1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Er hatte kaum mehr Erfahrung als Diana, diese 85-Fuß-Segelyacht zu steuern. In den vergangenen zwei Wochen an Bord hatte er nur ein Mal, während der etwa zehnminütigen Fahrt von der Werft zum freien Liegeplatz vor den Bars an den St. Katharine Docks, den Tandon damals organisiert hatte, hinterm Ruder gestanden. Aber Peter zögerte keine Sekunde, die Guillemot das letzte Stück ins schmale Schleusenbecken zu manövrieren und Anweisungen für Fender und Leinen zu geben.
Die Tore schlossen sich hinter ihnen. Das Schiff zerrte an den Leinen, mit denen es vertäut war, als das Becken geflutet wurde. Und dann öffneten sich die Tore zum Fluss und in die Freiheit. Die Ebbe hatte noch nicht eingesetzt. Die Themse lag still vor ihnen, sie würden auf dem Weg zum Meer, vorbei an den etwa zwei Dutzend Flussbiegungen, eine günstige Strömung haben.
Ein Auto kam auf der schmalen Uferpromenade angefahren, viel zu schnell rollte es durch die Menge der Spaziergänger und Mittagstischgäste, um dann mit quietschenden Reifen stehen zu bleiben. Der Fahrer sprang aus dem Wagen und winkte, er ließ die Tür offen, rannte hinunter zur Kaimauer und wedelte erneut mit den Armen. Diana winkte zurück, allerdings fiel ihr Gruß etwas reservierter aus als der an die Biertrinker kurz zuvor.
»Der scheint aber ein wichtiges Anliegen zu haben. Kennst du ihn?«, fragte Vanessa, die untätig auf dem Mittelschiff stand.
»In gewisser Weise ja. Er ist das höchste Tier in unserem Vorstand, unser Treuhänder, du weißt schon.« Diana verriet jedoch nicht, dass er ihr in einer ganzen Reihe von Mails versichert hatte, der Abreise der Guillemot beiwohnen zu wollen und alle aus der Truppe mitzubringen, die sich freinehmen könnten.
»Wirklich toll, dass der Vorstand das Geld organisieren konnte, um unsere Abreise zu ermöglichen, oder?« Vanessa winkte dem Mann am Ufer fröhlich zu, der eine Kamera aus der Jackentasche holte, um ein Foto des Schiffes mit der Tower Bridge im Hintergrund zu machen.
»Ja, klar«, erwiderte Diana. »Hoffentlich hat er ein paar schöne Bilder im Kasten.«
Vanessa Varejão stammte aus São Paulo, eine kluge und schöne Frau mit einer energischen Ausstrahlung. Ein Stipendium hatte sie an die Tampa University in Florida verschlagen, wo sie eine Doktorarbeit begonnen hatte. Aber sie entdeckte bald, dass die Beschäftigung mit der Mesofauna und ihren millimetergroßen Krebstierchen nicht den von ihr gewünschten Effekt hatte, und war vor fast drei Jahren an Bord gekommen. Sie war zwar hauptsächlich wegen ihrer Kochkünste genommen worden, aber das trug sie mit Gelassenheit.
Das Heck der Guillemot drehte ab, und sie nahmen Fahrt durch das trübe Wasser der Themse auf. Diana war an die Bugspitze gegangen, wo Karen mit einem widerspenstigen Knoten an einem Tampen kämpfte.
»Brauchst du Hilfe?«
»Nein, warum sollte ich?«
Vielleicht, weil deine Knöchel schon ganz weiß sind, deine Wangen glühen und deine linke Halsschlagader wie ein bläulicher Wurm aussieht, dachte sich Diana, sagte aber nichts.
In Dianas Augen war Karen eine junge, wütende Krawalltouristin, die alles in Frage stellte und am zufriedensten schien, wenn eine Kampagne außer Kontrolle geriet und in Handgreiflichkeiten endete. Karen fand jede tiefer gehende Analyse überflüssig. Es würde doch schließlich genügen, sich umzusehen. In einer Welt, die so aussah, wie sie aussah, musste doch etwas Grundlegendes schiefgelaufen sein, fand sie. »Hallo, verdammte Axt, hast du keine Augen im Kopf?«, war ihre häufigste Zwischenbemerkung im Laufe einer Diskussion.
Tandon hatte Karen damals aufgrund ihrer Glaubwürdigkeit mit ins Team aufgenommen, erzählte er Diana einmal in einem vertraulichen Gespräch, ohne jedoch zu erläutern, worauf sich sein Urteil gründete. Allerdings erkannte sie durchaus auch Karens gute Seiten. Sie war sehr mutig, bis an die Grenze zur Unerbittlichkeit gegen sich selbst, und ungeheuer eifrig bei Aktionen jeder Art. Die Liegezeit in den St. Katharine Docks hatte sie meistens mürrisch und einsilbig verbracht und dabei raubkopierte mp3-Musik gehört. Jetzt war ihre Wut sehr viel extrovertierter, und das interpretierte Diana als ein gutes Zeichen. Deshalb ließ sie Karen, das wütende dunkelhaarige Mädchen aus Liverpool, die gekleidet war, als hätte sie gerade eine Armee-Kleiderstube ausgeraubt, auch in Ruhe weiter mit ihrem Tampen kämpfen.
Acht Monate lang hatte die Guillemot auf Reede gelegen, gefangen im trüben Wasser und in der stickigen Großstadtluft. Im Laufe des grauen verregneten Winters hatte Serve Earth nur eine einzige Bewegung vollzogen: den Weg aus dem Rampenlicht, fort von den Titelseiten hinein ins Schattendasein. Der Unterschied zu ihren vergangenen großen Tagen konnte nicht gravierender sein: Unter Tandons Führung hatte die Organisation phasenweise mehr Sendezeit und Zeitungsspalten gefüllt als Greenpeace.
Als der Tennisstar Roger Tandon damals seinen Rücktritt vom Profisport bekanntgegeben und verkündet hatte, er wolle eine Umweltorganisation gründen, hatten die Journalisten sehr skeptisch reagiert. Aber sie mussten bald umdenken. Mit seinen Wimbledonsiegen im Rücken war es Roger Tandon gelungen, die Medienaufmerksamkeit auf sich zu ziehen und für seine Botschaft zu nutzen. Diese war zwar manchmal ein wenig schwammig formuliert, aber die neu entworfenen Aphorismen konnten von jedem nach Belieben gedeutet werden: »Die Natur hat keinen zweiten Aufschlag« oder »Die Atmosphäre ist kein Balljunge«. Es zeigte sich, dass viele bereit waren, diesem Mann zuzuhören, dem der Ruf eines Gentleman und einige mäßig komplizierte Frauengeschichten vorauseilten. Nicht zu vergessen die ausgezeichnete Rückhand, weder besonders hart noch besonders gut platziert, dafür aber war der Ball so angeschnitten, dass der Gegner nie wusste, wohin er fliegen würde. »Früher wusste niemand, wo meine Rückhand den Ball hinbefördern würde«, hatte er auf der ersten Pressekonferenz gesagt, als er die Organisation vorstellte, »in Zukunft wird Serve Earth ein ähnliches Staunen hervorrufen, wenn wir irgendwo auftauchen.« Roger Tandons Engagement war bedingungslos, viel ausgeprägter als bei den meisten, die sich nach beendeter Karriere ein neues Aufgabenfeld suchten. Für Tandon war Serve Earth eine Lebenseinstellung, eine Vollzeitbeschäftigung für ihn und das Team, mit dem er sich umgab.
Diana McManus gehörte von Anfang an dazu. Ihr Bewerbungsschreiben hatte ihm sehr gut gefallen, ihre flüssige Handschrift, die nach rechts kippte und nicht nach links, wie so oft in England. Und in einer fröhlichen Bierlaune ein halbes Jahr später hatte er ihr gestanden, dass er auch ihren Geruch mochte.
Zur Medienelite aber zählten sie erst nach der Taufe der Guillemot . Seit den Tagen der Onassis’ hatte wohl keine Yacht eine so hohe Konzentration an bekannten Persönlichkeiten an Bord erlebt. Die Medien berichteten hungrig über alles. Tandon war sehr geschickt, er kombinierte Cocktailpartys auf dem Vordeck mit Kampagnen, die an sorgfältig ausgewählten Flecken dieser Erde stattfinden sollten. Schildkröten wurden vom Bootssteg eines Mauritius-Resorts gerettet, die Überfischung des Thunfisches wurde von Portofino aus bekämpft und der Ölverklappung von Cancún aus Einhalt geboten. Die Stifte kratzten nur so über das Papier, die Kameras klickten, die Leute lasen, sie schauten hin. Tandon hatte zwar nicht – wie Onassis seinerzeit–die Barhocker mit der Vorhaut von Walen beziehen lassen, aber ansonsten hatte er an nichts gespart, um die Guillemot zu einer der edelsten und schönsten Segelyachten ihrer Größe ausstatten zu lassen. Für die Klientel, die sich oft an Bord befand, stellte sie somit eine ganz natürliche Umgebung dar. Alles passte zusammen. Serve Earth erlangte in kürzester Zeit einen mächtigen Status als tonangebende Umweltorganisation.
Читать дальше