Wir setzen uns in ihr Büro und ich erzähle ihr die ganze Geschichte von Colin und mir. Na ja, fast. Die Vergewaltigung lasse ich aus, die tut hier ja nichts zur Sache. Sie macht mir wenig Hoffnungen, dass ich das alleinige Sorgerecht behalten werde. Es wird mindestens auf ein geteiltes hinauslaufen. Colin ist bewiesenermaßen ihr Vater und hat ein Recht auf seine Tochter. Außerdem bestätigt sie meine Befürchtung bezüglich seines Geldes. Wir besprechen noch ein paar Strategien und Möglichkeiten, dann mache ich mich auf den Heimweg. Wir wollen am Tag vor der Verhandlung noch einmal miteinander sprechen.
Chris bleibt bis zum Wochenende und unterstützt mich, wo er nur kann und ich bin in jeder freien Minute mit Lilly zusammen. Immer mit den Gedanken im Hinterkopf, wer weiß, wie lange noch. Von Colin höre ich nichts mehr, nach diesem Verrat könnte ich auch nicht mit ihm reden, ohne womöglich wieder handgreiflich zu werden.
Am Montag vor der Verhandlung bekomme ich eine fiese Magen-Darm-Grippe. Ich behalte kaum noch etwas bei mir und kann eigentlich nur trinken. Innerhalb weniger Tage habe ich wieder 5 Kilo abgenommen und sehe aus wie ein Hungerhaken, aber ich will bei Gericht kämpfen. Für Lilly. Und so ziehe ich am Freitagmorgen, als Lilly im Kindergarten ist, meinen schwarzen Hosenanzug an, schminke mich besonders sorgfältig und mache mich auf den Weg zum Gericht. Damit lasse ich Colin nicht durchkommen, nehme ich mir fest vor.
Vor dem Gerichtsgebäude treffe ich mit Colin zusammen. Ich sehe ihn heute das erste Mal seit vier Jahren in einem Anzug. Er sieht so gut aus, dass mir die Knie weich werden, aber ich bleibe standhaft. Bevor er mich ansprechen kann, eile ich an ihm vorbei in die große Eingangshalle. Dort wartet schon meine Anwältin auf mich und gemeinsam gehen wir die Treppen hoch. Ich schicke sie schon einmal vor in den Verhandlungsraum, während ich noch einen Abstecher auf die Toilette mache. Mir ist schon wieder schlecht und ich muss mich übergeben. Nachdem ich mich wieder ein bisschen hergerichtet habe, trete ich aus dem Raum, in der Hoffnung, bis nach der Verhandlung durchzuhalten, ohne mich auf den Tisch des Richters zu entleeren. Colin erwartet mich an die Wand gegenüber der Toilette gelehnt. Die Arme vor der breiten Brust verschränkt mustert er mich undurchdringlich.
„Alles okay? Du bist so blass“, fragt er.
„Ja, mir geht’s gut. Ich habe wohl etwas Falsches gegessen“, winke ich ab und gehe schnell an ihm vorbei zu der Verhandlung.
Ich setze mich neben meine Anwältin auf die eine Seite des Tisches, während Colin mir gegenüber neben seinem Anwalt Platz nimmt. Der Richter sitzt am Kopfende. Er beginnt die Verhandlung und legt noch einmal die Fakten dar, als Colin darum bittet etwas sagen zu dürfen. Überrascht erteilt der Richter ihm das Wort. Colins Anwalt scheint nicht zu wissen, worum es geht, er sieht seinen Mandanten nur verwirrt an.
„Bitte Euer Ehren, ich möchte hier nicht unnötig ihre Zeit verschwenden, deshalb habe ich darum gebeten, sprechen zu dürfen. Ich weiß, das kommt jetzt ein bisschen überraschend, aber ich möchte meinen Antrag auf Sorgerecht zurückziehen.“
Colins Anwalt fängt hektisch an, auf ihn einzuflüstern und ihn von seinem Vorhaben abzubringen, während meine Anwältin nur ungläubig von einem zum anderen sieht. Ich erstarre, ich habe mich wohl verhört? Was ist das denn jetzt für eine Nummer? Ich bin ratlos und überlege noch, was das soll, als der Richter aufbraust.
„Mr. Mitchell, was zum Teufel soll das? Wieso reichen Sie erst eine - wie ich betonen möchte - absolut gerechtfertigte Klage ein, um dann mitten in der Verhandlung alles wieder umzuwerfen? Haben wir nicht alle Besseres zu tun, als hier zu sitzen?“
Ich glaube, er hat den Richter echt verärgert.
„Darf ich meine Entscheidung bitte erklären?“, fragt Colin.
„Natürlich! Ich bitte darum!“, schimpft der Richter, sichtlich aufgebracht. Colin sieht zu mir, mit einem unlesbaren Gesichtsausdruck.
„Okay, also, ich ziehe die Klage zurück unter der Bedingung, eine von mir festgelegte Summe, sagen wir, als rückwirkende Alimente, an Annie und Lilly Briggs zahlen zu dürfen, sowie natürlich eine laufende monatliche Zahlung in ebenfalls von mir festgelegter Höhe. Ich habe eine Erklärung dazu vorbereitet, die von Annie Briggs zu unterschreiben wäre.“
Jetzt ist der Richter vollends verwirrt und hat hektische rote Flecken im Gesicht.
„Das ist ja wie im Irrenhaus hier!“, tobt er.
„Sie können sich die Zahlung Ihrer Unterhaltskosten doch nicht aussuchen. Das ist schon noch gesetzlich geregelt und bezieht sich auf Ihre Einkünfte.“
Ich bin total sprachlos und kann ihn nur mit offenem Mund anstarren. Colin wirft mir einen intensiven Blick zu, schiebt einen Stapel Papiere über den Tisch in Richtung des Richters und erklärt ohne mich aus den Augen zu lassen: „Das ist mir durchaus bewusst. Ich habe hier eine Aufstellung meiner Vermögensverhältnisse, sowie meine letzte Steuererklärung. Wie sie den Unterlagen entnehmen können, beläuft sich mein Gesamtvermögen auf etwas über 20 Millionen US-Dollar.“
Ich schnappe hörbar nach Luft und mir wird schon wieder übel. Ich hatte keine Ahnung, wie reich er tatsächlich ist. Langsam atme ich ein und aus, um meinen Magen zu beruhigen und die aufsteigende Übelkeit niederzukämpfen. Colin merkt es anscheinend, aber er sieht mich nur besorgt an und spricht weiter.
„Die Erklärung besagt, dass ich Annie und Lilly für jedes vergangene Jahr inklusive der Schwangerschaft 2 Millionen Dollar zahle, macht insgesamt 8 Millionen, sowie monatlich 20.000 Dollar für ihren Unterhalt bis zum Ende von Lillys Ausbildung.“
Mir rauscht das Blut in den Ohren. Das kann nicht wahr sein. Einen Moment herrscht Totenstille im Raum, bis auf einmal alle zugleich anfangen zu sprechen. Der Richter lamentiert darüber, dass der Betrag deutlich über dem Maß sei, meine Anwältin redet mir zu, die Erklärung unbedingt zu unterschreiben und Colins Anwalt sieht aus als bekäme er gleich einen Herzanfall und versucht alles, um ihn umzustimmen. Alle reden durcheinander, sodass mich zunächst keiner hört, als ich leise sage: „Nein.“
Ich atme tief durch, um den Schwindel in meinem Kopf zu vertreiben und versuche es noch einmal lauter: „NEIN! Auf gar keinen Fall!“
Plötzlich ist wieder Stille und alle starren mich an.
„Ich werde so eine Erklärung nicht unterschreiben. Ich lasse mich nicht kaufen!“
„Bitte, Euer Ehren, könnte ich kurz einen Moment mit Annie allein sprechen?“, fragt Colin.
Der Richter sieht von Einem zum Anderen, während Colin seinen Anwalt abschüttelt. Meine Anwältin und der Richter sehen mich fragend an, bis ich nicke. Zögernd verlassen alle den Raum.
Colin kommt um den Tisch, setzt sich auf den Stuhl, auf dem eben noch meine Anwältin gesessen hat und sieht mich durchdringend aus schwarzen Augen an.
„Nein Colin, ich nehme dieses Geld nicht! Vergiss es!“, fange ich an, aber er unterbricht mich sofort.
„Das ist nicht verhandelbar, Annie. Entweder nimmst du das Geld, oder ich setze die Klage fort.“
„Ich will dein Geld nicht. Ich wollte nie dein Geld, Colin.“
„Das weiß ich. Ich habe nie etwas anderes vermutet, aber du hast ein Recht auf dieses Geld. Ich bin als Lillys Vater sowieso zu Unterhaltszahlungen verpflichtet.“
„Ja, aber nicht in dieser Höhe!“, langsam erhole ich mich von dem ersten Schock und werde sauer.
„Das Geld ist mir egal. Nur ihr seid mir wichtig. Ich war vier Jahre lang nicht für dich da, habe jeden Meilenstein im Leben meiner Tochter verpasst. Du musstest allein für euch aufkommen und jetzt möchte ich einfach nur, dass du versorgt bist. Ich möchte, dass ihr beide ein sorgenfreies Leben führen könnt und wenn ich schon nicht für euch beide sorgen darf, dann nimm bitte wenigstens dieses blöde Geld. Es bedeutet mir nichts, aber euch liebe ich“, er sieht mir mit intensivem Blick in die Augen.
Читать дальше