einen schönen Ballon und ein paar Eisbären, um die es uns leidtun könnte. Aber haben wir auch ein Ziel bei dieser Kampagne?«, fragte Karen.
»Natürlich haben wir das. Ich sagte doch schon, wie supergefährlich dieses Fluormethan ist«, erwiderte Diana.
»Ja, klar. Aber es gibt so vieles, was supergefährlich ist. Ganz bestimmt auch dieses Gas, das sich allerdings eher anhört wie eine Zahnspülung. Aber was wollen wir, was will Serve Earth dort erreichen?«
»Wir fahren, wie ihr wisst, auf eine Einladung von Emil Planck dorthin«, antwortete Diana. »Er ist der Experte auf diesem Gebiet, hat sowohl in Nature als auch in Science veröffentlicht. Nein, ich habe die Artikel nicht gelesen, die sind sehr fachspezifisch. Auf jeden Fall aber hat er mich gebeten zu kommen. Ich vertraue ihm vollkommen. Und wir werden die Einzelheiten mit ihm zusammen erarbeiten.«
»Dann ist er also schon da oben? In Ny-Ålesund?«, fragte Karen erstaunt.
»Das sollte er eigentlich sein, ja.«
»Sollte?«, hakte Karen nach. Sie ahnte, was hinter diesem Wort stecken könnte.
»Ja, im Moment ist es schwierig, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Ein richtiger Professor eben. Aber sein Assistent ist bestimmt vor Ort. Kimi irgendwas. Komischer Name. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob das ein Mann oder eine Frau ist.«
»Vielleicht ein Hund?«, schlug Karen vor, als sie merkte, dass es keinen Sinn hatte, Diana unter Druck zu setzen.
In dem dichten Nebel, der sie umgab, war die Inselgruppe nicht zu sehen. Aber sie lag dort, das verrieten die Alken, Trottellummen und vereinzelten Papageientaucher. Sie näherten sich Land.
Der steife Wind, der zwei Tage lang die See um sie herum aufgepeitscht hatte, war abgezogen, ein letzter Gruß von dem wandernden Tiefdruckgebiet. Das nächste in der Schlange, das vom Nordatlantik zu ihnen zog, meldete sich mit milden, südlichen Winden an. Mit sieben bis acht Knoten glitten sie durch die glatte, freundlich gesinnte Wasseroberfläche, die sich vor dem Gennaker und dem Großsegel erstreckte. Das Logo von Serve Earth prangte in der Mitte des dünnen Nylonsegels wie ein fluoreszierendes Tattoo auf einem gigantischen Buddhabauch.
Der Sund zwischen der schmalen Insel Prinz-Karl-Vorland und Spitzbergen erwartete sie mit Nebel und heimtückischen Untiefen. Sie mussten ihre Geschwindigkeit drosseln, um möglichen Eisschollen aus Packeis und kleineren, vom Gletscher abgebrochenen Eisbergen rechtzeitig ausweichen zu können. Aber die südlichen Winde schienen auch hier alles weggeweht zu haben. Peter verzichtete auf seine Ruhepausen, um die Radarechos von den Steilhängen zu überwachen. Mit so weit wie möglich aufgeholtem Kiel fuhren sie in großzügigem Abstand über die Riffs weiter nach Norden und bogen am 15. Mai um 07:25 Uhr in den Kongsfjord ein.
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